Umweltschutz, Menschenrechte und Bruttonationalglück (Teil 2)

Die vier WissenschafterInnen von der Universität Wien, die in Bhutan am Aufbau der ersten Rechtswissenschaftlichen Fakultät mitwirken, schildern im zweiten Teil ihres Berichts für uni:view Herausforderungen, schöne Momenten und wichtige Dialoge.

Iris Eisenberger, die an der Law School einen Kurs zu Umweltrecht anbieten wird, besucht die National Environmental Commission (NEC), die nationale Zweigstelle des WWF und die Royal Society for the Protection of Nature (RSPN), um erste Impulse für die Umweltrechtsvorlesung zu bekommen. Die NEC befindet sich innerhalb des Tashichhodzong, wo sich auch die offiziellen Räume des Königs sowie des Monk Body befinden. Der Weg führt über Jahrhunderte alte Holzdielen ins Zimmer der Chefjuristin. Mit Stolz spricht sie über die Natur, die sie als Herz des bhutanischen Königreichs bezeichnet, und die es durch die neuen Gesetze zu schützen gelte.

Die Verfassung legt ausdrücklich fest, dass 60 Prozent des Territoriums bewaldet sein müssen. Unsere Frage, ob sie etwas über gerichtlich anhängige Fälle berichten könnte, verneint sie: Die neuen Gesetze seien eher dazu da, Streitigkeiten zu vermeiden als sie zu ermöglichen. Konflikte offen auszutragen sei weder Teil der politischen noch der Rechtskultur Bhutans. Eine Zuschreibung, die wir auch vom Direktor der RSPN hören. Kinley Tenzin begrüßt uns besonders herzlich, hat er doch eine ganz spezielle Verbindung zu Österreich. Er studierte an der BOKU, wo er im Jahr 2008 mit einer Arbeit zu gemischten Nadelwäldern in Bhutan promovierte.

"Human Dignity"-Konzept Bhutans

Christina Binder und Wolfram Schaffar widmen sich vor allem Menschenrechtsfragen. Besuche bei nationalen NGOs (RENEW, das vor allem zu Fällen häuslicher Gewalt arbeitet), der National Commission for Women and Children und UNICEF/UNDP stehen auf dem Programm. Im Vordergrund für die Planung des künftigen Menschenrechtsunterrichts ist die Frage, inwieweit ein ausschließlich menschenrechtsbasierter Ansatz verfolgt oder Gemeinsamkeiten und Kongruenzen mit dem autochthonen "human dignity"-Konzept Bhutans in den Mittelpunkt gestellt werden sollten. Insbesondere bei Frauen- und Kinderrechten ist die Antwort eindeutig: Ein menschenrechtsbasierter Ansatz wird praktiziert, als notwendig erachtet und nicht als Widerspruch zum Konzept der "human dignity" gesehen. Die auf Menschenrechte fokussierten Treffen dienen auch der Vorbereitung der für das 4. und 5. Studienjahr geplanten Law Clinics. Bei diesem "Praxis-Modul" beraten Studierende pro bono benachteiligte Gruppen in rechtlichen Fragen.

Nicht nur Arbeits-Meetings stehen am Programm. Ein Ausflug führt die Uni Wien-Delegation zu einer der heiligsten Stätten Bhutans, dem "Tigers Nest". Die Klosteranlage befindet sich auf 3.120 Meter Höhe und hier soll der in Bhutan als zweiter Buddha verehrte Guru Rimpoche auf einer Tigerin fliegend gelandet sein. (Foto: Universität Wien)

Dokumentation der bhutanischen Rechtsgeschichte

Michaela Windischgrätz widmet sich inzwischen einem weiteren Forschungsprojekt, das in die Lehre an der JSW Law School einfließen wird. Initiiert durch die Präsidentin der JSW Law School wurden in den letzten Jahren durch MitarbeiterInnen des Bhutanese National Legal Institute (BNLI) hunderte Interviews mit älteren Menschen in ganz Bhutan geführt, um die ungeschriebene bhutanische Rechtsgeschichte zu dokumentieren. Ziel des Projekts ist nicht nur, das kulturelle rechtliche Erbe Bhutans zu bewahren, sondern auch den immer noch gegebenen Einfluss alten Gewohnheitsrechts im Rahmen der modernen bhutanischen Rechtsordnung zu evaluieren.

Konzept des Bruttonationalglücks

Im Zuge unserer Gespräche werden wir regelmäßig mit einer Besonderheit Bhutans konfrontiert. Gross National Happiness – das Konzept des Bruttonationalglücks – spielt als normativer Entwicklungsrahmen eine zentrale Rolle. Es geht auf die 1970er Jahre zurück, als der 4. König Jigme Singye Wangchuck, der damals noch als absoluter Monarch regierte, eine auf reinem Wirtschaftswachstum basierte Entwicklungsstrategie zurückwies und stattdessen einen buddhistisch inspirierten alternativen Entwicklungspfad einschlug: Das Glück der Menschen sollte im Zentrum stehen, nicht die Steigerung des Bruttonationalprodukts.

Dieses Konzept erwies sich als anschlussfähig an internationale Debatten, die seit den 1980er Jahren zu den "Grenzen des Wachstums" geführt werden. Es wurde auch zum globalen Markenzeichen Bhutans. Das ist nicht zuletzt auf die starke Förderung durch die bhutanische Regierung zurückzuführen: Die Prinzipien des Bruttonationalglücks sind in der Verfassung von 2008 verankert und bilden die Grundlage für landesweite Umfragen, in denen regelmäßig das Glücksniveau der Bevölkerung erhoben und als Basis für politische Entscheidungen herangezogen wird.

Dialog mit den KooperationpartnerInnen

Auch für unsere Tätigkeit – die Begleitung der JSW Law School – ist Gross National Happiness relevant. Offiziell ist die Law School der Gross National Happiness Commission unterstellt, die alle politischen Projekte auf ihre Kompatibilität mit dem bhutanischen Entwicklungskonzept überprüft. Das bedeute, so versichern unsere GesprächspartnerInnen, jedoch nicht, dass Menschenrechte oder andere Verpflichtungen, die Bhutan eingegangen ist, durch diesen nationalen Rahmen relativiert werden. In diesem Sinn soll sich die neue Law School zentral auch der Frage widmen, wie sich die internationalen rechtlichen Standards im bhutanischen Rechtssystem niederschlagen, einem zu entwickelnden Rechtssystem, das an den Prinzipien des Bruttonationalglücks ausgerichtet sein soll.

Bei unserer Reise zeigten sich die Herausforderungen von Third-Mission-Projekten, die die Universität Wien verstärkt unterstützt, und Entwicklungszusammenarbeit in ihrer ganzen Komplexität: Was können Wiener WissenschaftlerInnen zu einem so komplexen Projekt wie dem Aufbau einer ausländischen Law School beitragen? Was ist die wissenschaftliche und die normative Basis, von der wir ausgehen? Welche Auswirkungen hat unsere Kooperation? Eines ist klar: diese Fragen können nur im Dialog mit den KooperationpartnerInnen bearbeitet werden. Umso wichtiger waren unser Besuch und das Vertrauen, das wir aufbauen konnten, diese Fragen jederzeit ansprechen zu können.

Univ.-Prof. MMag. Dr. Christina Binder ist interim. Leiterin des Forschungszentrums Menschenrechte sowie am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien tätig. Univ.-Prof. Dr. Iris Eisenberger, M.Sc. (LSE) ist Leiterin des Instituts für Rechtswissenschaften an der BOKU und hält Lehrveranstaltungen am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Univ.-Prof. Dr. Wolfram Schaffar ist am Institut für Politikwissenschaft und am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien tätig. ao. Univ.-Prof. MMag. Dr. Michaela Windischgrätz ist am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien tätig.

Lesen Sie hier Teil I des Reiseberichts