Wozu eigentlich noch Gender Studies?

Sabine Grenz, im Bild ihr Porträtfoto, ist Professorin für Gender Studies an der Universität Wien und erklärt im Gastbeitrag die Relevanz dieser Forschungsrichtung für die Gesellschaft.

Anfang 2020 startet an der Uni Wien eine neue Forschungsplattform für aktuelle interdisziplinäre Genderforschung. Anlässlich des Wissenschaftstags #4GenderStudies am 18. Dezember erklärt Sabine Grenz die Relevanz der Gender Studies in einer sich rasant verändernden globalen Gesellschaft.

Frauen-, Geschlechter- und feministische Forschung, die heute weitgehend unter dem Begriff "Gender Studies" zusammengefasst werden, gibt es seit ca. 50 Jahren. Trotz der großen Erfolge interdisziplinärer Zusammenarbeit, die die Wissenschaft verändert und zudem die Demokratisierung der Gesellschaft vorangetrieben haben, wird ihre Relevanz mancherorts noch in Frage gestellt.

Dass einem jungen wissenschaftlichen Gebiet mit Skepsis begegnet wird, ist keineswegs außergewöhnlich. Das durften selbst die Ingenieurwissenschaften noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts erleben: Sie seien zu technisch, so hieß es, um wirklich wissenschaftlich sein zu können. Den Gender Studies wird von Seiten der Skeptiker*innen hingegen vorgeworfen, sie seien zu politisch. Aber was bedeutet es eigentlich, "zu" politisch zu sein?

Wissenschaft ist nicht unpolitisch

Feministische Wissenschafter*innen aller Disziplinen haben zunächst anhand unzähliger Fallstudien herausgearbeitet, dass Frauen in der Wissenschaft marginalisiert und verzerrt dargestellt wurden (und teilweise immer noch werden), dass die Wissenschaften also von einem "Male Bias" geprägt sind, der angesichts der wissenschaftlichen Entfaltung im Zeitalter des Kolonialismus zudem nicht frei von Rassismus ist. Diese Wissenschafter*innen haben also erkannt, dass Wissenschaft keineswegs ein unpolitischer gesellschaftlicher Bereich ist, und sie haben erheblich dazu beigetragen, die Politiken des Wissens transparent zu machen.

Soziale Ungleichheiten

Sie entwickelten neue Erkenntnistheorien und Methoden, die diesem Phänomen Rechnung tragen, u.a. das Konzept der "starken Objektivität" (Harding) und das des "situierten Wissens" (Haraway). Aber sie machen durch ihre Forschung auch soziale Ungleichheit(en) sichtbar, indem sie sich z.B. mit Einkommensunterschieden, Armut, Gewalt oder der Frage, inwieweit technische Entwicklungen nach wie vor einen Male Bias fortführen, beschäftigen.

Solche Forschung ist von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Demokratische Gesellschaften beruhen auf der Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe aller Mitglieder. Die interdisziplinäre Genderforschung trägt zur Sichtbarmachung von Tendenzen bei, die dieser Teilhabemöglichkeit in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie der Kultur, den Medien, der Politik, der Religion und der Wissenschaft zuwiderlaufen.

Rasanter Gesellschaftswandel

An dieser Stelle könnte man fragen, ob es denn inzwischen nicht genug Wissen über demokratischen Ausschluss gäbe. Vieles ist offengelegt, das Bewusstsein ist geschärft. Wozu benötigen wir diese Art von Forschung jetzt noch? Die Antwort liegt darin, dass unsere globale Gesellschaft einem rasanten Wandel unterliegt und zudem vor Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Digitalisierung und globalen Migrationsbewegungen steht. Durch diesen andauernden gesellschaftlichen Wandel entstehen immer wieder neue Un/Sichtbarkeiten, die der wissenschaftlichen Analyse und Reflexion bedürfen.

Interdisziplinäre Genderforschung an der Uni Wien

Ab Jänner 2020 startet an der Universität Wien die interdisziplinäre Forschungsplattform "Ambivalent In_visibilities: Innovative Perspectives on Gender, Agency and Power" unter der Leitung von Elisabeth Holzleithner vom Institut für Rechtsphilosophie. Sabine Grenz ist Co-Principal Investigator und wird sich im Rahmen der Plattform mit Fragen der Un/Sichtbarkeit in Aushandlungsprozessen von Religiosität und Säkularität befassen sowie an der Weiterentwicklung qualitativ-empirischer Methoden arbeiten.

Neue ForschungsplattformAus diesem Grund richtet die Universität Wien 2020 für vier Jahre die Forschungsplattform "Ambivalent In_visibilities: Innovative Perspectives on Gender, Agency and Power" ("Ambivalente Un_Sichtbarkeiten: Innovative Perspektiven auf Geschlecht, Autonomie und Macht") ein. Hier werden Wissenschafter*innen zusammenarbeiten, die aus so unterschiedlichen Disziplinen wie der Anglistik, den Gender Studies, den Geschichts,- Medien-, Politik-, Rechts- und Theaterwissenschaften, der Kultur- und Sozialanthropologie, Philosophie, Romanistik, Soziologie und Theologie kommen, um die mit den genannten Herausforderungen auftretenden gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Veränderungen zu untersuchen.

Kritische Reflexion

Auch diese Forschung wird gesellschaftspolitisch relevant sein, da sie soziale Ungleichheiten bezüglich der Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe ebenso sichtbar machen wird, wie die teilweise dramatischen Veränderungen liberaler Demokratien. Gerade diese kritische Reflexion ist für eine demokratische Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung unabdingbar. 

"Gender Studies" studieren an der Uni Wien

Im Masterstudium Gender Studies werden Studierenden grundlegende theoretische und methodische Kenntnisse der interdisziplinären Genderforschung vermittelt. Damit erwerben sie sich zum einen geschlechtertheoretische Forschungskompetenzen und zum anderen die Fähigkeit zur Erarbeitung geschlechterreflektierter Lösungen in Organisationen und Gesellschaft. Damit sind sie für unterschiedliche Praxisfelder qualifiziert, die soziale Ungleichheit und Diversität behandeln.


Zur Autorin:
Sabine Grenz
hat seit April 2017 die Professur für Gender Studies an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, der Fakultät für Sozialwissenschaften und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien inne.