Wie "entstehen" Eltern?

Steigende Bildung und Erwerbschancen von Frauen sowie unterschiedliche Karenzmodelle haben kaum etwas an der traditionellen Rollenverteilung zwischen Vater und Mutter geändert. So das bisherige Ergebnis einer Studie, die im Rahmen eines EU-Projekts am Institut für Soziologie durchgeführt wird.

Vorweihnachtszeit in Österreich: Teilzeitarbeitende Mütter backen nachmittags mit ihren Kindern Kekse, während die Väter in der Arbeit sind. Klischee oder Wirklichkeit? "In Österreich ist die Teilzeitquote bei Frauen mit Kindern unter sechs Jahren signifikant höher als in anderen europäischen Ländern, während die Väter dieser Kinder hierzulande überwiegend Vollzeit arbeiten", bestätigt Cornelia Schadler vom Institut für Soziologie der Universität Wien das vorherrschende Bild. Anders als bei Frauen hat der Übergang zur Elternschaft faktisch keine Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit der Männer.

Familien als EU-Projekt

"Die veränderten Rahmenbedingungen, wie höhere Bildung von Frauen und verschiedene Karenzmodelle, haben daran bisher nichts geändert", so Schadler. Diese materiellen Rahmenbedingungen – und wie sie sich beim Übergang zur Elternschaft auf die Verteilung von Erwerbs- und Erziehungsarbeit auswirken – analysieren die SoziologInnen der Universität Wien im Rahmen eines EU-Projekts: Caroline Berghammer, Cornelia Schadler, Irene Rieder, Eva-Maria Schmidt sowie Ulrike Zartler arbeiten dabei unter der Leitung von Rudolf Richter sowie in Zusammenarbeit mit österreichischen Stakeholdern. Ziel des Projekts ist es, jene Prozesse zu identifizieren, die Ungleichheiten verstärken oder ausgleichen – die Ergebnisse sollen die Grundlage für entsprechende familienpolitische Maßnahmen auf EU-Ebene schaffen.


Fertilität und Migration sind große Themen in Brüssel. Deshalb arbeitet das EU-Projekt "FamiliesAndSocieties – Changing families and sustainable societies: Policy contexts and diversity over the life course and across generations" familienrelevante Themen in den EU-Ländern auf. Einer der 25 Projektpartner ist die Universität Wien: Am Institut für Soziologie wird unter der Leitung von Dekan Rudolf Richter der Aspekt "Gendered Transition to Parenthood" untersucht. (Foto: Erich Westendarp/Pixelio)



In der Retraditionalisierungsfalle

Plant ein Paar das erste Kind, so ändern sich parallel dazu auch meist die Wertvorstellungen der werdenden Eltern. War die Arbeitsaufteilung zuvor noch recht egalitär, so herrscht spätestens nach der Geburt – meist schon während der Schwangerschaft – die Meinung vor: "Es ist vielleicht doch besser, wenn die Mutter das erste Jahr beim Kind bleibt". Und schon ist die "Retraditionalisierungsfalle" zugeschnappt.

Wie das genau passiert, soll nun die Studie zeigen: "Dafür befragen wir Paare in Wien vor und nach der Geburt ihres Kindes", erzählt Teilprojektleiter Rudolf Richter. Der methodische Ansatz – eine qualitative Längsschnittstudie und eine Analyse quantitativer Daten – sowie die innovative Fragestellung machen das Projekt einzigartig. "Die Studie thematisiert, wie die Art der Karenzmodelle sowie die vielen Formulare und Elternratgeber auf die werdenden Eltern einwirken. Von der Verbindung qualitativer Längsschnittsdaten mit quantitativen Paneldaten erhoffen wir uns neue Ergebnisse über das Zusammenspiel von Karenzmodellen, Strukturmerkmalen und alltäglichen Prozessen", so der Soziologe.

Einfluss der "Form"

Dabei zeigen vor allem die Karenzmodelle sehr deutlich, wie die Form den Inhalt bestimmt: So ist es für die meisten Paare ganz selbstverständlich, dass z.B. beim Modell "12+2" die Mutter zwölf Monate in Karenz geht und der Vater zwei – und nicht umgekehrt. Obwohl das gesetzlich nicht so festgelegt ist. "Allein die festgeschriebene Form beeinflusst die Entscheidungsprozesse: So könnte die Form '7+7' ganz andere Diskussionen bzw. Entscheidungen hervorrufen", nennt Rudolf Richter ein Beispiel.

Auch die Gründe, warum Frau bzw. Mann in Karenz geht, sind unterschiedlich: Die Frauen – getrennt von den Männern befragt – argumentieren eher kindzentriert: "Ein Kind braucht seine Mutter" oder "Eine gute Mutter sollte das erste Jahr beim Kind sein". Die Männer sprechen hingegen von "persönlicher Weiterentwicklung" oder "Vorteilen für den Arbeitgeber". Die Karenzmodelle sind zwar nicht die Hauptfragestellung des Projekts, "aber sie zeigen sehr gut, dass auch bei nach außen hin egalitären Modellen im Kern traditionelle Rollenbilder vorherrschen", betont Richter.
 


Die "typische" österreichische Familie ist als "Modified Male Breadwinner"-Familie organisiert: Der Mann ist hauptverantwortlich für die Subsistenz. In Europa unterscheidet sich v.a. das skandinavische vom südeuropäischen System: In Skandinavien ist die Familie individualistisch ausgerichtet, in Spanien herrscht eine Orientierung zur Gruppe hin vor. Hier unterstützt die Familie, nicht der Staat; in Skandinavien zielen familienpolitische Maßnahmen darauf ab, Frauen und Männern gleiche Chancen zu ermöglichen. (Foto: Erysipel/Pixelio)



Gender als Ergebnis von Praktiken

Im Detail wollen die SoziologInnen der Universität Wien wissen, wie der Retraditionalisierungsprozess beim Übergang zur Elternschaft aussieht – und wie aus Frauen und Männern Mütter und Väter werden: "Dafür schauen wir uns, plakativ gesagt, an, was die werdenden Eltern tun", erklärt Projektmitarbeiterin Zartler. Sprich: Wem sagen sie – und in welcher Reihenfolge –, dass sie ein Kind erwarten, welche Formulare füllen sie aus, wer meldet was einer bestimmten Behörde, wer liest welche Ratgeber, wie gehen GynäkologInnen mit den Paaren um und wie erleben werdende Eltern nicht nur die Schwangerschaft, sondern auch die Stadt bzw. ihre Umgebung.

Dabei zeigt sich, dass die befragten Paare – unabhängig vom Bildungsniveau – den Übergang zur Elternschaft auf recht ähnliche Weise gestalten und nur einige individuelle Akzente setzen", so die Soziologin, "und zwar auch deshalb, weil die Prozesse so stark formalisiert sind." Die Zuständigkeiten sind z.B. sehr klar nach Geschlechtern aufgeteilt: Die Einholung von Wissen – zum Thema Schwangerschaft, Kindererziehung usw. – liegt meist bei der Frau", betont Zartler und ergänzt: "Der Transitionsprozess wird also nicht nur von den Personen selbst gesteuert, sondern auch von dem, was sie tun müssen, um Eltern zu werden: 'Gender' ist hier auch das Resultat von Strukturen, die der Staat und die Wirtschaft mitdefinieren."

Im Kern traditionell

Obwohl sich die Strukturen verändert haben – Beispiel AlleinerzieherInnen, unverheiratete Paare, Patchworkfamilien oder gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern –, sind die Vorstellungen, wie Kinder aufwachsen sollen, in den letzten Jahrzehnten nahezu gleich geblieben. "Familien werden meist auf ein normatives Modell der Kernfamilie nivelliert", schließt Ulrike Zartler. Sprich: Trotz des Anstiegs "alternativer" Familienmodelle bleibt die traditionelle Kernfamilie als Vorbild bestehen. (ps)


Dieser Artikel erschien im
Forschungsnewsletter Dezember 2013.

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Das Projekt "Gendered Transition to Parenthood. Becoming and Being a(n) (Unequal) Parent: Mothers and Fathers in Pregnancy and Early Parenthood" ist Teil eines von zwölf "Work Packages" des groß angelegten EU-Projekts "FamiliesAndSocieties" mit der Universität Stockholm als Koordinator. Projektleiter des Work Packages ist Univ.-Prof. Dr. Rudolf Richter, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien. Projektmitarbeiterinnen sind: Mag. Dr. Caroline Berghammer, Mag. Dr. Cornelia Schadler, Irene Rieder, Bakk. MA, Mag. Eva-Maria Schmidt, Bakk. MA und Mag. Dr. Ulrike Zartler-Griessl – alle vom Institut für Soziologie der Universität Wien.