Fossiler Fund verbindet Kontinente
| 28. Januar 2015Die rund 55.000 Jahre alten Überreste eines Gehirnschädels wurden von einem internationalen Team der Universität Wien und des Max-Planck-Instituts Leipzig mit modernsten Computer-Methoden untersucht. Damit könnte eine Lücke im Wissen über unsere eigene Herkunft geschlossen werden.
Bisher fehlte jede Spur von jenen modernen Menschen (Homo sapiens), die von Afrika aus ihren Weg nach Norden nahmen. Vor circa 45.000 Jahren kamen sie in Europa an und ersetzten alle anderen menschlichen Lebensformen. Nun wurde im Norden Israels in der Manot-Höhle ein Fund gemacht, der diese Auskunft über unsere eigene Herkunft geben könnte. Die rund 55.000 Jahre alten Überreste eines Gehirnschädels wurden einem Team aus israelischen ForscherInnen und AnthropologInnen der Universität Wien sowie des Max-Planck-Instituts Leipzig untersucht. Die Ergebnisse, welche einen Teil der Menschheitsgeschichte in Raum und Zeit neu verbinden, erscheinen nun aktuell im Fachjournal "Nature".
In einer abseits gelegenen Nische…
Manot ist eine Karsthöhle im Norden Israels, sehr nahe der libanesischen Grenze. Die ersten Forschungen dort begannen 2010 und laufen bis heute. Entdeckt wurden unzählige archäologische Objekte, die eine Besiedelung der Höhle seit mehr als 100.000 Jahren belegen. Vor circa 30.000 Jahren stürzte schließlich das Dach der Höhle ein und versiegelte die Fundschichten bis in unsere Tage. Neben Steinwerkzeugen und Tierknochen erhielten sich auch einige wenige menschliche Überreste. Der spektakulärste Fund wurde in einer etwas abseits gelegenen Nische der Höhle gemacht: Eine sehr gut erhaltene "Kalotte", also der Oberteil eines Gehirnschädels. Der Gesichtsschädel, der viele diagnostische Merkmale für Paläoanthropologen aufweist, fehlte leider.
Die Manot Kalotte (Original) von oben betrachtet. Gut sichtbar sind die Schädelnähte und die bräunlich gefärbte Kalzit-Patina. (Foto: Gerhard Weber) |
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"Virtuelle Anthropologie" ermöglicht Identifizierung
Die traditionellen Methoden der Anthropologie erlauben nur ein sehr grobes Bild der Klassifikation eines Gehirnschädels, der sich hauptsächlich durch seine gleichmäßige Wölbung auszeichnet. Durch die an der Universität Wien in den letzten 15 Jahren entwickelten Verfahren der "Virtuellen Anthropologie", bei der dreidimensionale Daten von Objekten mit ausgefeilten mathematisch-statistischen Methoden analysiert werden, war es möglich, zu wesentlich schärferen Aussagen zu kommen. Gerhard Weber vom Department für Anthropologie der Universität Wien wurde daher von den israelischen ForscherInnen zur Mitarbeit eingeladen.
Unter der Lupe
Zusammen mit seinem früheren Doktoranden Philipp Gunz, der nun am Max-Planck-Institut in Leipzig forscht, wurden computertomographische Aufnahmen unter die Lupe genommen. Dabei haben die Forscher an der virtuellen Repräsentation von Manot und einigen hunderten anderen Gehirnschädel sehr viele Messpunkte in dichter Anordnung gesetzt, die die Gestaltunterschiede erfassen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten aufzeigen.
Es stellte sich heraus, dass der Fund nicht nur zeitlich genau in die bisher unbekannte Phase der Auswanderung aus Afrika passt, sondern auch von seiner Morphologie her perfekt die Lücke schließt. Weber erklärt: "Die Gestaltanalysen zeigen ganz eindeutig, dass Manot ein moderner Mensch war. Das Interessante ist, dass die ähnlichsten Schädel in unseren Vergleichsdaten einerseits von heute lebenden AfrikanerInnen stammen und andererseits von jenen modernen Menschen, die vor ca. 20.000 bis 30.000 Jahren bei uns in Mitteleuropa lebten, z.B. Schädel aus dem nahen Tschechien wie Mladeč 1 oder Předmostí 4."
Der Manot Gehirnschädel am Computerbildschirm, von der Seite betrachtet (links), und von Innen (rechts). (Foto: Gerhard Weber) |
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Datierung belegt hohes Alter
Die morphometrischen Befunde alleine wären allerdings noch zu wenig für eine Sensation. Es könnte sich ja immerhin auch um moderne Menschen gehandelt haben, die erst später wieder von Europa in die Levante zurückgewandert waren. Zum Glück des Forscherteams legten sich aber in der Tropfsteinhöhle von Manot etliche dünne Kalzit-Schichten an der Innen- und Außenseite des Schädelfragmentes an. Diese konnten mit der zuverlässigen Uranium-Thorium Methode datiert werden. Die israelischen KollegInnen belegten damit ein Alter von circa 55.000 Jahren. Manot ist also 10.000 Jahre älter als alle modernen Menschen, die in Europa gefunden wurde, und um circa 5.000 bis 10.000 Jahre jünger als jener Zeitpunkt, den GenetikerInnen für die Entstehung unserer direkten Ahnenlinie in Afrika vorhersagten.
Die Levante als Kreuzungspunkt der Migration
Eine der logischen Migrationsrouten von Afrika nach Europa führt durch den levantinischen Korridor. Das Alter und die Morphologie von Manot legen nahe, dass die ersten modernen Menschen diese Route genommen haben. Dabei trafen sie aber zeitgleich auf Neandertaler, die immer wieder die Levante bewohnten, aber nie weiter Richtung Süden vordringen konnten. Genetische Hinweise deuten darauf hin, dass heute lebende Menschen ein bis vier Prozent Neandertalergene in uns tragen. Bisher wurde spekuliert, dass diese Vermischung in Europa stattgefunden haben könnte. Manot ändert dieses Bild. Es ist wahrscheinlich, dass es schon früher, also auf dem Weg der ersten modernen Menschen durch die Levante, passiert sein könnte.
Manot verbindet
"Dieser Schädelfund aus Manot ist genau das, was wir AnthropologInnen seit Jahrzehnten gesucht haben. Er verbindet perfekt diejenigen Teile der Menschheitsgeschichte in Raum und Zeit, die uns bisher bekannt waren", fasst Weber zusammen. Manot ist aber nicht nur ein Glücksfall für die Erkenntnis rund um unsere eigene Herkunft. Er führte auch zu einer sehr erfolgreichen wissenschaftlichen Kooperation zwischen israelischen und österreichischen bzw. deutschen Institutionen. Weitere Projekte und mehr Austausch von Know-how sind bereits in Angriff genommen worden. (vs)
Der Publikation "Levantine cranium from Manot Cave (Israel) foreshadows the first European modern humans" (AutorInnen: Hershkovitz, I., Marder, O., Ayalon, A., Boaretto, E., Caracuta, V., Alex, B., Frumkin, A., Goder-Goldberger, M., Gunz, P., Holloway, R., Latimer, B., Lavi, R., Matthews, A., Sloan, V., Bar-Yosef Mayer, D., Berna, F., Bar-Oz, G., May, H., Hans, M., Weber, G.W., Barzilai, O.) erschien am 29. Jänner 2015 im Fachjournal "Nature."