Togo: Postkoloniale Literaturtheorie vor Ort

Ein Foto-Essay und ein Erfahrungsbericht zur Tagung "Der neue deutsche Kolonialroman und die postkolonialen, kulturwissenschaftlichen und interkulturellen Studien" in Lomé, Togo, von 11. bis 16. April 2014: Von Anfang an ist diese Reise eine Auseinandersetzung mit unseren eigenen, vagen, immer auch klischeebehafteten Erwartungen und deren permanenter Relativierung.

5.30 Uhr Wien Schwechat. Die Reise nach Lomé wird einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Ein langer Stopp in Paris, wegen der Sommerzeit zwei Stunden Differenz. Koloniale Spuren begegnen uns überall: die togolesische Hauptstadt wird vor allem von Fluglinien der ehemaligen Kolonialmächte angeflogen.



Ein müdes "Guten Morgen". Im langsamen Aufwachen noch schnell die Einpackliste durchgehen, erste Erfahrungsberichte zur Einnahme der Malariaprophylaxe, abgebrühte AkademikerInnen in vorgreifender Panik, ja, der Schnaps ist mit, die Hygienetücher, wir werden keinen Salat essen, welchen Lichtschutzfaktor, aha, ich auch.

Die Informationen, die wir im Vorfeld zu Togo sammeln, sind spärlich und beschränken sich auf statistische Zuordnungen: Ein Entwicklungsland, heißt es, nicht auf Tourismus ausgerichtet, erst seit ein paar Jahren politisch stabilisierter. Ein heterogener, in der Kolonialzeit künstlich konstruierter Kleinstaat, im Vergleich zu seinen westafrikanischen Nachbarn Ghana und Benin wirtschaftlich stagnierend, autokratisch regiert. Auf dem Human Development Index befindet sich Togo auf Platz 159 (0,459) von 186 und gehört damit zur Klasse der Staaten mit "Niedriger menschlicher Entwicklung". Österreich liegt auf Platz 18 (0,895), Norwegen führt die Liste an. Togo wäre demnach halb so entwickelt wie Österreich. Was sollen wir uns anhand dieser Zahlen vorstellen?

 

Der Flughafen ist klein und stickig. Wir stehen in der Schlange vor der Passkontrolle. Ein riesiges Foto vom amtierenden Präsidenten Faure Gnassingbé prangt an der Wand, in Uniform schaut er streng zu uns, der General, den wir lieben, sagt die Bildunterschrift. Christophe, unser Wiener Kollege, der aus Benin stammt, diskutiert aufgebracht mit einem togolesischen Geschäftsmann, ja, die Verhältnisse sind lähmend, die Abfertigung wird Stunden dauern, wir lauschen seiner Einschätzung, der wir eher vertrauen als dem, was wir an kleinen Details versuchen zu lesen, ein Mann in weißem Mantel geht durch die Schlange, kontrolliert die erforderliche Gelbfieberimpfung, ist das ein Arzt?, ein Beamter?, wir packen die Impfpässe wieder ein, sind wir beruhigt?, Koffer holen, wir arbeiten uns vor, draußen wartet der Minibus.

Anna Babka, Adjaï Oloukpona-Yinnon und Axel Dunker organisierten die Konferenz explizit mit dem Anspruch, den wissenschaftlichen Schauplatz zu verlagern, hier, in eine ehemalige deutsche Kolonie, um eine andere Form der Begegnung und Beteiligung zu erleichtern. Das Thema ist breit ausgerichtet, um die kritische Hinterfragung von Geschichtsschreibung sowie des vergessenen Erbes Togos über die Folie der Literatur zu ermöglichen.



Drei Temperamente, drei Tonlagen, drei Stimmen treffen in diesem Raum aufeinander. Sie bilden ab, welche wissenschaftlichen Redeweisen da zusammenkommen, die sich nicht auf Anhieb vermischen und manchmal auch Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen geben. Im Laufe der Tagung wird das geschärft, die Poetik des eigenen Denkens schält sich anhand der anderen Tonfälle immer deutlicher heraus, die Ebenen, auf denen gegenseitige Übersetzung stattfindet, werden zahlreicher, das eigene Sensorium für die Situation wächst.

Das Programm ist dicht, es gibt drei Anliegen: Das seltene Zusammentreffen vereint ein Humboldtkolleg mit einer Fachtagung und dem Versuch, ein germanistisches, postkolonial orientiertes Forschungsnetzwerk zu stärken. 60 ForscherInnen aus Benin, Deutschland, Irland, Kamerun, Kroatien, Luxemburg, Österreich, der Schweiz, Tschechien, Togo, Ungarn und den USA tragen dazu bei, dass minoritäre Wissenschaftskritik nicht ausschließlich im akademischen Kontext der Industrienationen stattfindet.



Der erste Tag. Eine steinerne Einfahrt, beschriftet mit Université Lomé, der Bus biegt ab auf den Unicampus, ein riesiges Areal aus Wiesen und kleinen Wäldern, kaum Gebäude,  fußballspielende Studierende zwischen den Bäumen, es ist Samstag Morgen, heiß, schwül, der Bus hält an einem Gebäude, ein verwitterter Betonkubus, der Festsaal ist im zweiten Stock, ein verdunkelter, klimatisierter Raum, von fünf Neonröhren beleuchtet, eine kleine Gruppe engagierter Germanistikstudierender empfängt uns, verteilt die obligaten Badges, Murmeln erfüllt den Raum, alle richten sich auf ihrem Platz ein, gespanntes Warten.

Vertreter aus der Politik, der Diplomatie und der Universitätsadministration eröffnen die Konferenz.



Ein togolesischer Chor singt deutsche Lieder, vom deutschen Botschafter auf der Geige begleitet. Ein Bild, das sich einschleicht, unter der Hand, nicht abzuwehren, eine Missionsschule aus der "Musterkolonie Togo", durchatmen, den Blick senken, und dann doch, ein irritiertes Lachen geht durch die Reihen, leise, weggedrückt. Was war nochmal unser Tagungsthema? Wissen sie es?

Germanistikstudierende führen das Stück "Kassandra oder Die Welt als Ende der Vorstellung" an diesem ersten Abend im Goetheinstitut in Lomé auf. Nach Europa flüchten, die Gewalt, die Gefahr, in Einzelschicksalen thematisiert. Kevin Rittbergers mäßiger Text, in dieser Inszenierung, an diesem Ort berührend, wirkungsvoll. 



Durch das kleine Fenster in der Kabine sehen wir hinunter, an der Tragfläche vorbei, zwischen den Wolken reißt ein Stück Wüste auf, warum gibt es überhaupt Wolken über der Sahara?, und wie sieht sie aus, die Wüste da unter uns? Sie lässt sich in zwei Richtungen durchqueren: wir fliegen privilegiert nach Süden, viele überlassen sich gezwungenermaßen den Schleppern Richtung Norden, es ist nicht dasselbe Stück Land. Ein Viertel aller Flüchtlinge stirbt auf dem Weg. 80 Prozent kommen nie in Europa an. Zahlen, die wir nicht verstehen. Drei Stunden Flug über der Wüste.

Die Tagung findet nicht an der Universität, sondern in den neuen, klimatisierten Räumen des Goetheinstituts im Zentrum von Lomé statt. Ein hochmoderner, voll ausgestatteter Neubau mit einem Mehrzwecksaal, einer Bibliothek und einer Bar im schattigen Innenhof. 2005 wurde es im Rahmen von Ausschreitungen aufgrund einer diplomatischen Krise und der Inszenierung eines binationalen Konflikts zwischen Togo und Deutschland in Brand gesetzt und 2006 neu errichtet. 



Kalt ist es, nach Stunden in diesem Raum, wir nehmen für den nächsten Tag einen leichten Pulli mit, zumindest ein Halstuch, der permanente Temperaturwechsel geht auf die Substanz, jede Kaffeepause 15 Grad Temperaturunterschied, der Schweiß trocknet nicht. Drei volle, dichte Tage in diesem Raum, der seine eigene Realität schafft, was außerhalb stattfindet erahnen wir zuerst nur.


Das Goetheinstitut liegt mitten im Marktviertel im Zentrum der Stadt. Untertags ruheloses Markttreiben, vor Sonnenuntergang langsames Zusammenpacken, in der Dämmerung werden die Straßen mit Palmzweigen gekehrt, dann in der Dunkelheit des einbrechenden Abends sind sie längst wie ausgestorben.



Eine Zigarette entfernt: Lomé. Eine andere afrikanische Realität, gleich hinter der Schwelle des Goetheinstituts. Die Hitze schlägt uns entgegen, es riecht nach Lebensmitteln, Abgasen, Menschen. Unser unabhängig von Tages- und Uhrzeiten funktionierender kontinuierlicher akademischer Duktus wird durchbrochen durch das grelle Licht, ein von der Temperatur und der Tageszeit bestimmtes Leben mit anderen Tempi, gleichzeitig, neben der aufgeräumten afrikanischen Realität der Humboldtstipendiaten und Bibliothekarinnen hinter der Schwelle. Am Abend wieder hinaustreten. Der Mond hängt über dem verwitterten Betonbau gegenüber, eine seltsame Stille auf der Straße, andere Konferenzteilnehmerinnen kommen diskutierend aus dem Hauseingang, schaut, der Mond, schön, ja, wo sind die vielen Menschen hin, was tun die denn, am Abend? Paul, der Germanistikstudent lacht, versteht die Frage nicht, natürlich, das hier ist der Markt, der hat nur untertags geöffnet. 


Trotz des dichten Programms zieht uns die Stadt vor den Toren des Instituts an. Nur wenige Schritte entfernt taucht man ein in ein Treiben, das ganz anderen Regeln zu folgen scheint, als man zu unterstellen gewohnt ist. Zwischen dem Tagungsort und dem Strand liegen ca. 15 Gehminuten, vorbei am Deutschen Dom, der wie ein künstlicher Orientierungspunkt den Weg zum Meer weist, Richtung Süden, zum Äquator hin.



Als wir in kleinen Gruppen durch den Markt schlendern, kommen wir uns zum ersten Mal fast unbemerkt vor, keine Holzfiguren oder Schmuckstücke von allen Seiten, kein Touristenprogramm. Auch keine Touristen. Stattdessen unzählige routinierte Blicke, ein anderer Rhythmus, keine geschäftigen Gesten, dafür lässige Direktheit, spürbares Leben, ungekühltes Fleisch neben unbekannten Früchten, haufenweise gegrillter Fisch. Die vorbeischießenden Motorräder sind überall, auch da, wo es sich gefühlt nicht mehr ausgeht. Die Reflexe passen sich an. Ein teilmotorisierter Tanz ohne Berührungen. Unwirklich wirkt, dass niemand etwas kauft, aber alle da sind.


Ein Unterschied, der uns überall entgegentritt, ist die Fülle an anderen Körperhaltungen und Räumen, die Körper hier einnehmen: Ein Mensch kann ein ganzes Geschäft sein, egal um welche Waren es sich handelt, egal, ob auf der Landstraße oder am Strand. Zwischen zwei Marktständen ist genug Raum, um die Hitze ungestört schlafend zu überdauern. Oft scheint es nicht mehr zu brauchen, als ohnehin vorhanden ist. Erahnte Selbstverständnisse treten uns personalisiert entgegen, erst nach einigen Stunden und Tagen bilden sich Typen und Bewegungsmuster für uns aus. Eigentum nimmt spürbar weniger Raum ein, dafür herrscht eine persönliche Unvoreingenommenheit, unkompliziert kommt es überall zu Gesprächen und Begegnung.



Ich will ein Deo kaufen, streune durch die Marktstraßen, es gibt kleine Tische mit Klopapier, Zahnbürsten, Zahnpasta, Shampoo, Taschentücher, unzählige diese Tische mit der immergleichen Anordnung, eine Frau spricht mich an, was ich suche, sie sagt du zu mir und dann, dort, drei Stände weiter, gegenüber, ja, eine Art Boutique, ich bedanke mich, frage nicht weiter nach der Sonnencreme unter all den Aufhellungsprodukten, dann schnorr ich mir halt ein Patzerl von den andern, zwäng mich an einem Lieferwagen und einem Handkarren vorbei, warte die Motorräder nicht ab, die sich zwischen ihnen durchpressen, eine getriebene Bewegung durch diesen Raum, eher geschoben als gehend, ich mag nicht mehr sitzen.

Ein Ausflug nach Kpalimé, 120 Kilometer nördlich von Lomé. Ein Regentag. Der Reisebus wird von der Universität zur Verfügung gestellt, er sammelt uns am Hotel auf. Es ist der einzige Bus, den wir während unseres Aufenthalts in Togo zu Gesicht bekommen. Wir wollen zu einem Wasserfall in den Bergen. Der Bus muss in der Kleinstadt davor halten. Die Straße sei aufgrund des Regens unpassierbar. Also steuern wir direkt das Restaurant an.



Der Bus hält unerwartet. Ein Dorf auf der Landstraße, wir steigen aus, fünfzehn Minuten Pause. Die DorfbewohnerInnen laufen zusammen, wir beobachten uns gegenseitig, eine eigenartige Begegnung, das unbestimmte Schauen, ein gaffender Schwarm verklumpt an der Flanke des Busses. In Ginflaschen gibt es Ashantinüsse, Christophe handelt den Preis aus, wir fragen nach dem Klo, ja, dort hinten, ein von einem Bambuswall umzäunter Platz, zwei Steine auf dem sandigen Boden, wir halten uns gegenseitig die Handtaschen, draußen, vor dem Zaun, reichen Taschentücher weiter.

Überall treffen wir auch auf die Bilder, die wir erwartet, gewissermaßen schon mitgebracht haben. Hier sind wir für unser Gegenüber leicht einzuordnen und stören nicht lange.



Keine Zäune, nirgends, freilaufende Hühner, unbeaufsichtigte Waren in Säcken, zu groß um sie fortzutragen. Termitenhügel, an die drei Meter hoch. Welche Flächen neben der Straße landwirtschaftlich genutzt werden, fragen wir uns, da wir sie nicht von den brachliegenden unterscheiden können. Welche Pflanzen werden hier angebaut? Zu Zeiten des Deutschen Kolonialismus war dieses "Schutzgebiet" nicht ertragreich, nicht rentabel, heißt es. Die Landschaft bleibt für uns undeutlich, 80 Prozent der Menschen leben angeblich von Landwirtschaft.

Eine der wenigen asphaltierten Hauptdurchzugsrouten. Die Straße führt an der Grenze zu Ghana in den Norden des Landes. Links und rechts von der Straße bewirtschaftetes Land, kleine Dörfer liegen am Weg. Eine mit Natodraht abgesperrte chinesische Landwirtschaftsschule, die zuerst für eine Botschaft gehalten wird, eine Mautstelle, Moscheen und kleine Kirchen, unzählige kleine Geschäfte mit Ersatzreifen für Motorräder, in bunte Folien gewickelt, und gebrauchten Autoreifen.



Der Bus zieht seine Spur durch die Landschaft, immer gerade aus. Wir werden aufgehalten, eine Polizeikontrolle, die Papiere werden überprüft, wir sind nicht auf der angegebenen Route, ja, der Regen, der Busfahrer muss mit auf das Gendarmerierevier, wir parken am Straßenrand, in deutlicher Schräglage, was ist los?, warum stehen wir hier?, der Busfahrer steigt wieder ein, steigt aufs Gas, die Zeit muss eingeholt werden, er hält den Bus in der Mitte der Fahrbahn, hupt alle aus dem Weg, das Recht des Stärkeren, ein Bus voller weißer Menschen scheucht alle kleineren Fahrzeuge vor sich her, wie ein Schlachtschiff sagt Laura, hinten in der letzten Sitzreihe. Ist er nicht eher ein Insekt, mit diesen riesigen Fühlern vorne, die Seitenspiegel? So oder so, ein Ungetüm, sagt jemand aus der vorletzten Reihe.

Mit unserem Bus sind die Wege, die wir kennenlernen können, auf wenige Straßen beschränkt, sodass wir uns gezwungenermaßen bald orientiert vorkommen. Nur einmal versucht der Chauffeur uns bis vor das Institut zu kutschieren, woraufhin wir prompt zwischen Handkarren, Passanten und Marktständen feststecken. In den kommenden Tagen werden wir die letzten 500 Meter zu Fuß gehen. Dass unsere großspurige Form der Fortbewegung nicht gängig ist, zeigt uns nicht nur die Schwerfälligkeit der Gruppe, sondern die Breite der meisten Straßen und Pisten, der Umstand, dass man sich hier auf Motorradtaxis bewegt, wie in einem anderen Kosmos. Spurmarkierungen gibt es, manchmal unbegreiflicherweise, dennoch. Die Bewegungen nehmen aber andere Bahnen.



Bald lernen wir, dass es hier mehr Kolonialnostalgie gibt, als Kritik daran. Zuerst irritiert, langsam verstehend fühlen sich die Gespräche mit den Studierenden nun anders an. Die Rollen der unterschiedlichen Kolonialmächte werden deutlich gewichtet, großartig, die Eisenbahnbrücken der Deutschen, wie lange sie halten. Die Motorräder stammen mittlerweile aus China.

Ein zentraler Topos der kolonialen Literatur: der Palmenstrand. Ein Ort des Ankommens, Eroberns, ein Sehnsuchtsort. Hier ein Randort, die ausgedehnte Peripherie der Stadt, Auslaufbereich vom Zentrum. Eine kleine symbolische Wüste, Menschen sitzen im Schatten, einige werfen heruntergefallene Kokosnüsse gegen die Stämme der Palmen, Bänke ohne Lehnen, verfallene Piers. Sonntagnachmittag dann, Treffpunkt für alle.



Gehen Sie nicht an den Strand, heißt es, nicht in der Nacht, nicht alleine, eigentlich gar nicht. Warum denn nicht? Das Meer, wir wollen doch nur kurz ans Meer. Da ist die erste schon losgegangen, und alle andern hinterher.


Vor der Abreise werden wir im Konsulat sachte gewarnt, nicht vor Kriminalität im europäischen Sinne, doch aber vor unsicheren Gegenden, dem Strandstrich vor allem. In der Gruppe erleben wir dann die Dämmerung dort, nie kommt ein Gefühl von Unsicherheit auf. Die Freundlichkeit der Menschen, die uns begegnen, birgt manchmal ambivalente Gesten, Tonfälle, bleibt aber jederzeit entspannt, unaufdringlich.

 

Die Stimmung ist ausgelassen, dem Meer zuhören, den Wind auf der Haut fühlen. Nein, ins Wasser sollten wir nicht, die Strömung, da weiß man nie, stellt euch zusammen, für das Foto, dort.  Ein langer Zug Chinesischer Frachtschiffe in Warteposition vor dem Hafen, Schiffstau also, in der Nacht sind sie beleuchtet und wirken wie eine zweite Stadt. Das Fußballstadion wurde von den Chinesen erbaut, der Togolesische Staat konnte nicht zahlen, jetzt gehört ihnen der Hafen für zwei Jahre, hat Paul erzählt, im Bus vorhin, habt ihr die Geschichte gehört?

Die Gespräche in der Gruppe fangen nur einen Bruchteil des Erlebten ein, vieles bleibt unverstanden, unbefragt, bestenfalls erahnt. Deutlich und einprägsam werden die Bilder – und wie sehr wir sie lesen, aktiv interpretieren, oft mit unzureichenden Mitteln. Überall durchdringen sich die Texte, wie am Sandstrand: von der Mittagsruhe, der Arbeitslosigkeit, dem Verfall, dem langsamen Aufbau, dem Warten, der Lethargie, der Unzufriedenheit, der Machtlosigkeit, der Freundlichkeit, der Offenheit, der Gefahr, dem Rand, dem Treffpunkt, den Palmen, den Klischees – den Eindrücken selbst. (Alle Fotos: Matthias Schmidt und Christophe Adjassoho)



Beide AutorInnen sind DissertantInnen an der Universität Wien: Ursula Knoll, "Geständige Nazis: Sexualität und NS-Täter_innenschaft in der Literatur", Betreuung Anna Babka gemeinsam mit Wolfgang Müller-Funk, Universität Wien; Matthias Schmidt, "'Versehrtes Erkennen' – Differenzsensible Schreibstrategien im Exil bei Walter Benjamin und Siegfried Kracauer", Betreuung Anna Babka gemeinsam mit Wolfgang Müller-Funk, Universität Wien. Christophe Adjassoho, von dem einige der Fotos stammen, ist ebenfalls Dissertant an der Universität Wien.