Kopflose Würmer fliehen vor Licht

Urtümliche Borstenwürmer sehen Licht auch dann, wenn ihnen "der Kopf dazu fehlt": Sie haben nämlich neben einem Paar "normaler" Augen und zusätzlichen "Äugelchen" am Kopf auch über den Körper verteilte Lichtsinneszellen, fanden ForscherInnen der Max F. Perutz Laboratories / Universität Wien heraus.

"Bereits vor über hundert Jahren haben Zoologen herausgefunden, dass manche Tiere auch an anderen Stellen des Körpers Augen haben, nicht nur am Kopf", erklärt Florian Raible vom Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik, Gruppenleiter an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL). So haben etwa Lanzettfischchen Augen im Rückenmark und Palolowürmer Bauchaugen. Bisher habe man dies als kuriose Ausnahmen abgetan.

Neue Ergebnisse des Teams um den ERC Starting Grant-Preisträger Florian Raible zeigen nun, dass die Evolution offensichtlich nicht so "engstirnig" war, den Lichtsinn immer nur auf den Kopf zu beschränken. "Mit den heutigen molekularbiologischen Methoden ist man in der Lage, die evolutionären Zusammenhänge zu erforschen", so der Forscher. Die Studie wird im Journal PNAS erscheinen.

Lichtsinneszellen auf den ganzen Körper

Um die Augenentwicklung zu untersuchen, haben die ForscherInnen in Meeres-Borstenwürmern (Platynereis) eine bestimmte Klasse an Lichtsensoren – die sogenannten "r-Opsin-Zellen" – mit einem grün fluoreszierenden Eiweißstoff markiert. Verwundert stellten sie fest, dass daraufhin außer den Augen und zusätzlichen Äugelchen im Kopf der Würmer auch in den Füßchen und im bauchseitig gelegenen Nervensystem (Bauchmark) einzelne Zellen leuchteten. Sogar die Nervenfortsätze dieser Lichtsinneszellen waren im Mikroskop zu sehen: Sie endeten im zentralen Nervensystem der Würmer, das dem Rückenmark der Wirbeltiere entspricht.



Dass die Würmer auch außerhalb des Kopfes über Lichtsinneszellen  verfügen, deren Ausläufer in das Bauchmark der Tiere reichen, war für die ForscherInnen eine überraschende Entdeckung. Das Bild zeigt eine grün markierte Zelle in den segmentalen Beinchen der Würmer. Ein Teil der neu entdeckten Zellen scheint auf ein uraltes, paralleles Lichtsinnes-System zurückzugehen, das wohl auch im Vorläufer der Wirbeltiere existierte. (Foto: Florian Raible)




Sehen ohne Augen

Die Tiere können also anscheinend auch dann noch Licht wahrnehmen, wenn man sie ihrer Augen "beraubt": Auch Würmer, denen man den Kopf abgeschnitten hatte – sie können auch ohne Kopf wochenlang überleben –  reagieren auf Licht. Etwa flüchten die kopflosen Tiere, wenn ihr Schwanz angeleuchtet wird. "In der Natur könnte ihnen diese Fähigkeit helfen, sich vor Fressfeinden in Sicherheit zu bringen und etwa zu verhindern, dass noch der Schwanz oder ein Beinchen aus dem Versteck hervorschaut."

Lebende Fossilien

Wegen ihrer urtümlichen Eigenschaften werden die Borstenwürmer von manchen WissenschafterInnen als "lebende Fossilien" bezeichnet. So nennt man Lebewesen, die ihren Bauplan seit oftmals Jahrmillionen nur sehr wenig verändert haben. "Die Studie lässt vermuten, dass ähnliche Lichtsinneszellen außerhalb des Kopfes schon in unseren ältesten Vorfahren existierten", ergänzt Kristin Teßmar vom Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik, ebenfalls Gruppenleiterin an den MFPL. (APA)