Das durchschlagende Design der Giftklauen

Spinnen verdanken ihren Jagderfolg u.a. dem Material ihrer Giftklauen: Die Chitinfasern sind von Proteinen umgeben und so angeordnet, dass die Klauen sehr fest und steif werden. An der aktuellen Publikation ist Friedrich Barth vom Department für Neurobiologie beteiligt.

Dem Biss einer Spinne haben Fliegen, Heuschrecken und andere Beuteinsekten wenig entgegenzusetzen, obwohl ihr Panzer im Wesentlichen aus demselben Material besteht wie die Giftklauen des Räubers. Doch wie ein Team um den Neurobiologen Friedrich Barth gemeinsam mit WissenschafterInnen des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung (Potsdam) und des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik (Halle) herausgefunden hat, ist das Material der Giftklauen besonders fest und kann so den Cuticulapanzer der Beutetiere durchbohren. Die Giftklauen werden zu perfektionierten wiederverwendbaren Injektionsnadeln für das lähmende Spinnengift. Die neuen Erkenntnisse können Anregungen liefern, wie sich ähnliche technische Materialien für unterschiedliche Anwendungen optimieren lassen.

Natürliches Verbundmaterial


Die Natur nutzt faserverstärkte Materialien schon viel länger als die Technik. So bestehen die Panzer von Gliederfüßern wie Spinnentieren, Insekten und Krustentieren aus Cuticula, einer Vielzahl feinster Schichten von Chitinfasern. Diese ordnen sich parallel zur Oberfläche an und sind typischerweise in eine Proteinmatrix eingebettet. Dem jeweiligen Verwendungszweck passt sich dieses natürliche Verbundmaterial dadurch an, dass die Zusammensetzung sowie die Form des Materials in verschiedenen Teilen des Außenskeletts stark variiert wird. Die Anordnung der Fasern und die Proteinzusammensetzung beeinflussen die mechanischen Eigenschaften des Materials entscheidend.

"Die detaillierten Untersuchungen des Cuticulapanzers können daher viele neue Ideen für ein besseres, bio-inspiriertes Materialdesign hervorbringen", erklärt Yael Politi vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, die gemeinsam mit ihren KollegInnen nun den Spinnen auf den Zahn gefühlt hat. Diese Einschätzung gilt ganz besonders für Strukturen wie die Giftklauen, da deren "Design" wegen ihrer lebenswichtigen Funktion sicher unter besonders großem evolutionärem Druck stand. Da sich die technische Perfektion einer biologischen Struktur nur dann ganz verstehen lässt, wenn man deren natürliche Funktion berücksichtigt, arbeiteten die WissenschafterInnen der Max-Planck-Institute in Potsdam und in Halle eng mit Friedrich Barth vom Department für Neurobiologie zusammen, einem Experten für Spinnen, insbesondere deren sensorische Systeme und Biomechanik.

Anordnung der Chitinfasern beeinflusst die Materialeigenschaften

In ihren Untersuchungen erkannten die WissenschafterInnen, dass sich die Struktur des Materials in den Giftklauen der Wanderspinne Cupiennius salei von derjenigen anderer Skelettteile deutlich unterscheidet. Vor allem die Chitinfasern ordnen sich darin auf besondere Weise an. In einer speziellen Zone verlaufen die Fasern in verschiedenen Schichten vorwiegend in der Richtung, in der auch hohe mechanische Spannungen während des Bisses zu erwarten sind. Das verleiht der Giftklaue eine maßgeschneiderte mechanische Belastbarkeit. Denn die Chitinfasern sind parallel zu ihrer Längsachse immer steifer als senkrecht dazu. "Den höchsten Grad dieser gleichförmigen Ausrichtung haben wir im mittleren Bereich der Giftklaue gefunden", erklärt Barth.

Metallionen verstärken die Stabilität der Giftklauenspitze

Auch die Proteinstruktur in der Giftklaue ist für deren Zweck optimiert. Proteine zeichnen sich durch hohe chemische Variabilität aus und können entsprechend leicht verändert werden. Die Spinne nutzt auch dies für ihre Giftklauen aus, um sich bei der Jagd einen materialtechnischen Vorteil gegenüber ihrer Beute zu verschaffen. "Erstaunlicherweise bestehen die Zahnspitze und die äußeren Cuticulaschichten, die bei ihrem Biss der höchsten Belastung ausgesetzt sind, vorwiegend aus Proteinen", so Barth. Die Proteinzusammensetzung ändert sich von der Basis zur Spitze der Giftklaue, wobei die Konzentration der Aminosäure Histidin stark ansteigt. Histidin eignet sich besonders gut, um mit Metallionen die Proteine stark zu vernetzen. Da die ForscherInnen auch Zink und Kalzium in der Proteinmatrix fanden, vermuten sie, dass benachbarte Fasern in der Proteinmatrix der Zahnspitze tatsächlich vernetzt werden. Das macht die Spitze besonders hart und fest. Zudem leitet das stabile Proteinnetz den Druck beim Durchbohren eines Beutepanzers effektiv an die Chitinfasern weiter.



Oben: Ein mikrocomputertomographisches Bild der Spitze einer Giftklaue. Der orange Pfeil zeigt auf die Öffnung des Giftkanals. Unten: Die Verteilung der Metallionen Zink (rot), Kalzium (blau) und Chlor (grün) werden mittels energiedispersiver Röntgenspektroskopie analysiert und mit Fehlfarben sichtbar gemacht. Zink und Chlor treten in der äußeren Schicht der Giftklaue auf, während das Kalzium sich im Inneren befindet. Zudem wird eine erhöhte Konzentration von Zink im Inneren der Klauenspitze beobachtet. (Foto: Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung)



Weiters stellte das Forschungsteam fest, dass neben den Metallionen auch Chloridionen in dem Proteinnetz eingelagert sind. "Interessanterweise sind Chloridionen anders verteilt als die Metallionenen", erklärt Politi. Welche Funktion die Chlorid-Ionen übernehmen, nach welchen Kriterien die Verteilung der eingelagerten Elemente ausgewählt wird und wie sich dies auf die mechanischen Eigenschaften der Giftklaue auswirkt, ist noch unklar.

Doch schon jetzt steht fest: Die Giftklauen der Spinnen besitzen eine hoch spezialisierte Materialstruktur. Die Materialeigenschaften ändern sich von der Basis zur Spitze in feinen Abstufungen, und die äußere Schicht der Klauen ist auffallend abriebfest. Die verschiedenen chemischen und strukturellen Veränderungen zu studieren, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Materialeigenschaften des Cuticulapanzers auf so feine Weise an bestimmte biologische Funktionen anpassen, ist für die WissenschafterInnen ein lohnendes Ziel. Ihre Arbeit könnte auch von praktischem Nutzen sein: "Das Wissen, das wir dabei gewinnen, könnte zum Beispiel die Grundlage für die Entwicklung von Materialien für besondere Anwendungen oder von Injektionsnadeln mit speziellen Formen und Materialeigenschaften für die Medizin legen", so Politi. (red)

Das Paper "A Spider's Fang: How to Design an Injection Needle Using Chitin-Based Composite Material" (AutorInnen: Yael Politi, Matthias Priewasser, Eckhard Pippel, Paul Zaslansky, Jürgen Hartmann, Stefan Siegel, Chenghao Li, Friedrich G. Barth, Peter Fratzl) erschien online am 22. März 2012 in der Fachzeitschrift "Advanced Functional Materials".