Die Macht der Bilder (Teil II)
| 01. Juni 2015Im zweiten Teil des Interviews spricht der Assyriologe Michael Jursa von der Universität Wien über den IS unter Druck, über die Rationalität hinter den Inszenierungen des Islamischen Staates und warum Rauchen als "böse" gilt.
uni:view: Geht es dem IS bei den aktuellen Zerstörungen von Kulturgütern tatsächlich "nur" um die Bilderfeindlichkeit bzw. die Auslöschung vorislamischer Denkmäler?
Jursa: De facto zerstören diese Leute nicht nur vorislamische Kulturgüter, sondern auch islamische Heiligtümer, die nicht ihrer Interpretation entsprechen. Es geht um die Hegemonie über Bilder und um einen ideologischen Kampf um die Dominanz im öffentlichen Raum. Die Kulturgüterzerstörungen sind gleichzeitig ein Schlag gegen alle Versuche, eine nicht religiös konnotierte säkulare Basis für die Gesellschaft zu schaffen. Dementsprechend darf es auch nicht verwundern, dass diese Zerstörungs-Videos zu einem Zeitpunkt aufgetaucht sind, als der IS im Irak unter Druck gekommen ist.
uni:view: Bedient sich der IS noch anderer medialer Inszenierungen abseits der Kulturgüterzerstörung?
Jursa: Ja, Rüdiger Lohlker hat bei unserer Konferenz berichtet, dass es andere Videos gibt – strukturell ganz ähnlich gemacht –, die zeigen, wie die IS-Leute Zigaretten zusammensammeln und öffentlich verbrennen, da das Rauchen als westlich gilt und daher abzulehnen ist. Neben der Elimination von Bildern und religiösen Symbolen, die nicht in das IS-Weltbild passen, geht es dem IS auch um das Unterdrücken von Gewohnheiten, die als unislamisch gesehen werden, wie eben das Rauchen.
uni:view: Es lässt sich durchaus sagen, dass der Islamische Staat eine große Medienaffinität besitzt …
Jursa: Ja, es ist sein Wunsch, auch auf symbolischer Ebene den Diskurs zu dominieren. Dazu gehört mittlerweile eben auch die Herrschaft über den virtuellen Raum. Das macht der IS sehr professionell; so ist bekannt, dass z.B. Webdesigner aus Indonesien angeworben werden. Der IS verwendet die Medien und die Videos, um zu dokumentieren, dass er in der Lage ist, die eigenen ideologischen Ansprüche umzusetzen. Und das Ganze wird durchaus unter Bezugnahme auf westlich geprägte Sehgewohnheiten inszeniert.
Es ist auch eine Inszenierung der Freude am Zerstören. In die Videos wurden Zeitlupensequenzen eingebaut, beispielsweise wenn in einer Szene der Kopf einer Statue herab fällt, oder der Hammer darauf schlägt. Da ist Formwille dahinter. Die Macher dieser Videos haben ein gutes Verständnis davon, was visuell effektiv wirkt. Nichts ist hier irrational – diese Menschen wissen genau, was sie tun. Die Videos der Zerstörungen sind offensichtlich inszeniert. Was dort jedoch nicht gezeigt wird, ist die Tatsache, dass der IS gut transportable Objekte nicht zerstört, sondern auf den (illegalen) Antikenmarkt bringt, wo sie auch an in westliche Staaten weiter verkauft werden. Dieser Handel mit Antiquitäten stellt ohne jeden Zweifel eine wichtige Einkommensquelle für den IS dar. Die Videos implizieren auch eine Art Erpressung: "Kauft uns die Sachen ab, sonst zerstören wir sie."
uni:view: Der IS verkauft Antiquitäten an den Westen, inszeniert die Videos nach westlichem Vorbild, doch am liebsten würden seine Anhänger in einer Welt ohne Westen leben …
Jursa: Man kann den Westen aus der Welt des IS nicht wegdenken. Sie kommunizieren ja auch mit uns: Die Videos sind natürlich eine Provokation an den Westen. "Regt euch auf", im Sinne einer durchaus rationalen politischen Meinung; man will schockieren und den Ruf des IS verbreiten.
uni:view: Wie sehen Sie die Entwicklung des IS in den nächsten Jahren?
Jursa: Der IS wird im Nordirak letztendlich wohl zurückgedrängt werden. Schon jetzt ist er in Schwierigkeiten, hört man. Ob sich das grundsätzliche Problem deswegen lösen wird, ist eine andere Frage. Das ginge nur über eine Stabilisierung des Irak, insbesondere im Hinblick auf die konfessionellen Spannungen. Die Regierung in Bagdad müsste den Sunniten ein glaubhaftes Angebot zur Machtteilhabe machen und sie so ins Boot holen.
uni:view: Wie sieht die Lage in anderen arabischen Ländern aus?
Jursa: In Syrien ist die Situation wohl noch verfahrener, weil dort mehr Parteien involviert sind und nach wie vor die Regierung Assad Teile des Landes kontrolliert – mit iranischer Unterstützung. Da sehe ich derzeit keine Lösung. Die Eroberung von Palmyra vor wenigen Tagen zeigt, wie stark der IS dort im Augenblick ist. Im Jemen wiederum hat sich Saudi-Arabien eingemischt und die dortigen Sunniten unterstützt. Generell sind derzeit die Spannungen zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien der Katalysator für viele Konflikte im Vorderen Orient – mehr noch als das Spannungsfeld Israel vs. arabische Welt.
uni:view: Vielen Dank für das Interview! (td)
Lesen Sie mehr: Im ersten Teil des Interviews spricht Assyriologe Michael Jursa über die Hintergründe der konfessionellen Konflikte im Irak und die totalitäre Weltsicht des Islamischen Staates.
Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Jursa ist Vorstand des Instituts für Orientalistik an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.