Am Ende der Forschungsreise

Die Forschungsreise der Pelagia nähert sich ihrem Ende. Nach vier Wochen harter Arbeit und 4.200 km Fahrt durch den offenen Atlantik ist es für das Team des Departments für Meeresbiologie unter der Leitung von Gerhard J. Herndl an der Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen. Erfahren Sie in der letzten Schiffsmeldung, welche spannenden Erkenntnisse die ForscherInnen mit nach Hause bringen und warum es so wichtig für unsere Zukunft ist, das System Ozean besser zu verstehen.

Donnerstag, 4. November:

Nachdem wir mehr als drei Wochen am holländischen Forschungsschiff Pelagia zubrachten, beginnen wir nun, die Arbeiten abzuschließen. Die Pelagia kann 30 Tage auf See bleiben und hat dementsprechend Proviant für beinahe 30 Personen und Diesel an Bord. Süßwasser wird mit der schiffseigenen Entsalzungsanlage gewonnen. Wir hatten bis in die dritte Woche Bananen, Kiwi und Orangen zur Verfügung. Nun sind nur noch Äpfel übrig, die halten sich am längsten. Auch der Vorrat an frischem Gemüse ist aufgebraucht, aber unser Koch ist ein Meister im Bereiten von köstlich schmeckenden Gerichten, auch wenn mittlerweile v.a. Tiefgefrorenes zu Mahlzeiten verarbeitet werden muss.

Gestern machten wir noch einmal Halt, um ein letztes Mal Wasserproben zu nehmen und die Vielzahl der mikrobiellen Parameter zu messen. Heute war das Abschließen der Inkubationen und Messungen sowie Aufräumen an der Tagesordnung. Bei den abendlichen Treffen haben wir in den vergangenen Tagen verstärkt die Ergebnisse der Forschungsfahrt - soweit bereits vorhanden - durchbesprochen und diskutiert.

Unsere fast 9.000 km lange Schleife im Nordatlantik - von Las Palmas zur Vema-Bruchzone im Mittelatlantischen Rücken, dann über 6.000 Meter tiefe Becken nach Norden und wieder zurück nach Las Palmas - hat uns eine Menge an Probenmaterial geliefert. Damit werden wir uns im kommenden Jahr im Labor am Department für Meeresbiologie beschäftigen, bevor die Resultate in diversen Fachjournalen publiziert werden.

Die wohl wesentlichste Erkenntnis dieser Fahrt ist, dass Tiefseemikroben zwar in der Tiefsee aktiv sind, unter den dort herrschenden Druckbedingungen jedoch offenbar weit weniger als unter den Druckbedingungen in den Oberflächengewässern. Wir haben im Antarktischen Bodenwasser - das ca. 50 Jahre in 4.500 bis 6.000m Tiefe verweilt, bevor es in den östlichen Teil des Nordatlantiks durch die Vema-Bruchzone einströmt - die Einbauraten von organischen Verbindungen in Tiefseebakterien sowie deren Ektoenzymaktivität gemessen. Obwohl sich diese Bakterien seit vielen Generationen in diesen Tiefen - mit dem charakteristisch hohen Druck von 500 bar in 5.000m Tiefe - und Temperaturen von weniger als 2°C befinden, wächst die überwiegende Zahl der Tiefsee-Mikroben wesentlich rascher unter geringerem Wasserdruck.


Ein Styroporbehälter für eine Ein-Liter-Chemikalienflasche wurde von den Teammitglieder verziert und mit der Sammelrosette auf 5.000m Tiefe abgesenkt.

Das ist aus zwei Gründen eine wichtige Erkenntnis mit weitreichenden Auswirkungen: Erstens zeigt es, dass die physiologische Anpassung der Mikroorganismen an bestimmte Bedingungen - wie hoher Druck und geringe Temperatur - trotz langer Evolution und stabiler Umweltbedingungen Grenzen hat. Trotz allem gibt es aber einzelne Bakterienarten, die nur unter hohem Druck wachsen können - die sogenannten piezophilen Mikroorganismen. Das Ergebnis, dass Tiefseebakterien unter den Druckbedingungen der Tiefsee eine geringere Aktivität zeigen als unter Oberflächendruck, wirft neues Licht auf die Tiefseegemeinschaften.


In 5.000 m Tiefe lässt der Druck von ca. 500 bar das Styropor auf weniger als ein Zehntel der ursprünglichen Größe schrumpfen.

Die Routinemessungen an Tiefseeorganismen werden alle unter der Annahme durchgeführt, dass sich die Druckänderung in Organismen, die keine Lufteinschlüsse wie zum Beispiel Lungen oder Schwimmblasen haben, nicht auf die Aktivität der Organismen auswirkt. Dies ist offenbar nicht der Fall, wie unsere Arbeiten hier am Schiff zeigten.

Um zu einer realistischen Einschätzung der mikrobiellen Aktivität der Tiefsee zu kommen, die ca. 75 Prozent des Volumens des Ozeans beträgt, sollte die Messung unter den dort herrschenden Druckverhältnissen durchgeführt werden. Dass die Tiefseemikroorganismen offenbar weniger aktiv sind, als Messungen unter Oberflächendruckbedingungen ergeben, bedeutet auch, dass weniger organische Partikel von den sonnendurchfluteten Oberflächenwassern in der Tiefsee benötigt werden als bisher angenommen. Eingehendere Analysen unserer Daten zuhause werden das Bild, das wir hier auf See von den Tiefseemikroorganismen gewonnen haben, sicher weiter verfeinern und mehr Details ans Tageslicht bringen.

Der offene Ozean und die Antarktis sind die einzigen Regionen unserer Erde, die nicht einer bestimmten Nation gehören, sondern tatsächlich internationales Gut sind. Wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass der Ozean in vielerlei Hinsicht unser Leben auf der Erde bestimmt - egal, ob wir in Küstennähe leben oder in einem Binnenland wie Österreich. Wenn sich Meeresströmungen ändern - wie das Phänomen "El Niño" im Pazifik alle paar Jahre zeigt - dann hat das nicht nur lokalen Einfluss, sondern wirkt sich global aus, manifestiert durch Wetteränderungen auch auf anderen Kontinenten.

Der Ozean spielt eine entscheidende Rolle in der Regulation des Klimas und seine Reaktion auf den von uns verursachten Kohlendioxidanstieg in der Atmosphäre wird auch unsere Zukunft bestimmen. Wir sollten daher auch internationale Anstrengungen unternehmen, um das System Ozean besser zu verstehen. Österreichische ForscherInnen lieferten in der Vergangenheit wichtige Beiträge zum wissenschaftlichen Verständnis des Ozeans. Dieser Tradition fühlen wir uns verpflichtet!

Lesen Sie mehr über die Hintergründe der Forschungsfahrt im Artikel "Schiff ahoi für die Wissenschaft!". Im Dossier "Schiffsmeldungen" hielten uns die ForscherInnen via Satellitenverbindung über ihren Arbeitsalltag auf der Pelagia auf dem Laufenden.

Das dreijährige EU-Projekt "MOCA: Microbial Oceanography of Chemolitho-Autotrophic planktonic communities" wird von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Herndl vom Department für Meeresbiologie geleitet und startete im April 2010. Projektpartner sind Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Christa Schleper vom Department für Ökogenetik sowie Prof. Dr. Klaus Jürgens vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (D), Prof. Dr.  Jarone Pinhassi von der Universität Kalmar (SE) sowie Prof. Dr.  Jose Gonzales von der Universidad de La Laguna (ES). Das Projekt wird im ESF-Eurocores Programm "Ecological and evolutionary functional genomics" (EuroEEFG) finanziert.