Paläontologen erforschen Sedimente im Weinviertel

Ein ForscherInnenteam um Martin Zuschin vom Institut für Paläontologie der Universität Wien konnte erstmals nachweisen, dass ein fossiles, ca. 17 Millionen Jahres altes Ästuar im Umland von Wien alle natürlichen Störungen im Ökosystem über rund 700.000 Jahre abfedern konnte.

Angesichts der fortschreitenden Biodiversitätskrise ist die Stabilität von Ökosystemen eine der wichtigsten Fragestellungen in der Ökologie. Küstennahe marine Bereiche gehören zu den am stärksten gefährdeten Ökosystemen der Erde und unter diesen sind Ästuare besonders betroffen. Die  Gebiete im Übergang von Süßwasser zu Salzwasser stehen bis zu einem gewissen Grad unter natürlichem Stress, sind also beispielsweise betroffen von starken saisonalen und täglichen Schwankungen beim Salzgehalt.

Organismen, die hier leben können, gelten daher auch als resistent gegenüber natürlich auftretenden Schwankungen in den Umweltbedingungen. Trotzdem sind Ästuare eher kurzlebige Ökosysteme, die noch dazu besonders stark von anthropogener Zerstörung betroffen sind. Zu den globalen und lokalen Stressfaktoren gehören Klimaerwärmung, Versauerung der Ozeane, Überfischung und die Belastung durch Abwässer. 

Fossilbefunde aus dem Weinviertel

Die Frage, ob anthropogen unbeeinflusste Ästuare über längere Zeiträume stabil sein können, ist daher nicht leicht zu beantworten. Fossilbefunde bieten eine Lösung. In der "Fossilienwelt Weinviertel" wird schon länger ein fossiles Ästuar erforscht. Das größte fossile Austernriff der Welt, ein eindeutiger Indikator ehemals ästuariner Bedingungen, ist dort das Zentrum der Dauerausstellung. Über 650 fossile Pflanzen- und Tierarten sind an diesem Standort bekannt; spektakuläre Funde von Riesenaustern, Gangesdelfinen, Rochen, Haien, Seekühen und Alligatoren finden sich in diesem Geotainment-Park vor den Toren Wiens.


Das Austernriff der "Fossilienwelt Weinviertel" ist ein Indikator für ästuarine Bedingungen im Miozän des Korneuburger Beckens (Foto: Naturhistorisches  Museum Wien).



Unter der Schnellstraße

"Bisher wusste man allerdings wenig über die quantitative Zusammensetzung der Lebenswelt und nichts darüber, wie lange dieses Ökosystem eigentlich existierte und ob es störungsanfällig war oder nicht", erklärt Projektleiter Martin Zuschin. Das Forscherteam profitierte bei der Lösung dieser Fragen vom Ausbau der Schnellstraße S1, bei dem große Teile der Sedimente des Korneuburger Beckens für kurze Zeit der wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich waren. Die ForscherInnen untersuchten entlang mehrerer Kilometer Autobahntrasse ein über 450m mächtiges Sedimentprofil, welches rund 700.000 Jahre an geologischer Zeit abdeckt und nahmen dabei über hundert quantitative Proben.

Faunenzusammensetzung bemerkenswert stabil


Die Bestimmung und Auszählung von tausenden Fossilien zeigt, dass die Fauna eindeutig von Muscheln und Schnecken dominiert wird, welche die schlammigen und sandigen Habitate des Meeresbodens besiedelten. Der sedimentologische und stratigraphische Befund liefert hierbei die wichtigen Daten zu den damals vorherrschenden Umweltbedingungen. Insgesamt zeigte sich, dass über den langen Zeitraum die Faunenzusammensetzung des Ökosystems bemerkenswert stabil geblieben ist. Sogar stratigraphische Grenzflächen, an denen sedimentologische Veränderungen abrupte Meerespiegelschwankungen von mehreren Meter anzeigen, blieben ohne langfristige Folgen für das Ästuar.

"Bisher konnten stabile Ökosysteme über geologische Zeiträume nur einige wenige Male nachgewiesen werden. Dass dies ausgerechnet auf ein Ästuar zutreffen könnte, war auch für uns ForscherInnen der Universität Wien, des Naturhistorischen Museum Wien und der Geologischen Bundesanstalt ziemlich überraschend", meint dazu Martin Zuschin.

Des Rätsels Lösung sei die kontinuierliche tektonische Absenkung des Korneuburger Beckens im Miozän, und die parallel dazu stattfindende Auffüllung durch Sedimente aus dem sich hebenden Hinterland. "Wir können damit erstmals zeigen, dass selbst labile Ökosysteme wie Ästuare über geologische Zeiträume hinweg stabil bleiben können, wenn die geologischen Rahmenbedingungen passen“, so Zuschin abschließend. (af)

Das Paper "Long-term ecosystem stability in an Early Miocene estuary" (AutorInnen: Martin Zuschin, Mathias Harzhauser, Babette Hengst, Oleg Mandic, Reinhard Roetzel.) erschien am 6. Dezember 2013 in "Geology".