Die Kontroverse um die Buddha-Natur
| 13. Dezember 2017In uns allen steckt ein Buddha – oder nicht? Darüber sind sich die BuddhistInnen Tibets seit Jahrhunderten uneinig. Tibetologe Klaus-Dieter Mathes nimmt die Kontroverse über die Buddha-Natur zum Anlass, um eine tibetische Philosophiegeschichte zu schreiben – und betritt damit unerforschtes Neuland.
Der Buddhismus kam im fünften Jahrhundert aus Nordindien in das tibetische Hochland, es dauerte weitere drei Jahrhunderte, bis König Trisong Detsen den Buddhismus zur Staatsreligion erhob. Doch Buddhismus ist nicht gleich Buddhismus: "Im Buddhismus gibt es – ähnlich wie im Christentum auch – unterschiedliche Strömungen und Schulen, die historisch gewachsen sind und sich gegenseitig beeinflusst haben", erklärt Klaus-Dieter Mathes vom Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde. In seinem aktuellen FWF-Projekt hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklungen zu rekonstruieren und einen wichtigen Beitrag zur Philosophiegeschichte des tibetischen Buddhismus zu leisten.
Ein Thema, mehrere Perspektiven
"Die Frage, wie man es mit der Buddha-Natur hält, der buddhistischen Präsenz des Sakralen im Profanen also, ist ein idealer Prüfstein, um die verschiedenen Meister und ihre philosophisch-hermeneutischen Positionen in der komplexen Landschaft tibetischer Ideengeschichte zu vergleichen", so Mathes.
Doch was sind die unterschiedlichen Positionen? Die einen glauben, dass allen Lebewesen ein Buddha oder zumindest das Potenzial innewohne, die wahre Natur des Geistes zu realisieren und Buddha zu werden. Andere wiederum sehen in dieser Annahme eine Belehrung mit vorläufiger Bedeutung für AnfängerInnen. Für sie ist die Buddha-Natur lediglich die Leerheit des Bewusstseins von einer inhärenten Existenz. Es entsteht – wie alles andere auch – in Abhängigkeit. Daher können alle ihren Bewusstseinsstrom läutern und in sich die Vorzüge eines Buddhas kultivieren.
Identifizieren, editieren und vergleichen
Mit seinem Vorhaben wandelt der Tibet-Experte auf bis dato unerforschten Wegen. "Die Tibetologie ist ein junges Fach, wir betreten mit unserer Forschung Neuland. Für bestimmte Fragestellungen müssen wir in der über tausend Jahre alten tibetischen Ideengeschichte oft größere Zeiträume ohne sichere Anhaltspunkte erforschen", berichtet Mathes. Hierfür ist regelrechte Detektivarbeit gefragt: Im Rahmen seines derzeitigen Projekts erschließt der Tibetologe 26 Bände philosophisch-religiöser Texte aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die teilweise digital, teilweise traditionell gefertigt auf Papier vorliegen.
Er und sein Team identifizieren, editieren und vergleichen u.a. auch die zahlreichen Zitate tibetischer Übersetzungen aus dem Sanskrit – sofern vorhanden – mit den indischen Originalen. "Die indischen Ursprungstexte wurden bereits im 11. und 12. Jahrhundert übersetzt. Aufgrund des Monsunklimas in Südasien und des damit einhergehenden Insektenbefalls mussten die Texte immer wieder abgeschrieben werden, um sie zu erhalten. So haben sich viele Überlieferungsfehler eingeschlichen. Textkritische Editionen aller zur Verfügung stehenden indischen und tibetischen Textzeugen ermöglichen eine größtmögliche Annäherung an die ursprüngliche tibetische Übersetzung und schaffen damit eine wichtige Grundlage, die tibetische Rezeption indischer philosophischer Texte zu untersuchen", erklärt Mathes.
Geschichte aufarbeiten
Als Beispiel nennt Mathes die Geschichte um Milarepa, Yogi, Poet und Begründer der Kagyü-Schulen des tibetischen Buddhismus: Ein Reh wird von einem Jäger verfolgt und sucht in Milarepas Höhle in Manang nördlich des Annapurna-Massivs Zuflucht. Der Yogi beschützt das Reh und bekehrt den Jäger, fortan keine Lebewesen mehr zu töten.
"In der am häufigsten rezipierten Fassung der Milarepa-Geschichte aus dem 15. Jahrhundert wird dieser Topos noch einmal aufgenommen, dieses Mal beschützt Milarepa in einer Höhle in Bhaktapur im Kathmandu-Tal gleich mehrere Rehe und bekehrt etliche Jäger. Vor rund 30 Jahren aber haben wir eine ältere Ausgabe gefunden und sind auf erhebliche Abweichungen gestoßen", berichtet Mathes: "In der älteren Version fehlt die Wiederholung der Jäger-Geschichte in Bhaktapur. Wir konnten rekonstruieren, dass Söldner aus Manang, die in die Dienste des Königs von Bhaktapur getreten sind, mit der Neuauflage des Topos ihren heiligen Pilgerort mit nach Bhaktapur gebracht haben."
Um des Textes Kern zu ermitteln, wendet Mathes Methoden der Textkritik an: Von jedem Text werden möglichst viele Fassungen zusammengetragen; ein Stammbaum lässt dann auf den Archetypus schließen. Es kommen auch naturwissenschaftliche Praktiken zum Einsatz: In abgestorbenen Organismen nimmt die Menge an gebundenen radioaktiven C14-Atomen mit der Zeit ab. Wenn historische Texte physisch vorliegen, wird ihr Alter mittels einer C14-Analyse errechnet. (Foto: Universität Wien)
Das Erbe Tibets bewahren
Mathes möchte mit seiner Philosophiegeschichte das kulturelle und religiöse Erbe Tibets bewahren. Ein Anliegen, das insbesondere zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere auch politischen Charakter hatte. "In den 1950er Jahren fielen chinesische Truppen in Tibet ein. Im Zuge der Kulturrevolution zerstörten die Roten Garden Klöster und Kulturdenkmäler. Auch in den Folgejahren konnten die buddhistischen Lehren in Tibet nicht studiert werden", erzählt Mathes. Doch die Zeiten haben sich geändert: "Mittlerweile gibt es sogar Projekte seitens der chinesischen Regierung, um die tibetischen Texte zu bewahren."
Mathes entdeckte seine Leidenschaft für den Buddhismus früh: "Schon in der Schule war ich auf der Suche nach alternativen, philosophischen Modellen." Nach einer Asienreise stand die Entscheidung fest: Er studierte u.a. Tibetologie an der Uni Bonn und promovierte in Indologie an der Uni Marburg. Von 1993 bis 2001 leitete er das Nepal Research Centre in Kathmandu. Seit 2010 forscht und lehrt er, seit 2014 als Vorstand, am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Uni Wien. (Foto: privat)
Feldforschung in den Bergen Nepals
Viele seiner Textquellen hat Mathes als Leiter des Nepal Research Centre in Kathmandu selbst recherchiert und auf Mikrofilm gesichert. Mittlerweile hat der Buddhismus- und Tibet-Experte seine Forschungszelte aber an der Universität Wien aufgeschlagen und nutzt vor allem Online-Datenbanken, um die heiligen Schriften des tibetischen Buddhismus einzusehen. Nach Nepal reist er jedoch nach wie vor regelmäßig – um Quellen zu studieren und seine Forschungsergebnisse mit buddhistischen Meistern vor Ort zu diskutieren. "Eine Philosophiegeschichte des tibetischen Buddhismus funktioniert nicht, ohne auch die Meinung der jeweiligen VertreterInnen einzuholen", bemerkt Mathes. Die nächste Reise ist bereits geplant. (hm)
Das FWF-Projekt "Neue Erwägungen zur Buddhanatur: Mi bskyod rdo rje und tathāgatagarbha Debatten" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Mathes, Privatdoz. M.A. ist am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelt. Es läuft von Oktober 2015 bis September 2018; ProjektmitarbeiterInnen sind Dr. Martina Draszczyk, M.A. und Dr. David Higgins, M.A., und Khenpo Konchok Tamphel, M.A.