"Wir wollen und brauchen die besten Köpfe"

Bei einer Pressekonferenz an der Universität Wien erklärten Rektor Heinz W. Engl, voestalpine-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Eder und Vizerektor Heinz Faßmann, warum Universitäten, Forschungsförderer und die Wirtschaft auf "Brain Circulation" setzen.

Wissenschaft und Wirtschaft profitieren von der internationalen Vernetzung, und es ist wichtig, dass qualifizierte AbsolventInnen in die Welt hinausgehen, um dort neue Kenntnisse zu gewinnen und weitere Erfahrungen zu sammeln. Ideal sei es jedoch, wenn gut ausgebildete AbsolventInnen heimischer Universitäten, die über ein großes Know-how, internationale Erfahrungen und ein weltweites Netzwerk verfügen, aus dem Ausland auch wieder zurückkommen und ihre Expertise in österreichischen Ausbildungsstätten und Unternehmen einbringen.

Mit all diesen Skills könnten sie auf die österreichische Wissenschaft und Wirtschaft positiven Einfluss nehmen, waren sich Rektor Heinz W. Engl, voestalpine-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Eder und Vizerektor Heinz Faßmann bei der Pressekonferenz am 18. März im Senatssaal der Universität Wien einig.


"Wir wollen und brauchen die besten 'Köpfe', deshalb hat die Universität Wien attraktive Karriere-Perspektiven auch für jüngere WissenschafterInnen entwickelt. Österreich muss sein System von Brain Drain auf Brain Circulation umstellen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben", so Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, zur aktuellen Situation.



Tenure Track-Modell (Laufbahnstellen-Modell)

Der Rektor der Universität Wien erklärte das seit 2011 eingeführte Tenure-Track-Model, mit dem die Universität Wien dazu beiträgt, dass junge ForscherInnen ihre Zukunft besser und früher planen können. Diese Laufbahnstellen ermöglichen ihnen nach Abschluss einer Qualifizierungsphase einen unbefristeten Vertrag als "assoziierte/r ProfessorIn" an der Universität Wien. Derzeit sind so 60 MitarbeiterInnen an der Universität Wien beschäftigt.

"Wir bemühen uns, diese Zahl anzuheben: Bis 2016 werden wir weitere 30 neue Laufbahnstellen besetzen", so Rektor Engl. Als weitere Beispiele gelungener "Brain Circulation-Modelle" nennt er die Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendien mit "Rückkehrphase" des Wissenschaftsfonds (FWF) und die "Vienna Research Groups for Young Investigators" des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF).

Brain Circulation an der Universität Wien

Vorgestellt wurden einige Beispiele gelebter "Brain Circulation": ForscherInnen, die an der Universität Wien studiert haben und nach Jahren im Ausland wieder zurückberufen werden konnten:

Alipasha Vaziri, der an der Universität Wien bei Anton Zeilinger Physik studiert hat, verbrachte neun Jahre an US-amerikanischen Spitzenforschungsinstituten, u.a. am Howard Hughes Medical Institute und am Massachusetts Institute of Technology, bevor er über das WWTF-Programm "Vienna Research Groups for Young Investigators" zurückgeholt werden konnte und 2013 die Leitung der Forschungsplattform "Quantum Phenomena and Nanoscale Biological Systems" an der Universität Wien übernahm.

Gerhard Herndl, ausgezeichnet mit einem ERC Advanced Grant sowie dem Wittgenstein-Preis, studierte Zoologie und Botanik an der Universität Wien. Er forschte elf Jahre in den Niederlanden, bevor er 2008 auf eine Professur für Meeresbiologie an die Universität Wien zurückkam.

Veronika Somoza hält eine Professur für Biofunktionalität von Lebensmitteln und leitet seit 2011 das Christian-Doppler-Labor für Bioaktive Aromastoffe. Nach ihrer Promotion an der Universität Wien arbeitete sie 13 Jahre im Ausland, an der Universität Kiel, der TU München und der University of Wisconsin, USA.

Claus Lamm absolvierte das Studium der Psychologie an der Universität Wien, promovierte und habilitierte sich ebendort. Anschließend ging er nach Frankreich, an das Institut national de la santé et de la recherche médicale, weiter an die Universität Chicago und Universität Zürich. Seit 2010 ist er Professor für Biologische Psychologie an der Universität Wien.

Peter P. Schweitzer verbrachte viele Jahre an der University of Alaska Fairbanks, USA, nachdem er seine Promotion an der Universität Wien abgeschlossen hatte. Seit 2012 lehrt und forscht der Kultur- und Sozialanthropologe wieder an der Alma Mater Rudolphina.

voestalpine-Chef Eder warnt vor bösem Erwachen

Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG, sieht eine dramatische Ausdünnung im Bereich der Hochqualifizierten und warnte vor einem bösen Erwachen: "Österreich verkauft sich derzeit stark unter seinem Wert, als Walzerland mit Fiakern und Mozartkugeln und nicht als Wirtschaftsnation mit Hidden Champions, die in Europa unter den Top drei rangiert. Wir sind dadurch für Hochqualifizierte aus dem Ausland nicht besonders attraktiv. In Österreich sind lediglich 18 Prozent der Zuwanderer tertiär qualifiziert, das bringt uns auf Platz 28 in der OECD. Wir haben gleichzeitig einen massiven Abgang Hochqualifizierter, rund 134.000 leben im Ausland, nur wenige kommen nach Österreich zurück."


"In Summe wandert fast jeder achte Hochqualifizierte aus Österreich ab. Das bringt uns im internationalen Wettbewerb der führenden Industrienationen in eine dramatisch kritische Situation. Wenn hier nicht rasch eine Veränderung eintritt, werden wir in fünf Jahren ein böses Erwachen erleben", so Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine.



Brain Drain in Österreich


"Seit Jahren übertrifft die Zahl der AbwanderInnen – mit österreichischer Staatsbürgerschaft – jene der RückwanderInnen. Österreich hat ein Brain Drain-Problem. Dies wird von der Politik jedoch kaum wahrgenommen", erklärte Heinz Faßmann, Vizerektor an der Universität Wien und Migrationsexperte. In den vergangenen zehn Jahren sind durchschnittlich zwischen 20.000 und 25.000 österreichische StaatsbürgerInnen pro Jahr weggezogen – vor allem nach Deutschland, in die Schweiz, Türkei, nach Nordamerika und Großbritannien; zurückgekommen sind aber lediglich 15.000 pro Jahr. Bleibt unterm Strich ein negativer Wanderungssaldo von 5.000 bis 10.000 bei den Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft pro Jahr. 

Demographisches und Qualifikations-Profil der Abwanderung in Österreich

Durch die Verknüpfung des Bildungsregisters mit der Wanderungsstatistik konnte Statistik Austria nun erstmals Aussagen zur demographischen und qualifikatorischen Struktur der Abwanderung in Österreich treffen. Vor allem junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren verlassen Österreich. Es ziehen mehr Männer als Frauen weg, bei den Männern (vor allem bei Facharbeitern) fällt ein zweiter Abwanderungsschub zwischen 40 und 45 auf. Nach Qualifikation differenziert, verzeichnen MaturantInnen (AHS) und HochschulabsolventInnen – vor allem mit naturwissenschaftlicher Ausbildung – die höchsten Wegzugraten.


"Damit Österreich kein 'qualifikatorischer Durchlauferhitzer' bleibt, werden attraktive Rückkehrmöglichkeiten an heimische Ausbildungsstätten und Unternehmen, aber auch die Nachjustierung der Rot-Weiß-Rot-Karte – wie u.a. ein Herabsetzen der Einkommensgrenze, längere Suchdauer und verbesserte Information der Betroffenen – benötigt", fordert Vizerektor Heinz Faßmann abschließend.



Es ziehen aber nicht nur inländische AbsolventInnen in das Ausland, sondern auch ausländische Studierende nach Beendigung des Studiums. Die Verbleiberate liegt in Österreich laut OECD unter 20 Prozent, die Rot-Weiß-Rot Karte für StudienabsolventInnen wurde 2013 lediglich 214 Mal ausgestellt. "Österreich erbringt eine hohe Ausbildungsleistung, sollte aber überlegen, wie es eine höhere Ausbildungsrendite erzielt", so Vizerektor Faßmann. (em)