"Der Kompromiss ist das Salz der Demokratie"

Vielerorts ist zu hören, dass sich die Demokratie in der Krise befindet. Im Interview spricht die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner im Rahmen der Semesterfrage über die Gefahr von Trump und Co, ein zunehmend fluides Parteiensystem und demokratiepolitische Verfehlungen.

uni:view: Frau Holzleithner, Sie beschäftigen sich u.a. mit Theorien von Gerechtigkeit. Landläufig gilt die Demokratie als die gerechteste Staatsform. Wie demokratisch ist Österreich?
Elisabeth Holzleithner: In der Demokratie ringen wir von sehr unterschiedlichen Positionen aus um die Regeln unseres Zusammenlebens; damit ist Demokratie gewissermaßen immer in der Krise. Im Wahlkampf wird dies, wie jetzt in Österreich, besonders deutlich. Dabei gibt es ein auffälliges Phänomen: Die Institution der politischen Partei wird zunehmend in Frage gestellt. Parteien gelten als abgehoben, es wird kritisiert, dass sie die Bevölkerung nicht mehr wirklich repräsentieren. Der Trend geht dahin, sich als "Bewegung" darzustellen, mit einem charismatischen Politiker als Zugpferd. Ob das zu einer stärkeren Demokratisierung führt, ist eine andere Frage.

uni:view: Im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie in Österreich hat die Schweiz seit Jahrzehnten eine direkte Demokratie. Würde das in Österreich auch funktionieren?
Holzleithner: In der Schweiz gibt es eine lange Kultur der direkten Demokratie, wo in Volksabstimmungen Richtungsentscheidungen getroffen werden. Die Bevölkerung ist darin eingeübt, sich intensiv und differenziert mit den anstehenden Fragen zu befassen. So können auch Dinge, die unpopulär anmuten, beschlossen werden, wie zum Beispiel Steuererhöhungen. Eine derartige Kultur gibt es in Österreich nicht, und in Zeiten eines zunehmenden Populismus dürfte es auch schwer sein, sie aufzubauen. Andererseits werden aber auch hierzulande wichtige direktdemokratische Impulse gesetzt, wenn man etwa an das aktuelle Frauenvolksbegehren denkt.


uni:view: Kürzlich veröffentlichte der Zeithistoriker Oliver Rathkolb eine Studie zu Demokratie und Österreich. Eines der Ergebnisse war, dass sich rund 43 Prozent der ÖsterreicherInnen einen starken Mann als Führungsperson wünschen. Woher kommt Ihrer Meinung nach der Ruf nach Autorität, insbesondere auch nach männlicher Autorität?

Holzleithner: Viele Menschen haben offenbar den Eindruck, dass der demokratische Gesetzgeber angesichts gravierender Herausforderungen, von Migration über zunehmende soziale Ungleichheit bis Klimawandel, nicht vehement genug agiert. Um den gordischen Knoten solcher Krisenerscheinungen durchzuhauen, existiert ein Wunsch nach einer Führerfigur, die die anstehenden Probleme ein für alle Mal löst. Und es scheint, als müsste das ein Mann sein.

Politik und politische Entscheidungskraft sind noch immer sehr stark männlich besetzt, wie die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten zeigt. Hillary Clinton hat es sicher nicht genützt, eine Frau zu sein. Andererseits finde ich es spannend, dass gerade konservative Parteien oft sehr erfolgreiche Politikerinnen hervorbringen, z.B. Margaret Thatcher oder Angela Merkel. Und fast noch bemerkenswerter sind die weiblichen Vorsitzenden rechter Parteien, wie Marine Le Pen.

uni:view: Die Grünen werben mit dem Slogan "Sei ein Mann, wähle eine Frau". Was halten Sie von dieser Taktik?
Holzleithner: Dieses Plakat ist wohl eine Antwort auf den Vorwurf, dass die Grünen eine zu stark "verweiblichte" Partei seien. Die Botschaft lautet, dass es nicht unmännlich ist, eine solche Partei zu wählen. Allerdings ist das Plakat in seiner Zuspitzung demokratiepolitisch verfehlt, denn es wird ja nicht bloß die Spitzenkandidatin gewählt. Und die Grünen haben ein Reißverschlusssystem, d.h. die Hälfte aller KandidatInnen sind ohnehin Männer. Das geht mit einer solchen Werbestrategie auch unter.

uni:view: Trump, Erdogan, Putin und Co. Für wie gefährlich halten Sie diesen Typ Politiker?
Holzleithner: Für brandgefährlich. Das Potenzial der Gefahr hängt davon ab, wie die Demokratien aufgestellt sind. Sicher ist hier die USA mit ihren jahrhundertelangen demokratischen Traditionen besser gerüstet als etwa die Türkei oder Russland. Aber ein polternder Politiker wie Trump, der sexistische und rassistische Ressentiments bedient, den starken Mann spielt und im Zuge dessen auch immer wieder Rechtsstaatlichkeit und die Rolle der Gerichte untergräbt, ist für die politische Kultur wirklich verheerend.

Vorlesungstipp: Im Rahmen der Ringvorlesung "Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil!" hält Elisabeth Holzleithner am Donnerstag, 19. Oktober, 13.15 Uhr, einen Vortag unter dem Titel "Diskriminierung und Diskriminierungsschutz".

Man kann nur hoffen, dass die Institutionen stark genug sind und die Gegenbewegung in den USA doch so vehement ist, dass diese zerstörerische Kraft sich nicht mit aller Wucht realisieren kann. Eine moderne Demokratie ist ja in ein System von Menschenrechten, Grundfreiheiten, Partizipationsmöglichkeiten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung eingebettet. Es ist wichtig, dass dieses ausbalanciert ist, und dass nicht die Exekutive alle Macht an sich reißt.

uni:view: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung von Demokratie in Österreich?
Holzleithner: Früher gab es ein kompaktes Parteiensystem, die Sozialdemokratie auf der einen Seite und die christlich-soziale Volkspartei auf der anderen. Dieses System scheint zu zerbröseln, die ehemaligen Großparteien werden immer kleiner. Schaut man zum Beispiel nach Frankreich, ist bei der letzten Wahl die sozialdemokratische Partei quasi pulverisiert worden. Es ist viel in Bewegung, und das politische System ist jetzt schon wesentlich fluider und weniger vorhersehbar.

Eine weitere Tendenz ist die Zunahme an QuereinsteigerInnen in die Politik. Sie geht mit dem Trend weg von Parteien, hin zu Bewegungen einher; "der Berufspolitiker" ist zunehmend ein Feindbild. Aber auch QuereinsteigerInnen sind früher oder später mit der Realität des politischen Lebens konfrontiert: Das besteht nicht aus Glanz und Glamour von öffentlichen Auftritten, sondern aus der Knochenarbeit im Parlament, in den parlamentarischen Ausschüssen, wo gut informierte ParlamentarierInnen um Entscheidungen ringen müssen – und die bestehen meist in Kompromissen. Es wird gerne auf Kompromisse geschimpft, aber der Kompromiss ist das Salz der Demokratie. Die Vorstellung, es könnte in schwierigen politischen Fragen einen Konsens geben, ist angesichts des gesellschaftlichen Pluralismus absurd – man muss Kompromisse schließen können.

uni:view: Demokratie und Nationalstaat. Ein glückliches Paar?
Holzleithner: Das ist eine der großen Fragen, auf die es keine glückliche Antwort gibt: Inwieweit ist Demokratie als System auf Nationalstaaten angewiesen? Die Institution des Nationalstaats wird ja aus guten Gründen massiv kritisiert. Nationalismus ist eine besonders gefährliche Untugend, auch führt der Nationalstaat zu Abschottung und Ausgrenzung. Es ist klar, dass Demokratie als Selbstbestimmung von Menschen übereinander auch eine bestimmte Form von Ein- und Ausgrenzung braucht – sonst lässt sich das Werk nicht regulieren. Aber das müsste nicht der Nationalstaat sein, und innerhalb des Nationalstaats müsste demokratische Mitbestimmung nicht so strikt an die Staatsbürgerschaft gebunden sein. Hier über Alternativen nachzudenken, auch im Kontext der Europäischen Union, das ist eine spannende Herausforderung.

uni:view: Zum Abschluss unsere Semesterfrage an Sie: Was ist uns Demokratie wert?
Holzleithner: Ich möchte die Frage ein wenig anders stellen: Was sollte Demokratie uns wert sein? Ich denke hier an das Bildungssystem. Im Idealfall wird hier nicht nur Wissen vermittelt und die Fähigkeit eines kritischen Umgangs mit Informationen, sondern es wird auch respektvolles Zusammenleben eingeübt. Menschen, die dieses Bildungssystem durchlaufen, sollen mündige BürgerInnen werden, die auch Lust dazu haben, sich auf Politik einzulassen und sie als zwar schwieriges, komplexes, aber auch lohnendes Geschäft zu sehen und anzugehen. Demokratie ist letztlich die Verantwortung von uns allen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Wintersemester 2017/18 lautet "Was ist uns Demokratie wert?".

Zur Person:
Elisabeth Holzleithner ist seit Oktober 2014 Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies an der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Politische Philosophie mit Schwerpunkt auf Menschenrechte und Theorien der Gerechtigkeit, Legal Gender & Queer Studies, Recht und Literatur sowie Recht und Populärkultur.