Frühes Christentum: Auf Spurensuche in Ungarn

Was verraten archäologische Funde über das frühe Christentum in Ungarn? Ein bilaterales Forschungsprojekt unter der Leitung von Renate Pillinger schickt ExpertInnen der Universitäten Wien und Pécs auf eine spannende Spurensuche in die Anfangszeit der Kirchengeschichte unseres Nachbarlands.

Der christliche Glaube wurde im Jahr 313 durch Kaiser Konstantin erstmals als Religion anerkannt. Anschließend verbreitete er sich überall im Römischen Reich und verdrängte die alten heidnischen Götter. Die spannende Zeit des frühen Christentums – vom Tode Jesu bis zur sogenannten Konstantinischen Wende Anfang des vierten Jahrhunderts – birgt aus heutiger Sicht noch viele Rätsel und offene Fragen.

"Wissenschaftlich gesehen ist in diesem Bereich noch sehr viel zu holen", bestätigt Renate Pillinger, Leiterin der Abteilung für Frühchristliche Archäologie des Instituts für Klassische Archäologie. Nicht umsonst hat sich die Expertin gerade dieses Thema als persönlichen Forschungsschwerpunkt ausgesucht.


Die Fundstücke, die Renate Pillinger und ihr internationales Team erfassen und dokumentieren, sind sehr unterschiedlich. Im Bild eine Fibel (Gewandspange) aus Intercisa/Dunaujvaros. "Durch das angebrachte Christogramm ist sie frühestens in die Konstantinische Zeit zu datieren. Ob sie allerdings dadurch auch einen Christen als Träger bestimmt, lässt sich nicht nachweisen, da dieses Zeichen so etwas wie ein Logo war", erklärt die Archäologin. (Foto: Intercisamuseum)



Warum Ungarn?

Warum gerade Ungarn? "Weil dieses Land in der Forschung zu dieser Periode bislang sträflich vernachlässigt worden ist. Obwohl es dort sehr viele frühchristliche Denkmäler gibt, haben sich mit ihnen bislang fast nur ungarische WissenschafterInnen beschäftigt. Hier besteht großer Nachholbedarf", sind sich Renate Pillinger, Co-Projektleiter Zsolt Visy von der Abteilung für Archäologie der Universität Pécs und Projektkoordinator Levente Nagy – die Kooperationspartner im Rahmen des bilateralen Projekts – einig. "Uns geht es um eine umfassende kulturgeschichtliche Bewertung der frühchristlichen Monumente der ehemaligen Provinzen Valeria und Pannonia Prima", erläutert Pillinger.

Endziel ist die Publikation einer zeitgemäßen, mit Farbaufnahmen versehenen Monografie über das frühe Christentum in Ungarn. Darin sollen nicht nur die frühchristlichen Denkmäler systematisch erfasst werden, sondern auch wichtige literarische Quellen enthalten sein. "Das jüngste Buch zu diesem Thema ist mittlerweile über zehn Jahre alt. Wir haben heute viele neue Möglichkeiten, die wir nutzen möchten", so die Forscherin, "etwa moderne 3D-Visualisierungen".


Dieser Artikel erschien im
Forschungsnewsletter Dezember 2013.

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Unter der Stadt


Doch bevor es soweit ist, muss sich das österreichisch-ungarische Projektteam zunächst einmal auf die Suche nach Denkmälern und Fundstücken aus der entsprechenden Epoche begeben. Ob Kirchenbauten, Grabstätten oder auch Privathäuser – die Bandbreite an interessanten Objekten ist groß. "Es ist aber nicht immer einfach, an die Stücke heranzukommen", sagt Pillinger: "In Pécs gibt es beispielsweise eine riesige Nekropole – einen frühchristlichen Friedhof. Die Gräber sind zum Großteil unter der heutigen Stadt."

In der Regel wird die archäologische Suche allerdings mithilfe der ungarischen Museen erledigt. "Wir kontaktieren die verantwortlichen Stellen und fragen nach, ob wir die für uns relevanten Objekte aufnehmen und dokumentieren dürfen".


Unter der Erdoberfläche der heutigen Stadt Pécs findet sich die Grabkammer Nr. 2: "Die Darstellung eines Kruges in der Nische der Nordwand weist vielleicht auf einen Grabkult hin. Die christliche Verwendung lässt sich allerdings damit nicht belegen", meint die Expertin. (Foto: Renate Pillinger)



Beeindruckende Zwischenbilanz


Die erste Zwischenbilanz ist beeindruckend. Weit mehr als 200 Denkmäler und Fundstücke hat das engagierte internationale Team bereits zusammengetragen und erfasst. Die Dokumentation liefert eine genaue Beschreibung der Objekte inklusive der Maße und Angaben zum verwendeten Material. "Nach der Autopsie und Katalogisierung geht es darum, die Denkmäler anhand von Vergleichsbeispielen in den kulturgeschichtlichen Kontext zu stellen und ihr Alter zu bestimmen", schildert Pillinger.


Das Bild zeigt einen Silberlöffel im Balatonmuseum in Kesthely/Fenékpuszta. "Dabei handelt es sich nicht um ein liturgisches, sondern, wie viele Vergleichsbeispiele aus anderen Regionen belegen, um ein Alltagsgerät, allerdings der Luxusklasse", so Pillinger. (Foto: Renate Pillinger)



Obwohl bis zur endgültigen Buchveröffentlichung "noch ein, zwei Jahre" vergehen werden, zeichnen sich schon wichtige Erkenntnisse ab: "Wir müssen einzelne Interpretationen von Monumenten sowie deren Geschichte und Zweck völlig neu bewerten. Aufgrund moderner Analysemöglichkeiten sind einige Zuordnungen – etwa "christlich" bzw. "nicht christlich" – zu revidieren", resümiert die Archäologin.

Mit dem laufenden Projekt verfolgt Renate Pillinger, die sich selbst als "wissenschaftlichen Nimmersatt" bezeichnet, aber auch noch ein anderes Ziel: "Mir ist besonders wichtig, dass der akademische Austausch zwischen Ungarn und Österreich gefördert wird – sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Unsere Studierenden waren etwa Anfang September auf Projektreise bei unseren Nachbarn, und diese waren auch schon an der Universität Wien zu Besuch." (ms)

Das Projekt "Frühes Christentum in Ungarn" wird von Univ.-Prof. Dr. Renate Johanna Pillinger (Abteilung für Frühchristliche Archäologie des Instituts für Klassische Archäologie der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät) und Univ.-Prof. Dr. Zsolt Visy (Abteilung für Archäologie der Universität Pécs) geleitet und läuft von 1. Juli 2013 bis 30. Juni 2014. Als Koordinator fungiert der Oberassistent Dr. habil. Levente Nagy, unter Mitarbeit der ArchäologInnen und StudentInnen Claudia-Maria Behling, Ferenc Fazekas, Olivér Gábor, Stefanie Hofbauer, Krisztina Hudák, Elisabeth Lässig, István Lovász, Réka Neményi und Ádám Szabó. Förderträger ist die Stiftung Aktion Österreich-Ungarn.