Netzwerken in Afrika

Wie werden soziale Medien in Afrika genutzt? Im Rahmen der Semesterfrage trifft uni:view Adams Bodomo und Martina Kopf, ExpertInnen für afrikanische Sprachen und Literaturen an der Universität Wien. Besprochen werden neue literarische Genres, Apps "Made in Africa", große Themen der sozialen Medien – und Kassetten.

uni:view: In Afrika nutzen immer mehr Menschen das Internet – das war auch ein Thema Ihrer Veranstaltung "Schnittpunkt Afrika – African Languages and Literatures in the Era of Social Media". Ist die digitale Kluft zwischen Afrika und Europa bald überwunden?
Martina Kopf: Ich denke, hier muss differenziert werden. Die Zahl der UserInnen wächst tatsächlich sehr schnell: Waren beispielsweise in Ghana im Jahr 2000 nur 30.000 Menschen "online", sind es heuer schon acht Millionen. In absoluten Zahlen ist die digitale Kluft aber noch immer sehr groß: AfrikanerInnen machen nur neun Prozent der weltweiten NutzerInnen aus.  

Adams Bodomo: Und da ist viel Potenzial nach oben. Ich war erst kürzlich in meinem Heimatland Ghana und konnte eine regelrechte "Jagd" auf Wi-Fi beobachten. Die Menschen verfügen über die nötige Hardware, aber oft fehlt noch die Internetverbindung.

Internetnutzung Ghana und Österreich im Vergleich (2016)
Quelle: Internetworldstats, Medienforschung ORF, countrymeters.info

uni:view: Was sind denn die großen Themen in den afrikanischen sozialen Medien?
Kopf: Ein Thema war zum Beispiel das Coming-Out des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina während eines TED-Talks, das Diskussionen um Homosexualität ins Rollen gebracht hat. Die Debatte ist nicht neu: Die einen behaupten, Homosexualität sei aus dem Westen importiert worden. Andere sagen, dass es Formen der gleichgeschlechtlichen Liebe seit jeher in Afrika gegeben hätte, die Reglementierung von Sexualität bzw. Homophobie jedoch mit den EuropäerInnen, vielmehr mit den großen Religionen, nach Afrika gekommen sei. Über soziale Medien werden ganz stark Werte ausgehandelt und das kulturelle Erbe Afrikas re-interpretiert.

Bodomo:
Es werden soziale Probleme, Demokratiemangel und Ökonomie besprochen, aber es gibt natürlich nicht nur diese Makroebene. Auf der Mikroebene geht es viel um lokale Persönlichkeiten und Gossip. In gewisser Weise wird dort die Diskussion aus der Palm-Wine-Bar (Anm. d. Red.: lokales Beisl, in dem alkoholhaltiger Palmwein ausgeschenkt wird) weitergeführt. Ein großes Thema, an das ich mich erinnere, war der Tod Nelson Mandelas im Jahr 2013 – auch ich habe damals ein Gedicht dazu geschrieben und auf Facebook veröffentlicht.

Auf welchen Sprachen wird in Afrika getwittert? Angaben in Prozent, Stand: 2015. Quelle: Portland

uni:view: Viele AutorInnen publizieren Texte über soziale Medien – inwiefern bringt das eine neue Dynamik in die literarische Landschaft Afrikas?
Bodomo:
Viele AutorInnen teilen ihre Gedichte online, bekommen Feedback, verändern daraufhin ihre Texte. Durch soziale Medien entstehen neue Formen. In Japan zum Beispiel hat die junge Autorin Mika 2015 mit einem interaktiven Handy-Roman begonnen. Sie hat kurze Episoden per Textnachricht verschickt – eine Geschichte, die klein begonnen hat, wurde inzwischen verfilmt. Diese Form des Schreibens hat auch in Afrika große Wellen geschlagen und es gibt mittlerweile Cellphone-Novels in Hausa und Zulu. Eine andere Textform, die ich auch oft mit meinen Studierenden diskutiere, ist die der YouTube-Gedichte. Die Plattform erlaubt es, Links, Film, Audio etc. einzubauen und hebt sich so deutlich von der klassischen gesprochenen Poesie ab.

Kopf: Viele AutorInnen-Kollektive sind in den letzten Jahren entstanden und veröffentlichen online. Es gibt ja auch Hierarchien, wer publizieren kann, wer gelesen wird – durch digitale Medien können diese Hierarchien zum Teil umgangen werden. Erfolgreiche Beispiele sind Femrite, eine Frauenliteraturinitiative aus Uganda, und das panafrikanische Kollektiv Jalada. Es gibt auch ausgezeichnete Literaturblogs, auf denen Interviews, Kommentare und Meinungen veröffentlicht werden, zum Beispiel dient uns Brittle Paper als wichtige Informationsquelle.

Medien in der Diaspora: früher und heute?
Als Adams Bodomo (hier mit Frau und Tochter) in den 1990er Jahren in Norwegen studierte, besprach er noch Kassetten und schickte sie per Post zu seiner Familie nach Ghana. Erst kürzlich war Bodomo von der Afrikanischen Union eingeladen, ein Diaspora Tool Kit mitzuentwickeln und es herrschte Konsens: Zugang zu sozialen Medien ist ein entscheidender Faktor, um den Kontakt mit dem Heimatland aufrechtzuerhalten und sich im Ausland zu vernetzen. (Foto: privat)

uni:view: Menschen wollen sich in sozialen Netzwerken austauschen und miteinander kommunizieren – sind die meisten Apps "Made in Africa" denn dazu da?  
Bodomo: Sollte man meinen… Aber viele der Apps dienen dem Geldtransfer. "M-Pesa" (Anm.: das Swahili-Wort für "Geld") zum Beispiel ist eine beliebte App, die den Geldtransfer aus dem Ausland – Stichwort: Diaspora – aber auch innerhalb Afrikas möglich macht. Tele-Medizin ist ebenso ein Feld, in dem laufend Apps entstehen. Viele Menschen in ländlichen Gegenden haben keinen Zugang zur medizinischen Versorgung und konsultieren ÄrztInnen in den großen Städten via Smartphones.

uni:view: Der Hashtag #bringbackourgirls ging um die Welt. Welche Potenziale sehen Sie in sozialen Medien, wenn es darum geht, auf gesellschaftliche Missstände in Afrika aufmerksam zu machen?
Kopf:
Soziale Medien können da viel leisten. Ich denke an den Ausbruch von Gewalt in Kenia nach den Wahlen 2007. Die SchriftstellerInnen-Initiative Kwani Trust hat damals Menschen über soziale Medien aufgerufen, ihre Erfahrungen zu teilen, um ein unmittelbares Archiv und  ein gemeinsames Gedächtnis für die traumatischen Erlebnisse zu schaffen.

Bodomo: Durch soziale Medien werden gesellschaftliche Probleme sichtbarer und können – auch entgegen des hierarchischen Gefälles – mit vielen Menschen geteilt werden. Darin liegt das Potenzial, politisch zu mobilisieren – das hat nicht nur der Arabische Frühling gezeigt. Noch ein Beispiel aus Ghana: Am 7. Dezember stehen die Wahlen an und der Polizeichef hat angekündigt, dass er im Wahlkampf "aus Sicherheitsgründen" Facebook & Co. blockieren könne. Das hat für große Unruhe im Land gesorgt, Menschen nehmen soziale Medien auch als politische Plattformen wahr.

uni:view: Und wenn wir weiterdenken – wie werden wir in der digitalen Zukunft leben?
Bodomo:
Eine gute Frage … Wir mögen denken, wir seien heutzutage revolutionär und lachen herzhaft über das Besprechen von Kassetten. Aber im Grunde genommen sind wir erst am Anfang. In der Zukunft muss ich mich nicht manuell ins Wi-Fi einloggen, alles wird automatisch miteinander verbunden sein. Vielleicht auch durch einen kleinen Chip unter der Haut. (lacht)

Kopf:
Wie auch in der digitalen Gegenwart: mit Herz, Körper und Verstand. Die, die dazu Zugang haben, werden die Technologien unmittelbarer, mittels Hirnimpulsen, bedienen. Die Grenzen zwischen denen, die dazu gehören, und denen, die nicht dazu gehören, werden weniger zwischen Kontinenten und Regionen, zwischen globalem Süden und globalem Norden verlaufen, sondern mehr innerhalb von Regionen und Gesellschaften.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)

Univ.-Prof. Dr. Adams Bodomo, BA MA MPhil PhD ist Vorstand des Instituts für Afrikawissenschaften und Leiter der Forschungsplattform Global African Diaspora Studies. In seiner Forschung beschäftigt er sich u.a. mit Sprachen und Literatur Afrikas in der Ära von sozialen Medien, Afrikanischer Poesie und Diasporaforschung.

Mag. Dr. Martina Kopf unterrichtet sowohl am Institut für Afrikawissenschaften als auch am Institut für Internationale Entwicklung. Sie arbeitet u.a. zu Urban Stories, Schreiben und Publizieren im Afrika der Gegenwart, Postkolonialismus und Repräsentation.