Ein Wochenende auf der Pelagia

Zehn Tage ist das Team vom Department für Meeresbiologie nun schon auf hoher See. In der letzten "Schiffsmeldung" berichtete Expeditionsleiter Gerhard J. Herndl über Schwierigkeiten beim Befüllen der Hochdrucksammelgefäße, mit denen die WissenschafterInnen Wasserproben aus der Tiefsee nehmen. Am vergangenen Freitag konnte die Ursache gefunden werden: Eine winzige, hinter dem Einlassventil eingeschlossene Luftblase hat die Resultate verfälscht. Lesen Sie hier, was die ForscherInnen vom Wochenende an Bord erzählen!

Freitag, 15. Oktober 2010

Wie bereits in der letzten Schiffsmeldung beschrieben, lassen die Variabilität in den Messungen der Aktivität der Tiefseemikroorganismen und die generell sehr niedrigen Werte auf ein technisches Problem mit den Hochdrucksammelgefäßen schließen. Eine genauere Analyse der bisher gewonnenen Daten im Anschluss an das obligate abendliche Treffen, bei dem das Programm für den nächsten Tag festgelegt wird, ergab am Donnerstag, dass wahrscheinlich eine kleine Luftblase unter dem Einlassventil der Hochdrucksammelgefäße die Ursache dafür sein könnte, dass 25 Mikroliter Leucin beim Öffnen des Ventils aus den Sammelgefäßen gespült werden.

Leucin ist eine Aminosäure, deren Aufnahme durch heterotrophe Mikroorganismen als Maß für die Biomasseproduktion dieser Organismen dient. (Die Produktion und Teilungsraten der autotrophen Mikroorganismen untersuchen wir hingegen anhand von Messdaten über die Umwandlung von Kohlendioxid in organische Kohlenstoffverbindungen.) Wir beschlossen daher, am Freitagmorgen zu testen, ob die Implosion beim Öffnen der Sammelgefäße bedingt durch die eingeschlossene komprimierte Luftblase tatsächlich zu einem Verlust an Leucin führt.

Heute morgen erwarteten wir also mit Spannung das An-Bord-Bringen der Sammelrosette mit den zwei Hochdrucksammelgefäßen: eines befüllt wie bisher, also wahrscheinlich mit einer kleinen Luftblase hinter dem Einlassventil, das andere ohne die Möglichkeit, dass sich eine derartige Luftblase bilden kann. Das Ergebnis war eindeutig und bestätigte unseren Verdacht: Tatsächlich war eine Luftblase schuld daran, dass wir beim Befüllen der Gefäße in der Tiefe ca. 90 Prozent des Leucins verloren haben. Es folgte eine kurze Beratung, wie wir das Befüllen in Hinkunft verändern können, um den Einschluss jedes noch so winzigen Luftbläschen zu verhindern - eine Lösung war rasch gefunden.

Samstag, 16. Oktober 2010

Am Schiff arbeiten und leben wir nach Greenwich Mean Time, d.h. wir sind zwei Stunden hinter der Zeit von Wien. Während der gesamten Expedition bleiben wir bei dieser Zeit, da wir viele Experimente und Inkubationen laufen haben - und da führen Zeitumstellungen immer zu Verwirrungen. So kommt es, dass es gegenwärtig erst gegen 8 Uhr morgens hell wird. Zu dieser Zeit befindet sich die Sammelrosette schon in ca. 4.000 m Tiefe. Dieses Mal sind die Hochdrucksammelgefäße garantiert frei von Luftbläschen!

Das Wasser aus den Niskin-Flaschen wird, sobald die Sammelrosette wieder an Bord ist, von allen Mitgliedern der Expedition auf bestimmte Parameter hin untersucht. Dabei muss alles möglichst rasch gehen, um für die Analyse der mikrobiellen Aktivität das Erwärmen des Wassers aus 5.000 bis 6.000m Tiefe - das dort eine Temperatur zwischen 1,5 bis 2°C aufweist - zu vermeiden.

Zudem versuchen wir, Nährmedien, die im Department für Ökogenetik vorbereitet wurden, mit Wasser aus verschiedenen Tiefen zu "beimpfen". Die Archaea, die wir aus der Meerestiefe holen, schauen zwar aus wie Bakterien, unterscheiden sich stammesgeschichtlich aber sehr stark von ihnen. Bis vor kurzem wurde gemeinhin angenommen, dass sie die ersten Lebewesen auf der Erde waren, daher auch ihr früherer Name Archaebakterien, nun Archaea.

Eine Gruppe der Archaea, die Crenarchaeota - oder Thaumarchaeota, wie sie die ebenfalls am MOCA-Projekt beteiligte Ökogenetikerin Christa Schleper zu nennen pflegt - war bis vor etwa 15 Jahren nur aus schwefeligen Heißwasserquellen bekannt. Im letzten Jahrzehnt konnte gezeigt werden, dass diese Crenarchaeota weit verbreitet sind, also nicht nur sauerstofflose Heißwasserquellen bewohnen, sondern auch den kalten, reichlich sauerstoffhaltigen tiefen Ozean. Von der gesamten Gruppe dieser häufigen Meeresbewohner ist gegenwärtig nur eine einzige Art in Kultur, und diese wurde aus einem Meeresaquarium in Oregon (USA) im Jahr 2005 isoliert.


Im Bild ein unaufgeräumter Arbeitsplatz, auf dem gerade das Unterwassermikroskop gewartet wird. Das Gerät ist auf unserer Forschungsfahrt zum allerersten Mal im Einsatz und erlaubt es, Geiseltierchen, also einzellige Organismen, in der Wassersäule zu sehen - die Bilder sind von erstaunlicher Qualität! Links sieht man das geöffnete Stahlgehäuse des Unterwassermikroskops, das 600 bar Druck - also einer Tiefe von etwa 6.000m - standhält. Aber dafür wiegt es fast 70 Kilogramm! (Foto: Alexander Bochdansky)

Jene Crenarchaea-Art, die sich in Kultur befindet, gewinnt ihre Energie aus der Oxidation von Ammonium und den für den Aufbau der Zelle notwendigen Kohlenstoff aus Kohlendioxid. Wir versuchen nun, weitere Crenarchaeota zu isolieren, vielleicht sogar aus der Tiefsee. Das wird gegenwärtig von mehreren Forschungsgruppen versucht - bisher ohne Erfolg. Aber der Versuch lohnt sich, denn es geht zunächst einmal ohne viel Zeitaufwand. Falls sich aber später in unseren Departments an der Universität Wien herausstellen sollte, dass es uns tatsächlich gelungen ist, diese Archaea zum Wachsen zu bringen, dann erst beginnt die wirkliche Arbeit.

Sonntag, 17 Oktober 2010:

Es regnet heftig, während wir von 6 Uhr morgens bis 21.30 Uhr abends die Sammelgefäße in 5.000 m Tiefe füllen und die Wasserproben, sobald sie an Deck sind, durch einen 0.2 Mikrometer-Filter gießen, um darauf die Mikroorganismen zu sammeln. Für diese Filtrationsanlage steht ein eigener Laborcontainer zur Verfügung, der auf 10°C gekühlt ist. Die Anlage ermöglicht es, 400 Liter Wasser in 30 Minuten zu filtrieren. Sobald dies geschehen ist, wird die Sammelrosette wieder in die Tiefe abgelassen - mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde, was bedeutet, dass es ca. drei Stunden dauert, bis die Sammelrosette wieder an Bord ist.


Die Filtrationsanlagen im Laborcontainer erlauben es, große Mengen an Wasser sehr rasch zu filtrieren - für die molekulare Analyse der Tiefsee-Mikrobengemeinschaften wesentlich. (Foto: Adam Klimiuk)

Insgesamt haben wir bereits 1.600 Liter Wasser aus 5.000m Tiefe filtriert. All die Mühe, um genug Mikroorganismen auf dem Filter zu haben, damit wir zurück an der Universität detaillierte molekularbiologische Analysen von DNA, RNA und Proteinen der Mikroorganismengemeinschaft durchführen können. Daneben sammeln wir auch Viren aus dem Wasser. Während in der Tiefsee ca. 10 Millionen Mikroorganismen pro Liter Wasser leben, finden sich dort bis zu einer Milliarde Viren. Die überwiegende Zahl dieser Viren befällt spezifische Bakterien und Archaea-Arten. Im Vergleich zu den Oberflächenwasserschichten im Atlantik, wo das Verhältnis der Zahl der Viren zur Zahl der Mikroorganismen ungefähr 10:1 ist, beträgt es unterhalb von 2.000m etwa 100:1. Gegenwärtig ist noch völlig unklar, warum es in der Tiefsee so viele Viren gibt. Das Datenmaterial, das wir auf unserer Fahrt gewinnen, wird daher für vielfältige Forschungsfragen und -projekte von Interesse sein!

Das dreijährige EU-Projekt "MOCA: Microbial Oceanography of Chemolitho-Autotrophic planktonic communities" wird von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Herndl vom Department für Meeresbiologie geleitet und startete im April 2010. Projektpartner sind Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Christa Schleper vom Department für Ökogenetik sowie Prof. Dr. Klaus Jürgens vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (D), Prof. Dr. Jarone Pinhassi von der Universität Kalmar (SE) sowie Prof. Dr. Jose Gonzales von der Universidad de La Laguna (ES). Das Projekt wird im ESF-Eurocores Programm "Ecological and evolutionary functional genomics" (EuroEEFG) finanziert.