Buchtipp des Monats von Anna Babka und Matthias Schmidt
| 15. Mai 2017Eine langjährige Freundschaft verbindet Anna Babka und Matthias Schmidt von der Universität Wien mit der Filmemacherin und Autorin Trinh T. Minh-ha. Im Interview sprechen sie über ihr jüngstes gemeinsames Buchprojekt.
uni:view: Was hat Sie dazu bewogen, als HerausgeberInnen der aktuellen Publikation "Elsewhere, Within Here. Immigration, Flucht und das Grenzereignis" von Trinh T. Minh-ha zu fungieren?
Anna Babka und Matthias Schmidt: Zum einen blicken wir auf eine lange Freundschaft und Kooperation mit Trinh T. Minh-ha zurück, die in Berkeley begann und zuerst zur Publikation von Trinhs bahnbrechendem und einflussreichem Hauptwerk "Woman Native Other. Postkolonialität und Feminismus schreiben" führte. Zum anderen sind wir begeistert von Trinhs poetisch-politischer Wissenschaft. Trinhs Wege der Befragung und Theoriebildung sind von kunstvollen und ganz eigenwilligen Zugängen geprägt und in einer poetisch anmutenden Form verfasst, die herkömmliche wissenschaftliche Schreibweisen durchkreuzt. Die Besonderheit von Trinhs Denken liegt überdies in ihrem transdisziplinären, von verschiedenen künstlerischen Disziplinen (Film, Komposition, Literatur) her informierten Ansatz. Ihre ausdrucksstarken und bilderreichen Ausführungen demonstrieren eine eindrucksvolle Alternative zum analytischen Interpretieren, da sie Sprache als vielschichtige und machtvolle Trägerin von Emotionen sichtbar und nutzbar macht. Und nicht zuletzt ging es uns darum, Trinhs Werk im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen, dessen Rezeption zu forcieren.
uni:view: Die Themen des Buches könnten nicht aktueller sein. Was kann eine Publikation zur aktuellen Situation beitragen?
Babka und Schmidt: Die Texte, die in "Elsewhere, Within Here" versammelt sind, erkunden und vermessen die Themen Grenze, Flucht und Migration und entfalten dabei ein vielschichtiges Spektrum dieser Phänomene, die Trinh als maßgebliche Problemstellungen unserer Gegenwart deutet. Trinh formuliert eine eindeutige politische Position und entwickelt zugleich, wie gerade angedeutet, auch für die Narrativierung von Grenzphänomenen neuartige Verfahren der Theoretisierung. Zum einen deckt sie die politischen Ursachen von Fluchtbewegungen und Migration schonungslos auf und trägt damit zur Bewusstseinsbildung bei. Sie exponiert konkrete politische Anliegen, denen zugleich der Ruf nach konsequentem Engagement eingeschrieben ist. Auch gelingt es ihr, komplexe Überlegungen anhand von leicht nachvollziehbaren, alltagspraktischen Fragestellungen darzulegen.
Zum anderen konfrontiert Trinh ihre LeserInnen in theoretischer Hinsicht mit einem breiten Spektrum ästhetisch-epistemischer Verflechtungen und Denkfiguren, die sie als grundlegende Bedingungen jeglichen politischen Handelns entschlüsselt. Künstlerische Praktiken und Brechungsmuster dienen ihr als komplexe induktive Werkzeuge. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist ein schillerndes Spektrum von Begriffen und Konzepten, die es ihr erlauben, die Vielbödigkeit von Migrations- und Fluchtbewegungen in bisher kaum erreichter Komplexität zu beleuchten und zu analysieren: Gebündelt um den Fokus des "Grenzereignisses" treten Figurationen wie die/der Fremde, die/der TouristIn, MigrantInnen und geflüchtete Personen nicht nur in den Blick, sondern auch entlang ihrer jeweiligen Voraussetzungen untereinander in einen konzeptuellen Polylog. Die besondere Stärke liegt also in der Kombination einer Perspektive, die sich bewusst an der Komplexität ihres Gegenstandsbereichs abarbeitet und es dennoch schafft, die darin wirksamen politischen Zusammenhänge pointiert zu formulieren.
uni:view: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Autorin Trinh T. Minh-ha?
Babka und Schmidt: Am Anfang, 2001, stand ein Forschungsaufenthalt von mir, Anna Babka, in Berkeley, der zu einem ersten Kennenlernen führte und zur Idee, "Woman Native Other" ins Deutsche zu übersetzen. Seit diesem Zeitpunkt existiert eine kontinuierliche Zusammenarbeit und ein Austausch, der sich bei einem weiteren Forschungsaufenthalt von uns beiden in Berkeley vertiefte und mehrere Treffen, auch in Europa, nach sich zog. Die nun fast fünfzehn Jahre dauernde Beziehung verläuft sehr freundschaftlich, professionell und vertrauensvoll. Eine bedeutende Rolle in dieser engen Forschungskooperation spielten natürlich auch die ÜbersetzerInnen dieser doch sehr anspruchsvollen Texte, da diese ein großes Gespür sowohl auf der sprachlichen wie auch der inhaltlichen Ebene erfordern.
uni:view: Das Buch ist in der von Ihnen gegründeten Reihe "aka|texte" erschienen. Was ist das Anliegen dieser Reihe?
Babka und Schmidt: aka|texte sind das wesentliche Publikationsmedium des Vereins aka / Arbeitskreis Kulturanalyse, der seit Juni 2013 existiert. aka ist ein offenes interdisziplinäres Netzwerk für Menschen, die am Wissenschafts- und Kulturbetrieb interessiert oder selbst in diesem tätig sind. Unser Ziel ist es, Kulturanalyse als eine stark theoretisch reflektierte Auseinandersetzung mit symbolischen Formen und kulturellen Praktiken zu betreiben und so Kultur- und Gesellschaftsanalyse, die wir durchwegs politisch verstehen, zu verbinden. Ein besonderes Anliegen ist uns neben der gegenseitigen Unterstützung und Kritik die Einbindung und Förderung von JungwissenschafterInnen.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
1 x "Elsewhere, within here: Immigration, Flucht und das Grenzereignis" von Trinh T. Minh-ha, herausgegeben von Anna Babka und Matthias Schmidt
1 x "Lexikon der Kulturanalyse" von Mieke Bal
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Babka und Schmidt: Den programmatischen dritten Band der aka|texte, das "Lexikon der Kulturanalyse" der niederländischen Theoretikerin Mieke Bal.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Babka und Schmidt: Bal entwickelt darin ein Panorama dessen, was unter Kulturanalyse verstanden werden kann: nämlich einem weiten und nie fixierten Kulturbegriff zu folgen und theoretische Kategorien, Kunstwerke und gesellschaftliche Praxen gleichermaßen als kulturelle Objekte zu lesen. Der Band ist formal einem Wörterbuch nachempfunden, sodass man der niederländischen Kulturtheoretikerin und Kunsthistorikerin Buchstabe für Buchstabe, Eintrag für Eintrag, bei der analytischen Arbeit über die sprichwörtliche Schulter schauen kann. Es gelingt ihr dadurch, theoriegeleitete Zugänge und eine eingehende Beschäftigung mit einzelnen Gegenständen auf spielerische Art in ein dialogisches Verhältnis zu setzen, das die Grundlagen und Perspektiven der Kulturanalyse in anschaulicher Weise nachvollziehbar werden lässt.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Babka und Schmidt: Beide Texte, sowohl Trinhs "Elsewhere" als auch Bals "Lexikon der Kulturanalyse" erlauben es uns, die so wichtige Verbindung, die zwischen wissenschaftlicher Begriffsarbeit, kulturell-kodierten Bedeutungen und politischem Handeln besteht, zu analysieren und diese oftmals getrennt behandelten Bereiche zusammenzudenken. Dadurch wird deutlich, dass die eingehende Beschäftigung mit den Kategorien und Mechanismen unseres Denkens niemals bloß Selbstzweck, sondern die Basis für das Verständnis von und die konkrete Teilhabe an politischen Prozessen ist. (td)
Assoz. Prof. Mag. Dr. Anna Babka und MMag. Matthias Schmidt lehren und forschen am Institut für Germanistik an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.