Warum heuer gewählt wird (und nicht 2018)

Im Oktober wird der österreichische Nationalrat neu gewählt. Politikwissenschafter Thomas M. Meyer analysiert für uni:view, warum die Wahlen vorgezogen wurden und welche Konsequenzen dies für den Gesetzgebungsprozess hat.

Wahlen haben in Demokratien eine zentrale Bedeutung. Sie sind Meilensteine, bei denen über die Regierung geurteilt wird, und das Wahlergebnis hat wesentlichen Einfluss darauf, welche Mehrheiten in Zukunft möglich sind. In Demokratien finden Wahlen spätestens nach Ablauf einer festgeschriebenen Legislaturperiode – meist 4 oder 5 Jahre – statt, aber viele Verfassungen sehen auch die Möglichkeit von vorgezogenen Neuwahlen vor. Die Bundesverfassung ist hier keine Ausnahme, und nach dem Beschluss im Nationalrat wird im Herbst 2017 – ein Jahr vor Ablauf der regulären Legislaturperiode – neu gewählt.

Vorgezogene Neuwahlen – weshalb?


Die Gründe für solche vorgezogenen Neuwahlen können vielfältig sein. Beispielsweise können außergewöhnliche Ereignisse wie Verfassungsreformen oder ein EU-Beitritt Auslöser für Neuwahlen sein. Mit diesem Schritt wird die Wahl zu einem Referendum über wegweisende Politikentscheidungen gemacht. Neuwahlen können aber auch Folge einer Regierungskrise sein, wenn die Regierung (z.B. durch Parteiwechsel) die Mehrheit im Parlament verliert (wie vor der Bundestagwahl 1972 in Deutschland), wenn eine Regierungspartei innerparteilich zerstritten ist und zerbricht (wie nach dem Knittelfelder FPÖ-Parteitag und der Nationalratswahl 2002) oder wenn es zwischen den Regierungsparteien zu Uneinigkeit kommt (wie bei der SPÖ-ÖVP-Koalition vor der Nationalratswahl 2008).

Thomas M. Meyer ist seit 2014 Assistenzprofessor (tenure track) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Zuvor war er als Postdoc im Supply Side-Team der österreichischen Wahlstudie AUTNES (zum uni:view Artikel ) involviert. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem Parteien, Regierungen und Koalitionen sowie Wählerinnen und Wählern. (Foto: Thomas M. Meyer)

Strategische Überlegungen: Umfrageergebnisse, …

Zwischenparteiliche Konflikte hat auch die SPÖ-ÖVP-Koalition seit der Nationalratswahl 2013 erlebt. Allerdings kann die Entscheidung über ein Vorziehen der Nationalratswahl in diesem Fall auch das Ergebnis strategischer Überlegungen sein. Aber welches Interesse hätten SPÖ und ÖVP an einer vorzeitigen Wahl? Hinter den Entscheidungen könnte die Überlegung stehen, welche Folgen eine Wahl jetzt (also: im Herbst 2017) verglichen mit einer Wahl nach Ablauf der Legislaturperiode (also: im Herbst 2018) hätte. Sind die Erwartungen, was Stimmenanteil und eine mögliche Regierungsbeteiligung angeht, für 2017 optimistischer als für den Termin 2018, so kann das Vorziehen der Wahl für eine Regierungspartei sinnvoll sein. Natürlich sind vorgezogene Neuwahlen aus strategischen Gründen riskant, da Politikerinnen und Politiker die Entscheidung unter Unsicherheit treffen. Als zum Beispiel Theresa May in Großbritannien Neuwahlen ausrief, legten Umfragen einen klaren Wahlsieg der Tories nahe. Am Wahltag kam es dann aber doch anders, und die Tories verloren sogar die absolute Mehrheit im britischen Unterhaus.

Dennoch machen strategische Überlegungen im Zuge der österreichischen Nationalratswahl 2017 Sinn. Erstens haben sowohl die SPÖ als auch die ÖVP nach dem Wechsel ihres Parteiobmanns in den Umfragen zugelegt, wohingegen die Oppositionsparteien, vor allem die FPÖ, in den Umfragen zurückgefallen sind. Diese Effekte sind aber nicht von Dauer, wie man auch aus dem "Django-Effekt" nach der Amtsübernahme Reinhold Mitterlehners als ÖVP-Obmann im Sommer 2014 weiß. Für Christian Kern neigt sich der Effekt schon dem Ende entgegen, während Sebastian Kurz derzeit seiner Partei noch zu Höhenflügen in den Umfragen verhilft. Daher wären Neuwahlen für beide Parteien 2017 sinnvoller als 2018.

… wirtschaftliche Faktoren und Rückenwind aus Wien

Zweitens zeigen Wirtschaftsprognosen für 2018 leicht negative Tendenzen. Höheres Wachstum und geringe Arbeitslosigkeit entlasten das Budget, und mit guten wirtschaftlichen Kennzahlen lassen sich Wahlen für Regierungen leichter schlagen als in ökonomisch harten Zeiten. Derzeit gehen Prognosen von einem etwas geringeren Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 aus. Selbst wenn die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Jahren ähnlich sein sollte: Mit deutlich besseren wirtschaftlichen Indikatoren kann die Regierung für 2018 nicht rechnen.

Ein dritter Grund für vorgezogene Neuwahlen ist der zu erwartende Policy-Output: Koalitionsregierungen tendieren dazu, am Anfang ihrer Regierungszeit die Inhalte umzusetzen, bei denen die größte Einigkeit besteht. Vorhaben, bei denen keine Einigkeit besteht, werden eher aufgeschoben. Die Kontroversen um den "Plan A" im Jänner 2017 haben aufgezeigt, wie umstritten das Regierungsprogramm inzwischen bei beiden Koalitionsparteien war. Ohne weitere Erfolge und Reformen wäre eine Wahl 2018 (noch) schwerer zu schlagen als 2017 – zumal 2018 auch noch Landtagswahlen in Kärnten, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg anstehen, und die Amtsinhaber von SPÖ und ÖVP auf Rückenwind aus Wien hoffen.

Folgen für die Gesetzgebung

Das Vorziehen der Neuwahl hat auch Folgen auf den Gesetzgebungsprozess. Die Norm in parlamentarischen Regierungssystemen – zumindest in solchen mit Mehrheitsregierungen – ist eine relativ dominante Stellung der Regierungsparteien gegenüber der Opposition im Gesetzgebungsprozess: Die Regierungsparteien erarbeiten ein Regierungsprogramm, finden Kompromisse bei den angestrebten Reformen, und setzen diese gemeinsam im Parlament um. Oft unterwerfen sie sich dabei explizit einer "Koalitionsdisziplin", also einem Versprechen, sich nicht gegenseitig zu überstimmen. Wie im Koalitionsvertrag 2013 festgehalten, verpflichten sich beide Parteien im Falle des Scheiterns dazu, gemeinsam einen Neuwahlantrag zu beschließen.

Diese Verpflichtung ist natürlich nicht rechtlich bindend, aber sie erhöht den Druck auf die Parteien, zu ihren Verpflichtungen zu stehen. Durch die Ankündigung von Neuwahlen im Herbst ist diese Dichotomie zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien hinfällig. Die Regierungsparteien sind nicht mehr aneinander gebunden, und können andere Mehrheiten im Parlament suchen. So hat die SPÖ Ende Juni gegen die Stimmen der ÖVP zusammen mit den Grünen, der FPÖ und Neos eine Erhöhung des Universitätsbudgets beschlossen.

Risiken

Obwohl dieses "freie Spiel der Kräfte" besonders demokratisch erscheinen mag, birgt es doch einige Risiken. So wird die Zuordnung von Verantwortlichkeit für die WählerInnen und Wähler am Wahltag erschwert, da nicht mehr klar ist, welche Partei mit welcher Mehrheit welche Beschlüsse zu verantworten hat. Insbesondere hat das Verteilen von "Wahlzuckerln" über Parteigrenzen hinweg in Summe beträchtliche negative Konsequenzen auf das Budget, wie es etwa vor der Nationalratswahl 2008 der Fall war. Der Nationalrat tritt nach der Sommerpause wieder im September zusammen, und in den Sitzungen vor der Wahl ist eine Wiederholung der Ereignisse zumindest möglich.

Aus normativer Sicht mag es daher besser sein, keine großen Reformvorhaben unter einem "freien Spiel der Kräfte" herbeizuführen. Dies entspräche dem Brauch, der für Regierungen nach Wahlen, aber vor der erfolgreichen Bildung einer neuen Regierung Usus ist. Diese Regierungen sind nur geschäftsführend im Amt, leiten also die Regierungsgeschäfte, ohne selbst ihre eigene Agenda umzusetzen.

So oder so: auf die neue Bundesregierung kommt noch vor Jahresende viel Arbeit zu, da die Beratungen über das Budget für 2018 spätestens im Oktober im Nationalrat begonnen werden müssen. Die Budgetberatungen können auch den Druck in den Koalitionsverhandlungen erhöhen, relativ rasch zu einer Einigung zu gelangen, um die eigenen Politikinhalte bereits im neuen Bundesfinanzgesetz zu verwirklichen.