Was darf Kunst? Street Art in Bhutan
| 28. März 2018Die Rechtswissenschafterinnen Iris Eisenberger und Michaela Windischgrätz waren wieder in Bhutan, um den Aufbau der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zu begleiten. Aktuell sind dort die Installationen des Künstlers "Invader" großes Thema. Für uni:view berichten sie über die aktuellen Debatten.
Abermals sind wir in Bhutan, um am Aufbau der ersten School of Law (JSW) mitzuwirken. Neben der Vorbereitung von Lehr- und Lernunterlagen haben wir wie schon im Vorjahr die Gelegenheit, Menschen, Kultur und Landschaft Bhutans näher kennen zu lernen. Anders als im letzten Jahr scheint heuer aber alles viel schwieriger zu sein. Misstrauisch werden wir wiederholt vom Wachpersonal befragt, wo unser Guide sei und ob wir ein "permit" hätten. In Simtokha Dzong, einer Klosterburg in der Nähe der Hauptstadt Thimphu, weicht der Polizist nicht von unserer Seite. Eine Art Paranoia hat sich spürbar verbreitet.
"Invader was here"
Schließlich erfahren wir, warum: Der französische Streetart-Künstler "Invader" war im Februar mit einer TouristInnengruppe in Bhutan und brachte Mosaike an Sakralbauten, wie dem Taktsang Monastery – Tigers Nest – und Cheri Gompa, an. Auf seinem Instagram-Account invaderwashere postete der Künstler Fotos seiner Installationen. Bhutanische und andere Medien bezeichnen dieses Verhalten als unverantwortlich und unsensibel gegenüber der bhutanischen Kultur. Und selbst unter seinen Fans scheint die Aktion umstritten zu sein, für manche ist sie Kunst, für andere einfach nur eine Beschädigung sakraler Stätten.
Soll Interpol den Künstler suchen?
Während der Künstler abgereist und nicht mehr greifbar ist, diskutiert Bhutan intensiv, wer nun verantwortlich zu machen sei: der Tourism Council of Bhutan, die Guides, die Mönche, die Reiseveranstalter oder sollte Interpol den Künstler suchen? Denn das bhutanische Recht sieht für die Entweihung von Sakralgebäuden hohe Strafen vor. Werden Reliquien gestohlen oder zerstört, droht lebenslange Haft. Die bhutanische Verfassung aus dem Jahr 2008 schützt in Artikel 7 Nummer 2 zwar ein "right to freedom of speech, opinion and expression", ein der österreichischen Kunstfreiheit gemäß Artikel 17a Staatsgrundgesetz vergleichbares Recht kennt die bhutanische Verfassung hingegen nicht.
Auf seinem Instagram-Account hat der Künstler eine Bildergalerie von seinem Schaffen in Bhutan veröffentlicht.
Die Freiheit, Irritierendes zu schaffen
Die Frage ist freilich in Bhutan ebenso wie in anderen Staaten auch: Was ist Kunst und was darf sie? Kunst gilt zwar als nicht definierbar, übereinstimmend wird künstlerischem Schöpfen und Gestalten aber jedenfalls die Freiheit zugestanden, Neues oder Irritierendes zu schaffen und gesellschaftskritisch zu wirken. Die Grenzen dieser Freiheit legt jede Gesellschaft für sich selbst fest – entsprechend den jeweils eigenen Wertvorstellungen und als Ergebnis politischer Aushandlung. In diesem Sinn anerkennen europäische Gerichte die Verherrlichung terroristischer Straftaten nicht als Kunst (EGMR 2.10.2008 Leroy, 36.109/03).
Phallussymbol als Schutz
In Bhutan haben die Behörden im Jahr 2016 die Aufführung des Films "Hema Hema" von Dzongsar Khyentse Rinpoche verboten, da die Schauspieler religiöse Masken tragen, die auch in sakralen Ritualen verwendet werden. Anlässlich der Installationen von Invader werden in Bhutan derzeit die Grenzen der Kunst und des Erlaubten gesellschaftlich ausverhandelt. Debattiert wird etwa, wo der Unterschied zwischen traditionell an Hauswänden gemalten pinken Phallussymbolen und modernen Graffitis an öffentlichen Gebäuden liegen mag. Während Phallussymbole in der bhutanischen Kultur als Schutzsymbol gesehen werden, wären ähnliche Darstellungen auf Häusern in den Vereinigten Staaten oder in Österreich rechtlich problematisch.
Verortung im kulturellen Kontext
Die Beispiele zeigen, dass die Grenzen der Kunst immer auch im jeweiligen kulturellen und politischen Kontext zu verorten sind. Global agierende Künstlerinnen und Künstler wie Invader laufen Gefahr, gesetzliche Vorschriften zu übertreten, religiöse Gefühle zu verletzen oder kulturelle Gepflogenheiten zu missachten. Es sei dahingestellt, ob er damit grenzüberschreitend eine wichtige gesellschaftskritische Funktion übernimmt oder aber der noch jungen Demokratie schadet. Der Fall zeigt jedenfalls, wie vielfältig die Fragen sind, denen sich Bhutan stellen muss, aber auch jeder, der in diesem Land wirkt. Auch unsere Mitarbeit an der ersten rechtswissenschaftlichen Fakultät Bhutans bedarf kritischer und sensibler Reflexion, ebenso wie eines konstruktiven Dialogs mit unseren bhutanischen KollegInnen und unseren Studierenden.
Univ.-Prof. Dr. Iris Eisenberger, M.Sc. (LSE) ist Leiterin des Instituts für Rechtswissenschaften an der BOKU und hält Lehrveranstaltungen am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. ao. Univ.-Prof. MMag. Dr. Michaela Windischgrätz ist am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien tätig.