Universität und Wissenschaft zwischen 1933 und 1945
| 11. November 2010Am Donnerstag, 21. Oktober 2010, wurde in der Aula am Campus der Sammelband "Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien" - herausgegeben vom Historiker Mitchell Ash, dem Zeithistoriker Wolfram Nieß und dem Rechts- und Verfassungshistoriker Ramon Pils - präsentiert. In diesem Kontext hielt der Romanist Frank-Rutger Hausmann einen Vortrag über "Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus als Forschungsaufgabe". "DieUniversität-online" sprach mit ihm über Wissenschaft, WissenschafterInnen und Universitäten im Nationalsozialismus.
Redaktion: Welche Veränderungen traten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bzw. nach dem "Anschluss" 1938 allgemein für die Universitäten ein?
Hausmann: Die Universitäten in Deutschland und Österreich wurden "gleichgeschaltet". Das Führerprinzip wurde eingeführt, d.h. der Rektor diente als verlängerter Arm des Ministeriums. Gremien wie Fakultät und Senat hatten keine Entscheidungsgewalt mehr. U.a. verloren jüdische, kommunistische und sozialdemokratische ProfessorInnen ihr Amt - insgesamt 15 bis 20 Prozent der gesamten Professorenschaft. Auch inhaltlich kam es zu einem Bruch. Die Wissenschaft entzog sich fortan internationalen Kriterien und schaltete sich durch "völkisch-rassische Grundlagen" gleich.
Redaktion: Existierten Handlungsspielräume für Universitäten oder Professoren? (Professorinnen kamen primär erst nach Kriegsausbruch an die Universitäten)
Hausmann: Da gibt es fachübergreifende Unterschiede. In den für die Nationalsozialisten wichtigen Fächern wie Rassenkunde, Raumplanung, West-, Ost- und Südostforschung, Juden- und Wehrkunde war die ideologische Gleichschaltung wesentlich stärker als in anderen Gebieten. Aber auch andere FachvertreterInnen haben eigenständig versucht, Brücken zur nationalsozialistischen Ideologie zu schlagen. Es war zwar möglich, über "neutrale" Themen zu schreiben, so lange sie nicht gegen die Interessen der Nationalsozialisten verstießen, aber die meisten Professoren haben sich wenigstens ein- bis zweimal regimefreundlich geäußert.
Redaktion: Gab es "die" nationalsozialistische Wissenschaft?
Hausmann: Es existierte kein eigenständiges nationalsozialistisches Wissenschaftssystem. Aber es funktionierte trotzdem, denn die völkisch-rassischen Grundlagen wurden akzeptiert. Zudem ist der Grad der Gleichschaltung erstaunlich. Neben neuen Prüfungsordnungen wurden auch neue Promotions- und Habilitationsordnungen und geänderte Berufungsverfahren an den Universitäten eingeführt. Voraussetzung für die Habilitation wurde der Besuch eines Schulungslagers, d.h. bis zu zehn Wochen paramilitärische und bis zu sechs Wochen ideologische Schulung. Hätte Deutschland den Krieg gewonnen, dann wäre wohl auch eine eigene nationalsozialistische Wissenschaft entstanden.
Redaktion: Was passierte nach 1945?
Hausmann: Fast alle ProfessorInnen, die im Nationalsozialismus an deutschen oder österreichischen Hochschulen tätig waren, blieben es auch nach 1945, mussten aber ein Entnazifierzungsverfahren durchlaufen und in einigen Fällen mehrere Jahre bis zur Wiedererlangung ihrer früheren Position warten. Berühmte Ausnahmen sind unter anderem der Jurist Carl Schmitt und der Philosoph Martin Heidegger. Durch die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Folgen war der Verlust an wissenschaftlichem Potenzial sehr hoch, doch es wurde dort weitergemacht, wo man 1933 aufgehört hatte. In Publikationen wurde z.B. das Wort "völkisch" einfach durch "demokratisch" ersetzt. Erst seit 1966 beginnt eine langsame Aufarbeitung des Themas. (mw)
Prof. Dr. Frank-Rutger Hausmann ist seit vier Jahren pensioniert. Davor lehrte und forschte er am Romanischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in Deutschland. Er ist Experte für das Thema "Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus".
Lesen Sie mehr zum Thema im Interview "Publikation: Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus" mit Mitchell G. Ash vom Institut für Geschichte anlässlich der Präsentation des von ihm mitherausgegebenen Sammelbands "Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien".
Buchtipps:
Frank-Rutger Hausmann (Hg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945. München: Oldenbourg, 2002.
Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.): Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien. Göttingen: V&R unipress: Vienna Univ. Press, 2010.
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