Ernst Karner: Interessenausgleich im Recht

Ob bei Verkehrsunfällen, Arztfehlern oder in der Finanzkrise – mögliche Schadenersatzansprüche können oft nur in langen und schwierigen Gerichtsverfahren geklärt werden. Für Ernst Karner, seit Oktober 2011 Professor für Zivilrecht, sind Gerechtigkeit und Ausgewogenheit dabei stets die obersten Prinzipien.

"Die Rechtswissenschaften sind deshalb so faszinierend, weil man versuchen muss, Interessenskonflikte möglichst gerecht und ausgeglichen zu lösen", so Ernst Karner von der Universität Wien über die persönliche Begeisterung, die ihn mit der Juristerei verbindet. "Ars aequi et boni – die Kunst des Guten und Gerechten", zitiert der Fachmann eine klassische Definition des römischen Juristen Publius Iuventius Celsus, die im Laufe der Jahrhunderte zu einer universalen Leitlinie geworden ist.

Im Schadenersatzrecht, jenem Fachgebiet, das sich thematisch wie ein roter Faden durch die wissenschaftliche Laufbahn des gebürtigen Wieners zieht, bekommt dieser Grundsatz eine besondere Bedeutung. "Hier gibt es keinen Opfer- und Täteranwalt. Man muss sich sowohl mit dem Schädiger als auch mit dem Geschädigten auseinandersetzen", erklärt der renommierte Experte, der im Laufe seiner Karriere zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat – u.a. den Figdor-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (1997) und den Walther Kastner-Preis des Verbandes der österreichischen Banken und Bankiers (2005).

Karriere in Wien

"Angefangen hat alles eher zufällig", blickt Ernst Karner zurück: "Ich wollte eigentlich immer Rechtsanwalt werden." Doch nach Ende des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Wien im Jahr 1993 sei er gefragt worden, ob er nicht Interesse an einer Assistentenposition im Straf- oder Zivilrecht hätte. "Ursprünglich wollte ich mir das nur für ein Jahr anschauen, letztendlich bin ich aber dann doch deutlich länger geblieben", erinnert er sich.

Heute ist er ein ausgewiesener Zivilrechtsexperte mit Forschungsschwerpunkten im Österreichischen und Europäischen Schadenersatzrecht, Sachenrecht, Schuldrecht und in der Rechtsvergleichung. Sein umfassendes Fachwissen ist dabei auch abseits des universitären Umfelds gefragt: so etwa beim Bundesministerium für Justiz, das ihn 2001 als Mitglied in eine ExpertInnengruppe zur Reform des Österreichischen Schadenersatzrechts einlud, oder bei der Aufsehen erregenden Rechtsprechungswende bei Schock- und Trauerschäden naher Angehöriger, die Karner mit seinen Arbeiten wesentlich mitgestaltet hat. "Die Verbindung von Praxis und Theorie ist mir sehr wichtig. Das Recht entwickelt sich schließlich ständig weiter und muss mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten", betont der Jurist.

Über den Tellerrand schauen

"Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich vor allem mit nationalem Recht beschäftigt. Es reicht aber heute nicht mehr, sich alleine auf Österreich zu konzentrieren. Man muss die Entwicklung in ganz Europa im Auge behalten", stellt Karner klar. Denn erst der Vergleich der mittlerweile insgesamt 27 europäischen Rechtsordnungen zeige die positiven und negativen Aspekte der einzelnen nationalen Lösungen auf, was wiederum deren Verbesserung ermöglicht.

Derartige internationale Rechtsvergleiche zählen zu den fachlichen Steckenpferden des dreifachen Vaters, der als Deputy Director des Instituts für Europäisches Schadenersatzrecht (ETL) sowie des European Centre of Tort and Insurance Law (ECTIL) und als Mitherausgeber des "Journal of European Tort Law" fungiert.


"Im Rahmen einer großen rechtsvergleichenden Studie zum Schadenersatzrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention haben wir die dazu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der vergangenen 20 Jahre analysiert. Dadurch wurden Stärken und Schwächen erkennbar, und wir konnten auf Basis der unterschiedlichen europäischen Rechtsordnungen Anregungen geben", so Ernst Karner (Bildmitte, 1. Reihe, mit Direktoren und MitarbeiterInnen des ETL und ECTIL).



Lehre und Forschung

In der Forschung hat der Jurist, der sich privat für geisteswissenschaftliche Themen wie Geschichte, Kultur und Musik begeistert, einiges vor: "Ich habe seit eineinhalb Jahren ein Buch zum Thema Schutz vor Naturgefahren und Haftung ziemlich fertig in meiner Schublade liegen, das ich gerne abschließen möchte. Aktuell befasse ich mich zudem intensiv mit dem Zusammenhang zwischen Finanzkrise und Schadenersatzrecht", erläutert Karner: "Können beispielsweise Banken oder Rating-Agenturen gegenüber einem Drittpublikum haftbar gemacht werden?"

Die Professur für Zivilrecht, die Karner seit Oktober 2011 an der Universität Wien innehat, sieht er nicht nur als Anerkennung bisheriger Leistungen, sondern auch als Möglichkeit für eine zielgerichtete Nachwuchsförderung: "Ich möchte bei den Studierenden die Freude an der juristischen Arbeit wecken und ihnen helfen, ein vernetztes Denken zu entwickeln, damit sie die Lösungen selbst herleiten können." (ms)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Ernst Karner, Professor für Bürgerliches Recht am Institut für Zivilrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, zum Thema "Menschenrechte und Schutz der Persönlichkeit im Zivilrecht" findet am Montag, 27. Mai 2013, um 18 Uhr gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer (zum Porträt von Gabriele Kucsko-Stadlmayer in uni:view), stellvertretende Vorständin des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht, im Großen Festsaal der Universität Wien statt. Die beiden Antrittsvorlesungen stehen unter dem Motto: "Perspektiven des Menschenrechtsschutzes in Österreich und Europa".