Das Sammeln ist der Botanikerin Lust
| 24. Oktober 2013In Österreich sind rund 40 Prozent aller wild wachsenden Pflanzenarten gefährdet. Mit Hilfe von Samenbanken können diese Arten für künftige Generationen erhalten werden. Der Botanische Garten der Universität Wien ist gleich an mehreren internationalen Samenbank-Projekten beteiligt.
Rund acht Mal im Jahr begeben sich Barbara Knickmann, Sammlungsleiterin im Botanischen Garten der Universität Wien, und ein vier- bis fünfköpfiges Team im VW-Bus auf große Fahrt. Dann geht es u.a. an die Thermenlinie, ins Pannonische Becken oder in die Voralpen, aber auch zu Zielen innerhalb Wiens. Ausgerüstet mit Heckenscheren, vielen Papiersackerln für die Pflanzensamen und dem Buch "Exkursionsflora" – "die Bibel für uns Botaniker", wie Knickmann es ausdrückt – wandert die Gruppe mit Adleraugen über Wiese, Wald und Flur: auf der Suche nach geeigneten Samen.
Die Saison geht dabei von Mitte Mai bis Ende Oktober – wobei im April schon Erkundungsfahrten stattfinden, um bestimmte Pflanzen zu orten, damit man dann im Spätfrühling, Sommer oder Herbst nicht mehr lange danach suchen muss. "Für das Sammeln von Samen gefährdeter Arten braucht man eine Sammelgenehmigung, für manche Schutzgebiete müssen wir unsere Sammelfahrten vorab anmelden. Generell gilt es als Faustregel, maximal 20 Prozent des Samenansatzes zu sammeln und auch nur dann, wenn die jeweilige Population dadurch nicht gefährdet wird", erklärt die passionierte Botanikerin Knickmann.
Garten und Index Seminum
Die Samen finden dabei ganz unterschiedliche Verwendung. Ein Teil wird im Botanischen Garten angebaut – rund 30 Prozent aller Pflanzen im Freilandgarten sind selbst gesammelt, in der pannonischen Gruppe sogar mehr als 50 Prozent, auch die speziellen Pflanzen des Alpinums stammen zum größten Teil von Sammlungsfahrten des Botanischen Gartens.
Gleichzeitig erstellt der Botanische Garten jedes Jahr – wie auch viele andere Botanische Gärten weltweit – einen sogenannten "Index Seminum". "Darin listen wir alle von uns gesammelten Samen auf und bieten sie anderen Botanischen Gärten zum unentgeltlichen Austausch an", erklärt Knickmann: "Wir bekommen selbst viele dieser Kataloge von den anderen Gärten geschickt, um unseren Bestand aufzustocken und zu erweitern – das ist ein gut funktionierendes Netzwerk zwischen den Botanischen Gärten."
Ab in die Datenbank
In Österreich gelten rund 40 Prozent aller wild wachsenden Pflanzenarten als gefährdet. Die "Global Strategy for Plant Conservation" – eine Strategie im Rahmen der Biodiversitätskonvention (CBD), die fast 200 Mitgliedsstaaten zählt – hat sich u.a. zum Ziel gesetzt, gefährdete Pflanzenarten in Lebendsammlungen wie zum Beispiel Samenbanken zu sichern. In Wien betreibt die Universität für Bodenkultur eine solche Samenbank zu Naturschutzzwecken. Der Botanische Garten der Universität Wien arbeitet dabei eng mit der BOKU zusammen: "Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Wir können dort einlagern, was wir für notwendig und wichtig erachten", so Knickmann: "An der BOKU werden unsere Samen eingefroren und somit professionell konserviert."
Enge Zusammenarbeit mit den britischen Kew Gardens
"Wir vom Botanischen Garten der Universität Wien freuen uns besonders, in diesem Projekt eng mit den Royal Botanic Gardens in Kew zusammenzuarbeiten. Wir haben bereits 2012 bei einem internationalen Workshops gemeinsam mit der BOKU und dem Botanischen Garten der Karl Franzens Universität Graz 60 verschiedene österreichische Arten gesammelt und in der 'Millennium Seed Bank' der Kew Gardens eingelagert."
Ziel der Millennium Seed Bank ist es, die Samen aller Pflanzen der Welt zu sichern. Für die ÖsterreicherInnen steht hier noch einiges an Sammelarbeit an, denn immerhin gibt es bei uns über 3.000 verschiedene wild wachsende Pflanzenarten: "Wir hoffen auf eine weiterhin mögliche Zusammenarbeit mit der Millennium Seed Bank. Denn das ist für uns erst der Anfang".
Das groß angelegte EU-Projekt "ENSCONET" koordiniert innerhalb des 6. Rahmenprogramms die Konservierung, den Schutz und die Einlagerung in Samenbanken jeweils heimischer Samen europäischer Länder – Partner in Österreich sind u.a. der Botanische Garten der Universität Wien und die BOKU. In enger Zusammenarbeit mit ENSCONET läuft das weltweit derzeit größte Samenbank-Projekt, die "Millennium Seed Bank" des Botanischen Gartens von Kew, England. "Das große Ziel ist, alle Pflanzenarten der Welt dort als Samen einzulagern. Derzeit hat man bereits fast 100 Prozent der Samen der britischen Inseln in der Samenbank, und über zehn Prozent aller Arten weltweit", berichtet Barbara Knickmann. |
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Um die eingelagerten Samen in Kew Gardens muss man sich keine großen Sorgen mehr machen; dafür ließ Kew eigens unterirdische Bunker bauen, die sogar atombombensicher sind. Von jeder Aufsammlung, die nach Kew Gardens gesendet wird, wird auch ein Herbarbeleg angefertigt, der ebenfalls in der Millennium Seed Bank gelagert wird. Eine Dublette verbleibt an der Universität Wien – so wächst auch die mittlerweile 1,4 Millionen Belege umfassende Herbarsammlung des Herbariums der Universität Wien kontinuierlich.
Austausch auf Exkursionsfahrt
Im Rahmen der Millennium Seed Bank organisiert Kew Gardens auch Exkursionen, Sammelfahrten und Workshops. 2011 war Barbara Knickmann auf einer solchen Fahrt in Spanien, wo auch eine Expertin von Kew Gardens vor Ort war: "Wir haben eine Woche lang Samen gesammelt, von denen der Großteil nun in der Seed Bank lagert. Das war eine sehr spannende Exkursion, von der ich viel Know How mitgenommen habe."
Jetzt im Herbst stehen noch zwei bis drei Fahrten an, vorwiegend in und rund um Wien – dabei durchstreift Knickmann mit ihrem Team Wald und Wiesen von Leopolds- und Kahlenberg, die Auwälder und den Lainzer Tiergarten. Dann folgen die aufwändigen Winterarbeiten wie Samen putzen, trocknen, lagern und verteilen – Sammlungsleiterin Barbara Knickmann entscheidet dann, wo welcher Samen "landet": zu Naturschutzzwecken in der Samenbank der BOKU, zu Forschungszwecken in der Millennium Seed Bank und im Botanischen Garten der Universität Wien und zum Anbau im Freilandgarten. Doch dazu muss dann erst wieder der Frühling kommen. (td)