UN-Klimakonferenz: "Halte moralische Appelle für zwecklos"

Die UN-Klimakonferenz in Paris 2015 neigt sich ihrem Ende zu. uni:view nahm die Veranstaltung, mit der die Hoffnung auf eine neue Klimaschutz-Vereinbarung verbunden ist, zum Anlass, um den Wirtschaftswissenschafter Franz Wirl zum Thema zu befragen.

uni:view: Wenn das Thema Klimawandel wissenschaftlich diskutiert wird, stehen zumeist naturwissenschaftliche Aspekte und Sichtweisen im Vordergrund. Welchen wichtigen Beitrag leisten die Wirtschaftswissenschaften zu dieser Diskussion?
Franz Wirl: Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften ist es, sich vorwiegend mit den Anreizen und dem damit verbundenen Gesetz unerwünschter Auswirkungen ("Law of Unintended Consequences": das Gegenteil von Gut ist gut gemeint) zu beschäftigen. Diese Fragen betreffen die Wahl der Instrumente wie etwa das Festlegen von Normen, Standards und Verboten und die Schwarzfahrerproblematik – am besten die anderen investieren in klimaschonende Maßnahmen –, die im Falle dieses globalen Problems sehr groß ist.

uni:view: Welche spezifischen Probleme stellen sich in Bezug auf die Klimapolitik aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht?
Franz Wirl: Ein Kernproblem beim Klimawandel ist, dass er eine Folge von den seit der industriellen Revolution akkumulierten Emissionen ist. Kurzfristige Reduktionen der Emissionen sind daher nahezu irrelevant, es muss das dynamische Problem zukünftiger Emissionen gelöst werden – entweder individuell, national oder kooperativ von der Staatengemeinschaft. Dies führt zur Abwägung des Heute mit dem Morgen, verknüpft Umweltinvestitionen mit anderen Investitionen und führt damit zur Frage des richtigen Abzinsens und damit zu einer Verbindung mit den Finanzmärkten. Ein weiteres für die Klimapolitik charakteristisches Problem ist die oben angesprochene Tragödie der Allmende: Jeder Einzelne findet es besser, die anderen die Kosten tragen zu lassen und sich nur am Nutzen zu beteiligen.

uni:view: Hat die Klimapolitik bislang versagt? Welche Fehler wurden begangen?
Franz Wirl
: Die Klimapolitik ist sowohl politisch als auch was die ExpertInnen betrifft auf höchstem Niveau angesiedelt. Trotzdem sind zahlreiche Entscheidungen – meiner Meinung nach bewusst – ineffizient ausgefallen. Einige Beispiele: Gutschriften für emissionsreduzierende Maßnahmen in Entwicklungsländern, die zum Schwindeln und sogar zu Betrug führten, die kostenlose Vergabe von Zertifikaten im Rahmen des EU-weiten CO2-Handels, der Verzicht auf CO2-Steuern oder die Praxis mehrfacher und überlappender Zertifikate – für CO2, erneuerbare Energie und Energieeinsparung – und dabei vor allem die Absurdität von den Energieerzeugern umgehängten Energiesparprogrammen (a butcher that must induce consumers to eat fish).

uni:view: Welche Maßnahmen und Instrumente sind Ihrer Meinung nach geeignet, um Emissionen effizient zu reduzieren?
Franz Wirl
: Steuern auf Emissionen sind trotz der damit verbundenen Probleme das beste Instrument. Alleine die Wahl des Mengeninstrumentes der CO2-Zertifikate war nach der guten Erfahrung mit Energiesteuern (z.B. der Mineralölsteuer) suboptimal, was sich dann durch die schwankenden und letztendlich zu niedrigen Zertifikatspreise bestätigte. Allerdings haben Steuern einen politischen Preis, denn sie erhöhen direkt und für jeden Konsumenten ersichtlich den Preis, was die Zertifikate verschleiern. Moralische Appelle an einzelne Personen bei mehr als sieben Milliarden Menschen und auch an einzelne Staaten halte ich für zwecklos und problematisch.

uni:view: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten von erneuerbaren Energien im Kontext der Klimapolitik ein?
Franz Wirl
: Erneuerbare Energie – Wind, Sonne und Biomasse – hat eine sehr geringe Energiedichte, einen ungeheuren Flächenbedarf und ist auch nicht unproblematisch. Beispielsweise reduzieren Biosprit oder Photovoltaik zwar die CO2-Emissionen, tragen neueren Studien zufolge aber gleichzeitig zur Erderwärmung bei. Trotzdem müssen erneuerbare Energien einen essentiellen Beitrag liefern, was nicht einfach sein wird.

uni:view: Einige prominente Stimmen sehen direkt in den Unternehmen den Weg zur Lösung des Klimaproblems. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Franz Wirl
: Die Idee, auf Firmen und deren Lösungen zu warten, halte ich für blauäugig und der jetzige VW-Skandal bestätigt das selbst für Unternehmen, für die eine positive Reputation sehr wichtig ist. Allerdings sind es Unternehmen, die die neuen Techniken liefern müssen, wofür sie aber entsprechende Anreize brauchen. Das verlangt wiederum, dass sich die Politik bindet, was nahezu unmöglich ist. Moralische Appelle genügen hier sicher nicht.

uni:view: Der aktuellen Klimakonferenz in Paris wird eine besondere Bedeutung beigemessen, weil dort eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung in Nachfolge des Kyoto-Protokolls verabschiedet werden soll. Wie beurteilen Sie die entsprechenden Erfolgsaussichten?
Franz Wirl
: Die im Moment optimistischste Prognose ist die, dass sich ein Großteil der Staaten mit über 90 Prozent der CO2-Emissionen auf freiwillig formulierte Ziele einigen kann. Dies wäre ein Vorteil gegenüber dem Kyoto-Protokoll, das 14 Prozent der globalen CO2-Emissionen betraf und nie ratifiziert wurde. Allerdings kann eine solche globale Tragödie nicht auf Basis von Freiwilligkeit gelöst werden, denn die Politik müsste dann die damit verbundenen Kosten der eigenen Bevölkerung aufbürden.

uni:view: Wie sieht Ihr persönlicher Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Klimapolitik aus? Gibt es noch Grund für Optimismus?
Franz Wirl
: Optimismus resultiert aus der Tatsache, dass etwa im Montreal-Protokoll eine ähnlich gelagerte globale Tragödie – nämlich die der Ozonschicht – durch internationale Abkommen beseitigt werden konnte. Die Voraussetzungen dafür waren billige Substitute für FCKWs und die Bereitschaft, die Entwicklungsländer zur Teilnahme zu bestechen. Daher ist die Bereitstellung von Substituten und natürlich auch von Effizienzsteigerungen der Knackpunkt, wofür viel an Forschung und Entwicklung (Grundlagenwissenschaft und angewandte Forschung in Unternehmen), Offenheit (Kernenergie, Geoengineering), die richtigen politischen Rahmenbedingungen und Glück notwendig sind.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Franz Wirl
Werdegang: Geboren am 21. November 1951 in Wien, verheiratet und zwei Kinder. Studium der Wirtschafts- und Planungsmathematik (1971-1976, TU Wien, Dipl. Ing.). Anschließend im OPEC-Sekretariat (1977-1983, Econometrician, Analysen und Modelle des Weltölmarktes) und Promotion (1982). Zwischen 1983 und 1995 am Institut für Energiewirtschaft der TU Wien, Habilitation 1989. 1995-2000 C4-Lehrstuhl (Öffentliche Wirtschaft) an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Seit 1. März 2000 Lehrstuhl für Industrie, Energie und Umwelt am Betriebswirtschaftlichen Zentrum der Universität Wien. Studienaufenthalte an der Harvard University, an der University of Southern California, der Stanford University, der Technischen Universität Sydney, East-West Center Honolulu, University of California at Santa Barbara und der Pontificia Universidad Católica de Chile.
Forschung: Energiemärkte (vorwiegend international, Mitherausgeber des Energy Journal), Umweltthemen (Vertreter beim Jahrbuch ökologische Wirtschaftsforschung, im Ausschuss für Umwelt- und Ressourcenökonomie), Ressourcen, öffentliche Unternehmen (Kommission Öffentliche Wirtschaft und Verwaltung), intertemporale Entscheidungen, dynamische Spiele, Agentenproblematik, Realoptionen, Managementtheorie, Bifurkationen, etc.
Publikationen: bis dato drei Bücher und über 200 wissenschaftliche Arbeiten (erster Rang in der Handelsblatt-Rangliste der besten betriebswirtschaftlichen ProfessorInnen deutschsprachiger Länder in den Jahren 2009, 2012 und 2014).