Buchtipp des Monats von Brigitta Busch
| 18. September 2017Jeder Mensch ist mehrsprachig. Wir alle pendeln täglich zwischen verschiedenen Sprechweisen und begegnen einer Vielfalt von Sprachen. Die Linguistin Brigitta Busch untersucht das Phänomen Mehrsprachigkeit in all seinen unterschiedlichen Facetten.
uni:view: Das Thema Mehrsprachigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Karriere. Was fasziniert Sie persönlich an Sprachen bzw. Sprachenvielfalt?
Busch: Ich habe viele Jahre im zweisprachigen Gebiet Kärntens gelebt und Slowenisch gelernt, was damals, in den 1970er, 80er Jahren, unüblich war, denn es herrschte die Meinung vor, dass es "nichts bringt", eine Minderheitensprache zu lernen. Dabei habe ich hautnah miterlebt, wie soziale Machtbeziehungen und Ausschlüsse über Sprachfragen ausgetragen werden. Andererseits wurde mir bewusst, wie durch die für mich neue Sprache neue soziale Beziehungen entstehen konnten und wie sich für mich über den slowenischsprachigen Raum hinaus ein Fenster zur slawischsprachigen Welt geöffnet hat.
Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch die Erfahrung, dass gelebte Mehrsprachigkeit nicht auf Dichotomien wie Herkunfts- und Zielsprache, Erst- und Fremdsprache oder Regional- und Weltsprache reduziert wird und Sprachen nicht als voneinander getrennte Einheiten gesehen werden, sondern dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass das sprachliche Repertoire eine Gesamtheit bildet, auf die wir – der Interaktions-Situation und dem Kontext entsprechend – zurückgreifen können. Eigentlich ziehe ich dem Begriff Mehrsprachigkeit jenen der Heteroglossie vor, ein Begriff, den der russische Literaturwissenschafter und Sprachphilosoph Michail Bachtin in den 1930er Jahren geprägt hat. Gemeint ist damit die Vielfalt an Sprachen, Registern, Jargons, Dialekten und kreativen Ausdrucksweisen, über die jeder Sprecher, jede Sprecherin verfügt, weil er oder sie sich in verschiedenen sozialen Räumen bewegt.
uni:view: Sie unterrichten auch an der University of Cape Town in Südafrika, einem Land wo fast jede/r EinwohnerIn mehrsprachig ist. Wie unterscheidet sich der Zugang zu Sprache in Südafrika zu Österreich?
Busch: Es ist interessant, dass gerade meine Kärntner Erfahrungen zum Verhältnis von Sprache und Macht mich nach Südafrika geführt haben, wo diese Fragen nach dem Ende der Apartheid im Zentrum standen. Die demokratische Verfassung des neuen Südafrika erkennt elf offizielle Sprachen als gleichberechtigt an und wertet damit jene auf, die zur Zeit der Apartheid als minderwertig bezeichnet wurden. Dennoch bleibt heute noch sehr viel zu tun, um die realen Machtverhältnisse, die sich in zählebigen Sprachideologien verfestigt haben, zu verändern. Ich empfinde es als großes Privileg, dass ich seit bald zwanzig Jahren einen kleinen Beitrag in diesem Prozess leisten darf – lange Jahre zusammen mit Neville Alexander, einem Vorkämpfer einer auf soziale Gerechtigkeit und Partizipation abzielenden Sprachenpolitik, der für seine Überzeugungen zehn Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island inhaftiert war.
Was die Unterschiede zu Österreich betrifft, so wäre anzumerken, dass bei uns ein Diskurs dominiert, demzufolge Österreich ein monolinguales Land ist, obwohl das natürlich nie der Fall war, in der Vergangenheit ebenso wenig wie heute, wo Mobilität und Migration zu einer größeren sprachlichen Diversifizierung geführt haben als je zuvor. Statt sich an eine Fiktion von Einsprachigkeit festzuklammern, gilt es die Herausforderung der Mehrsprachigkeit anzunehmen.
uni:view: Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist das emotionale Spracherleben. Können Sie kurz skizzieren was damit gemeint ist?
Busch: Beim Konzept des Spracherlebens geht es darum, wie sich Menschen selbst und durch die Augen anderer als sprachlich Interagierende wahrnehmen, in welcher Art sie durch andere positioniert werden und sich diesen gegenüber positionieren wollen. Spracherleben ist nicht neutral, es ist mit sprachideologischen Bewertungen und körperlich-emotionalen Erfahrungen verbunden, damit, ob man sich in einer Sprache bzw. im Sprechen wohl fühlt oder nicht. Das emotional besetzte Spracherleben ist ein Aspekt, dem in der Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit lange Zeit wenig Beachtung geschenkt wurde, weil der Fokus zu exklusiv auf Sprachkompetenzen und messbare Leistungen gelegt wurde. Es handelt sich also letztlich darum, das sprechende und erlebende Subjekt in die Sprachwissenschaft zurückzuholen.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
1 x "Mehrsprachigkeit" von Brigitta Busch
1 x "Reibungsverluste" von Mascha Dabić
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Busch: Dieses Jahr ist in der edition atelier der Roman "Reibungsverluste" der jungen österreichischen Autorin Mascha Dabić erschienen. Im Buch geht es um die Erfahrungen einer Dolmetscherin, die in der Psychotherapie mit Flüchtlingen arbeitet. Ich habe den Roman nicht nur aus fachlichen Gründen mit großem Interesse gelesen, sondern auch weil es sich um eine authentische und kluge Erzählung handelt, die so spannend geschrieben ist, dass ich für die Lektüre nur zwei Nächte gebraucht habe.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Busch: Detailreich, präzise und anschaulich bringt die Autorin den LeserInnen den Alltag einer Dolmetscherin nahe, die immer wieder mit extrem belastenden Erfahrungen anderer konfrontiert ist. Mascha Dabić schöpft für ihr Buch aus dem Vollen: Sie arbeitet seit zwölf Jahren als Dolmetscherin im Konferenz- und Asylbereich in den Sprachen Englisch, Russisch, Deutsch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und als Lehrende an den Instituten für Translationswissenschaft der Universitäten Wien und Innsbruck. Als Übersetzerin hat sie sich intensiv mit literarischen Texten aus dem Balkanraum beschäftigt, als Journalistin hat sie sich immer wieder mit dem Thema Migration auseinandergesetzt. Man kann auf ihre demnächst vorliegende Dissertation an der Universität Wien gespannt sein. Sie trägt den Titel "Dolmetschen in der Psychotherapie: Gratwanderungen, Oszillationen, Annäherungen".
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Busch: Das Buch gibt denen ein Gesicht und eine Stimme, die früheren Lehren zufolge die Mission hatten, sich so unsichtbar wie möglich zu machen und sich als quasi neutrale Instanz zu verstehen, die ohne Reibungsverluste zwischen den Sprachen vermittelt. (td)
Brigitta Busch ist u.a. am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien tätig.