"Vegane Kuchen – auch to go"
| 15. Juli 2020Für das Forschungsprojekt ELLViA beschäftigt sich die Germanistin Barbara Soukup mit der Frage, welche kommunikative Bedeutung die Sprachwahl – Deutsch oder Englisch – in der Wiener Sprachlandschaft, der sogenannten "Linguistic Landscape", besitzt.
Sprache ist immer ein Dialog – das gilt für Gespräche, aber auch für schriftliche Kommunikation in jeder Form. In dieser Annahme steckt ein Grundprinzip der angewandten Sprachwissenschaft, wie Barbara Soukup vom Institut für Germanistik der Universität Wien erklärt: "Menschen, die miteinander sprechen, verhandeln immer gemeinsam über Sinn und Bedeutung des Gesagten."
In Soukups Forschung ist die Perspektive des "Publikums" besonders wichtig: Wie nehmen die Rezeptient*innen, die "Empfänger*innen" der Botschaften, diese wahr – und welche Rolle spielt dabei die Sprache, die gewählt wurde? Diese perzeptiven und interpretativen Schritte wurden für das vom FWF geförderte Forschungsprojekt ELLViA (English in the linguistic landscape of Vienna, Austria) theoretisch modelliert und empirisch analysiert.
Unterwegs in der Wiener Sprachlandschaft
Untersucht wurde zu diesem Zweck geschriebene Sprache im öffentlichen Raum in Wien – primär auf Schildern jeder Art, aber auch auf Zetteln in Schaufenstern, auf Stickern und sogar auf Gegenständen wie Hydranten und Schrauben. Barbara Soukup: "Hier sind wir auf einen interessanten Aspekt gestoßen, der uns vorher gar nicht so bewusst war: Es gibt in der Linguistic Landscape sehr viele beschriftete Dinge, die zum Beispiel nur ein Kürzel zur Typenbeschreibung tragen. Ist das Kommunikation? Ja, denn es wird sehr wohl Bedeutung vermittelt. Schrauben werden so zu einem Nexus an technischen Diskursen. Die Sprachlandschaft kommuniziert in den unterschiedlichsten Formen, Codes und Größenordnungen."
Sprache ist überall und ständig
Die Sammlung der über 17.000 Datenpunkte fand von April bis September 2015 statt und war ebenso gründlich wie zeitaufwendig: "Dadurch, dass wir wirklich jeden Winkel inspiziert haben, haben wir für 200 Meter einer Straße rund vier Tage gebraucht." Das liegt vor allem an der bemerkenswerten Dichte an sprachlichen Artefakten in Wien: Im Schnitt findet man drei bis vier pro Meter.
Dass Sprache "überall und ständig" ist, ist für die Sprachwissenschafterin klar, fällt im Alltag jedoch kaum auf: Viele Botschaften, die für uns nicht unmittelbar relevant sind, blenden wir aus – auch aus dem einfachen Grund, dass unser Gehirn gar nicht alles verarbeiten könnte.
Ist der "Euro Shop" Englisch oder Deutsch?
Bereits in der Erhebungsphase bemerkte Soukup großes Interesse an ihrer Forschung: "Wir wurden immer wieder angesprochen, was wir da machen. Irgendwie haben alle eine Meinung zum Thema Sprache, insbesondere zur Mehrsprachigkeit." Eine Geschäftsbesitzerin erklärte, dass in ihrem Geschäft "nichts auf Englisch sei". Soukup: "Sie musste selbst lachen, als ich sie darauf aufmerksam machte, dass ihr Geschäft 'Euro Shop' heißt – das war ihr gar nicht als 'Englisch' aufgefallen. Auch das ist eine Fragestellung des Projekts: Inwieweit sind ursprüngliche Anglizismen schon ins Deutsche integriert, sodass sie überhaupt nicht als fremdsprachig aufgefasst werden?"
Nur 10 Prozent Englisch
Der oft bemühte Satz "Überall liest man nur mehr Englisch" lässt sich durch die Soukups Erhebungen nicht bestätigen: Englisch findet sich nur auf rund 10 Prozent aller beschrifteten Schilder und Gegenstände im untersuchten öffentlichen Raum in Wien, Deutsch dagegen auf knapp 40 Prozent. Andere Sprachen sind in circa zwei Prozent der Aufschriften vertreten. In fast 20 Prozent der Fälle ist der Text keiner Sprache zuordenbar (siehe Schrauben-Kürzel). Interessant, wenn auch nicht ganz überraschend, war für die Wissenschafterin, wie verschwindend selten österreichischer Dialekt in der Linguistic Landscape zum Einsatz kommt, nämlich in weniger als einem Prozent der Aufschriften – obwohl das Spiel mit Sprachwechseln zwischen Dialekt und Hochsprache in Österreich ein allgegenwärtiges mündliches Phänomen ist.
Die Faktoren, die für eine Verwendung von Englisch sprechen, sind Kommerzialität, Mehrsprachigkeit und unautorisierte Anbringung. Konkret heißt das: Englisch findet man häufiger in der Sprachlandschaft von Einkaufsstraßen als von Wohnstraßen, sowie eher in Bezirken mit größerer mehrspachiger Bevölkerung – und insbesondere auf illegal angebrachten Stickern.
Im Sommersemester 2020 steht die Wirkung des Wortes im Mittelpunkt. Welche Rolle spielt die Sprache für unsere Identität? Was passiert beim Spracherwerb im menschlichen Gehirn und wie setzen wir Denken in Sprache um? Wie Sprache in Medien, Werbung oder Politik manipulativ eingesetzt wird, dem geht diese Semesterfrage auf den Grund. Die Online Diskussion "Wie wirkt Sprache in Zeiten von Corona?" zur Semesterfrage "Wie wirkt Sprache?" zum Nachsehen.
Wie ich etwas sage, spielt eine Rolle
Warum spielt es überhaupt eine Rolle, welche Sprache verwendet wird? Sprachwahl ist nie neutral, sondern – über ihre sozialen Assoziationen – ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation. Im Fall des Projekts ELLViA gibt es dazu aktuell eine Reihe kleinerer Studien im Rahmen von forschungsgeleiteten Seminaren, in denen Studierende die Wirkung des Englischen auf das "Publikum" der Wiener Sprachlandschaft untersuchen.
Die Ergebnisse: Anglizismen vermitteln generell Botschaften von Modernität, Internationalität und Jugendlichkeit. Der Effekt hängt allerdings stark vom Kontext ab: Im Zusammenhang mit Lifestyle-Werbung (Mode, Make-up) fällt er deutlicher aus als im Bereich Essen, wo die Verwendung von Englisch nicht unbedingt mit Qualität und Vertrauenswürdigkeit assoziiert ist.
Barbara Soukup dazu: "Wir transportieren mit der gewählten Art des Sprechens sehr viel – und das kommt auch bei den Zuhörenden an. Wie wir etwas sagen, ist immer ein zentraler Teil dessen, was wir sagen. Diese Erkenntnis hat eine unglaubliche Wichtigkeit auch für andere wissenschaftliche Disziplinen und sollte generell viel mehr berücksichtigt werden." (bw)
Das FWF-Projekt "ELLViA – English in the linguistic landscape of Vienna, Austria" wird von Barbara Soukup vom Institut für Germanistik der Universität Wien geleitet und läuft von 2014 bis 2020. Finanziert wird es über das Elise-Richter-Programm des FWF. Am Projekt mitgearbeitet haben Kathrin Dolmanitz, Laura Fischer, Sophie van der Meulen, Julia Sator, Christina Schuster, Sophia Seereiner und Iris Vukovics.