Angriff auf die zelluläre Schaltzentrale

MikrobiologInnen der Universität Wien rund um DOC-Stipendiat Frederik Schulz und ERC-Preisträger Matthias Horn haben neuartige Bakterien entdeckt: Nucleicultrix amoebiphila greifen, im Gegensatz zu bekannten Krankheitserregern, direkt den Zellkern ihrer Wirtsorganismen – Amöben – an.

Bakterien finden wir überall in uns und um uns herum. Aber nur wenige können uns gefährlich werden, indem sie Tiere und Menschen infizieren und Krankheiten verursachen. Einige dieser pathogenen Bakterien, zu ihnen zählen beispielsweise Legionellen, Listerien oder Chlamydien, dringen dabei gezielt in tierische Wirtszellen ein und vermehren sich darin.

Damit das funktioniert, müssen die Bakterien zuerst lernen, die Abwehrmechanismen ihrer eukaryontischen Wirtszellen zu umgehen (Anm.: Eukaryonten sind Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern besitzen). Falls erfolgreich, replizieren sich die Mikroorganismen im Zytoplasma ihrer Wirtszellen. Zumindest hat man das bisher angenommen: Nun haben ForscherInnen der Universität Wien neuartige Bakterien entdeckt, die das Zytoplasma links liegen lassen und direkt den Zellkern von Amöben infizieren und sich darin vermehren.

Dieser direkte Angriff auf die "Schaltzentrale" von höher entwickelten Zellen birgt ein großes Potenzial zur Wirtsmanipulation. "So könnten die noch unerforschten Bakterien mit dem Namen Nucleicultrix amoebiphila beispielsweise direkt die Genexpression des Wirts beeinflussen", erklärt Erstautor Frederik Schulz aus dem Team rund um ERC-Preisträger Matthias Horn vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien: "Darüber hinaus sind sie vor den Abwehrmechanismen der Wirtszelle geschützt und werden bei einer Zellteilung direkt an die Tochterzellen weitergegeben."


Eine Amöbe der Gattung Acanthamoeba unter dem Lichtmikroskop. Die 20 bis 40 µm kleinen Einzeller werden von Bakterien infiziert, die sich direkt im Zellkern (Nucleus) vermehren.



Publikation im "ISME Journal"

Die in der Fachzeitschrift "ISME Journal" erschienene Studie beschreibt die Isolation dieser Bakterien und deren hochinteressanten Infektionsprozess. Die überraschendsten Erkenntnisse: Die Infektion mit Nucleicultrix scheint keinen negativen Einfluss auf die Vermehrung der Amöben-Wirte zu haben. Und: Diese Bakterien sind gar nicht so selten, wie das Durchsuchen von Sequenzdatenbanken nahelegt. Verwandte Mikroorganismen konnten in einer Vielzahl an Umweltproben detektiert werden.

Weitere Forschungen zum Genom von Nucleicultrix


Mikrobiologe Frederik Schulz ist diesem faszinierendem Phänomen auf der Spur: "Bis jetzt sind Bakterien, die im Zellkern ihres Wirts leben, nahezu unerforscht. Amöben stellen ein experimentell leicht zugängliches Modellsystem dar, das es uns erlaubt, die Geheimnisse dieser spannenden Symbiose zu lüften", so der Nachwuchsforscher, der derzeit das Genom der ungewöhnlichen Bakterien im Rahmen eines DOC-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersucht.

"Von diesen Analysen erhoffen wir uns Aufschluss darüber, wie Nucleicultrix es schafft, in den Zellkern einzudringen", ergänzt Projektleiter Matthias Horn. "Auch wenn bislang keine Hinweise auf eine Bedeutung dieser Bakterien als Krankheitserreger vorliegen, ist die Untersuchung dieser Mechanismen wichtig für ein grundsätzliches Verständnis molekularer Interaktionen zwischen Bakterien und eukaryotischen Wirtszellen." (red)

Das Paper "Life in an unusual intracellular niche: a bacterial symbiont infecting the nucleus of amoebae" (AutorInnen: F. Schulz, I. Lagkouvardos, F. Wascher, K. Aistleitner, R. Kostanjsek, M. Horn) erschien im "ISME Journal".