Befolgung sozialer Normen durch Hirnstimulation
| 04. Oktober 2013Wissenschafter der Universität Zürich und der Universität Wien haben jene Region des Gehirns lokalisiert, die für die Einhaltung sozialer Normen zuständig ist. In der in "Science" publizierten Arbeit hat das Team außerdem gezeigt, dass neuronale Stimulation die Befolgung von Normen beeinflussen kann.
Kleidervorschriften, Tischmanieren, Einhaltung von Gesetzen – ob diese und andere soziale Normen von Menschen eingehalten werden, steht im Zusammenhang mit einer bestimmten Gehirnregion, dem ungefähr hinter der rechten Schläfe gelegenen rechten lateralen präfrontalen Kortex. Durch die Beeinflussung dieser Hirnregion durch neuronale Stimulation kann das Handeln in diesem Bereich beeinflusst werden, so die Forscher rund um den Neuroökonomen Christian Ruff und den österreichischen Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr, beide Universität Zürich, sowie Giuseppe Ugazio, Visiting Scholar an der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Dabei könne der für die Einhaltung sozialer Normen zuständige Mechanismus sowohl verstärkt als auch abgeschwächt werden.
Im Rahmen eines Experiments hatten die 63 teilnehmenden ProbandInnen Geld zur Verfügung, das sie mit anonymen PartnerInnen teilen mussten. Dadurch wurde die Einhaltung der Fairnessnorm untersucht, wonach man das Geld gerecht teilen sollte. Bei einem weiteren Versuch mit derselben Aufgabe wurden die TeilnehmerInnen darüber informiert, dass sie vom jeweiligen Partner für ein unfaires Angebot bestraft werden können.
Neuronale Stimulierung
Im Experiment erhöhten bzw. reduzierten die Forscher die Aktivität der Nervenzellen im rechten lateralen präfrontalen Kortex. Wurde die neuronale Aktivität in dieser Hirnregion gesteigert, folgten die TeilnehmerInnen der Fairnessnorm stärker, wenn eine Strafe droht, und gaben dem Partner deutlich mehr Geld. Ohne Sanktionen wurden die TeilnehmerInnen mit erhöhter Aktivität allerdings deutlich "geiziger". Bei einer Verringerung der neuronalen Aktivität in der Region verhielt es sich genau umgekehrt. Die Auswirkungen waren außerdem stärker, wenn bei dem Experiment Menschen und nicht ein Computer als Partner eingesetzt wurden.
Die Befolgung der Fairnessnorm konnte also direkt durch die neuronale Stimulierung beeinflusst werden, "sowohl für freiwillige Normbefolgung als auch wenn Strafe für Normverletzung angedroht wurde", so der Neuroökonom Christian Ruff.
Resultate könnten Debatte auslösen
Gleichzeitig konnten die Wissenschafter zeigen, dass die neuronale Stimulierung zwar das Verhalten der TeilnehmerInnen beeinflusste, nicht aber deren Wahrnehmung der Norm. Unverändert blieb auch die Erwartung der TeilnehmerInnen darüber, ob und wie stark sie für "normabweichendes" Verhalten bestraft würden. "Der Gehirnmechanismus, der für die Einhaltung sozialer Normen verantwortlich ist, ist von den Prozessen getrennt, die Wissen und Glauben über die soziale Norm darstellen", so Fehr.
Die Erkenntnisse der Wissenschafter könnten künftig von Relevanz bei der Behandlung bestimmter psychischer und neurologischer Krankheiten sein, oder bei Kriminellen, die Schwierigkeiten mit der Einhaltung sozialer Normen haben, schreibt "Science". Ruff verweist darauf, dass viele Krankheiten dadurch definiert seien, dass die Betroffenen sich in sozialen Situationen "unangemessen" verhalten. So seien bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen Normverstöße ein wichtiges Diagnosekriterium.
Fehr verweist aber auch auf mögliche "wichtige Auswirkungen für das Rechtssystem, da die Fähigkeit, richtig von falsch zu unterscheiden, vermutlich für die Fähigkeit, soziale Normen einzuhalten, nicht ausreicht". Für Ruff könnten die Resultate eine Debatte anstoßen, "inwiefern jemand Verantwortung für das Verstoßen gegen soziale Normen übernehmen kann – auch wenn er über die Normen Bescheid weiß". (APA)
Die Publikation "Changing Social Norm Compliance With Noninvasive Brain Stimulation" (Autoren: C. C. Ruff, G. Ugazio, E. Fehr) erschien am 3. Oktober 2013 im Journal "Science".