Unsere Kristallographie (Teil 3)
| 26. November 2014Schmelzen, Umordnen, Dichterpacken – Ronald Miletich und Dissertantin Katharina Scheidl untersuchen Kristalle und ihren Wandel unter extremen Bedingungen. Im dritten Teil unserer Interviewserie erzählen sie von ihrer Arbeit als KristallographInnen an der Universität Wien.
Redaktion: Zum Jahr der Kristallographie: Warum ist dieses Fach wichtig für die Zukunft der Gesellschaft?
Katharina Scheidl: Beispielsweise ist es möglich mittels Kristallsynthese die Entwicklung von Materialien zu optimieren. Durch die Bestimmung der Kristallstruktur können wir auf die Anordnung der Atome rückschließen, die wiederum die physikalischen Eigenschaften des Kristalls bestimmt. So können z.B. kristalline Materialien entwickelt werden, die eine bestimmte physikalische Eigenschaft besonders ausgebildet haben. Das ist in vielen Bereichen interessant, von Energietechnik über die Herstellung von Oberflächen bis hin zur Entwicklung von Baustoffen, Keramiken oder Medikamenten.
Ronald Miletich: Die in Industrie und Technik eingesetzte kristallographische Forschung verfolgt das Ziel, das Verständnis des Aufbaus und der Eigenschaften von kristalliner Materie gezielt einzusetzen. Wir alle wollen immer dünnere Smartphones oder Touchscreens aus einem Material, das gleichzeitig elektrisch leitend und optisch transparent sein sollte. Zwei Eigenschaften, die sich normalerweise gegenseitig ausschließen und die man nur haben kann, wenn man sozusagen ein wenig an der Kristallstruktur "dreht". Ein anderes Beispiel ist die Möglichkeit, Impfstoffe ohne Tierversuche zu entwickeln.
Redaktion: Was wissen die meisten Menschen nicht über Kristallographie?
Scheidl: Dass Swarovski-Kristalle entgegen ihres Namens gar keine Kristalle sind, zum Beispiel. Sie sind aus Glas, einem Material, das einer unterkühlten Schmelze entspricht. Da dieses keine periodische Anordnung der Atome aufweist, ist es für uns ein nichtkristalliner Festkörper. Die Facetten der Swarovski-"Kristalle" werden also nachträglich hineingeschliffen und sind nicht natürlich gewachsene Begrenzungsflächen wie sie bei Kristallen auftreten.
Miletich: Viele Menschen wissen gar nicht, wie viele Materialien sie täglich berühren oder verwenden, die eigentlich aus vielen kleinen Kristallen bestehen. In der Küche, wenn Zucker und Salz verwendet werden, rieseln beispielsweise kleine Kristalle in den Tee oder in die Suppe. Oder bei Schokolade: Wie fein diese schmeckt, hängt davon ab, welche der sechs strukturellen Formen der Kakaobutter vorliegt. Je kleiner die Kristallite der metastabilen "Form 5" sind, die im Vergleich zu den anderen Formen einen besonders niedrigen Schmelzpunkt hat, umso zartschmelzender ist die Schokolade.
Mit Hilfe einer solchen Diamantstempelzelle können die ForscherInnen kleinste Kristalle unter auch extremen Hochdruckbedingungen untersuchen. Physikalische und strukturelle Änderungen können so auch unter außergewöhnlichen Umgebungsbedingungen direkt AXbeobachtet werden.
Redaktion: Das nimmt bereits die nächste Frage vorweg: Wo trifft man im Alltag auf Kristallographie, wo man sie nicht vermuten würde?
Scheidl: Mir fällt z.B. Weinstein ein, der sich am Boden von Weinflaschen ablagert. Das sind Salze der Weinsäure, also Kalium- oder Calciumsalze, die bei der Lagerung auskristallisieren und auf den Boden hinabsinken.
Miletich: Ein weiteres Beispiel ist auch Waschmittel. Um das Wasser zu enthärten, bindet man das Calcium in mikroporösen Kristallstrukturen und tauscht es gegen z.B. Natrium aus. Diesen Ionenaustausch vollziehen kleine Kristallpartikel, sogenannte Zeolithe, feinkörnige kristalline Bestandteile eines jeden Waschmittels.
Redaktion: Was fasziniert Sie an der Kristallographie?
Scheidl: Ich bin über meine Begeisterung für die Symmetrielehre zur Kristallographie gekommen. Kristalle sind durch Atome aufgebaut, in deren Anordnung erkennt man Symmetrien. Manche Kristalle sind mehr, andere weniger symmetrisch. Inzwischen fasziniert mich vor allem, dass wir durch Röntgenstrahlung auf den atomaren Aufbau von Materie rückschließen können und dieser Aufbau Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften von Kristallen hat.
Miletich: Auch wenn manche vielleicht etwas anderes behaupten würden, bilde ich mir ein, ein eher unordentlicher Mensch zu sein. Ich dachte früher immer, dass die Natur ein ähnlicher "Chaot" sei wie ich. Dann gibt es aber Kristalle, in denen alles geordnet und geometrisch ausgerichtet ist. Umgekehrt gibt es aber auch welche, sogenannte Quasikristalle, die zwar "unordentlich" erscheinen mögen, aber nach klaren Ordnungsprinzipien aufgebaut sowie symmetrisch sind, und einfach nur kein periodisches Kristallgitter aufweisen. Über diese Aspekte betreffend Ordnung und Symmetrie habe ich unter anderem den Zugang zur Kristallographie gefunden.
Redaktion: Woran forschen Sie derzeit?
Scheidl: Ich untersuche den Einbau von volatilen Komponenten wie H2O und CO2 und Edelgasen in Silikatstrukturen und ihren Einfluss auf das Hochdruckverhalten. Dabei schaue ich mir besonders an, welchen Einfluss unterschiedliche Druckübertragungsmedien auf das Hochdruckverhalten von Kristallen haben. Üblicherweise wird dafür eine Methanol-Ethanol Mischung verwendet, wir experimentieren nun auch mit den verdichteten Edelgasen Helium, Neon und Argon.
Miletich: Allgemein gesprochen untersuche ich Phasentransformationen und das mechanische Verhalten von kristallinen Festkörpern, die als Minerale oder Keramikkomponenten von Bedeutung sind. Wir wissen von vielen Kristallen, dass sie bei Druckausübung ihre Strukturform verändern. Im Moment interessiert es mich besonders, den Mechanismen dieser Umwandlung auf den Grund zu gehen, in welchen Zeiträumen diese sich vollziehen und ob diese über Zwischenschritte ablaufen. Manchmal passieren diese Transformationen spontan in Bruchteilen einer Sekunde, manchmal auch über mehrere Tage nicht. Welche Zwischenschritte spielen bei Zeitverzögerungen dabei eine wesentliche Rolle? Diese Mechanismen zu verstehen kann u.a. für Erdbebenvorhersagen von Bedeutung sein.
Der etwa 20 x 25 mm große natürliche Calcit-Einkristall stammt aus der Doppelspat-Mine bei Helgustaðir (Island) und wurde von Ronald Miletich auf einer erdwissenschaftlichen Exkursion mit Studierenden im Steinbruch Helgustaðanáma selbst entdeckt: "Der Kristall zeigt neben der einspiegelnden Rhomboederfläche auch eine Skalenoederfläche, wie sie typischerweise bei Kristallen aus dieser Mine vorkommt. (Foto: R. Miletich)
Redaktion: Haben Sie einen Lieblingskristall?
Scheidl: Die Eiskristalle in den Schneeflocken. Das Wasser kristallisiert in einer sechszähligen Symmetrie und kann faszinierend viele verschiedene Erscheinungsformen annehmen.
Miletich: Im Moment ist eines meiner liebsten Forschungsobjekte Calcit (Kalkspat), also das Calciumcarbonat. Kalkspat kommt in der Natur besonders häufig vor, wird z.B. in Meeressedimenten gebildet, und hat eigentlich eine ganz einfache Kristallstruktur. Dennoch ist es ein sehr faszinierender Kristall, da er eine besonders hohe Doppelbrechung des Lichts aufweist. Es überrascht mich immer wieder, wie diese eigentlich einfache Struktur immer wieder neue Strukturformen eingehen kann, und welche Vielfalt an strukturell unterscheidbaren Phasen besteht, wenn man nur ein wenig den Druck oder die Temperatur ändert.
Redaktion: Was ist Ihr wichtigstes bzw. spannendstes Forschungsergebnis?
Scheidl: Mein spannendstes Forschungsergebnis ist der Kristall, den ich mit der Czochralski-Methode für meine Bachelor-Arbeit gezüchtet habe. Der Kristall wird dabei aus einer heißen Schmelze gezogen und wächst an der Kontaktfläche zur flüssigen Metallschmelze.
Für ihre Bachelorarbeit züchtete Katharina Scheidl einen eigenen Kristall. Das Bild zeigt den Blick durch das Beobachtungsfenster der Czochralski-Apparatur, kurz nachdem der Kristall von der glühend heißen Schmelze (ca. 1150°C) getrennt wurde. (Foto: K. Scheidl)
Miletich: Zu erkennen, dass bei Hochdruckphasenübergängen die strukturelle Instabilität zu Abweichungen im elastischen Verhalten, quasi einem "Weichwerden" des Kristalles führen kann und dieses Phänomen letztendlich die eine oder andere geophysikalische Anomalie in der seismischen Wellenausbreitung bei den sogenannten "Low-Velocity Zonen" erklären könnte. (mw)
Über die Wissenschafterinnen:
Ronald Miletich (geb. in Wien) promovierte 1993 an der Universität Wien und war von 1994-1998 am Bayerischen Forschungsinstitut für Experimentelle Geochemie und Geophysik in Bayreuth tätig; 1998-2002 als Assistent am Labor für Kristallographie der ETH Zürich. 1999 Habilitation an der Universität Salzburg; 2002-2011 Professor für Kristallographie (C3) in Heidelberg. Seit Februar 2011 ist er Professor für Mineralogie und Kristallographie an der Universität Wien.
Katharina Scheidl (geb. in München) machte 2010 ihren Bachelor in Geowissenschaften, Vertiefungsrichtung Mineralogie an der TU / LMU München (Deutschland) und 2012 ihren Master in Erdwissenschaften, Vertiefungsrichtung Mineralogie und Kristallographie an der Universität Wien. Seit Oktober 2012 ist sie Doktorandin am Institut für Mineralogie und Kristallographie der Universität Wien. (Fotos: M. Wittfeld)