Ukraine an der Wegscheide
| 04. Februar 2014Auch nach Rücknahme der Demonstrationsverbote und dem Rücktritt der Regierung zeigt sich die Opposition nicht bereit, die Proteste zu beenden: Die ukrainischen Konfliktparteien haben sich in eine Pattstellung hineinmanövriert, erklärt Alexander Dubowy von der Universität Wien in seinem Gastbeitrag.
Die Ukraine ist ein sowohl historisch, religiös und kulturell als auch wirtschaftlich und sozial inhomogener Staat. In den heutigen Grenzen ein Produkt des Ersten Weltkriegs und der Sowjetepoche, in Spannung zwischen dem österreichisch-polnisch/katholisch-jüdisch geprägten Westen und dem orthodox-russisch geprägten Osten und Süden, vereint durch das – zur Vollziehung der zivilisatorischen Fusion berufene – Zentrum, das historische Herz der Kiewer Rus – die Wiege der ukrainischen wie der russischen Staatlichkeit. Auch nach beinahe einem Vierteljahrhundert seit der Unabhängigkeit begegnen einander die Menschen (und Politiker) aus den verschiedenen Landesteilen oft mit Vorwürfen und Misstrauen.
Nach dem Verbot der Kommunistischen Partei und der Partei der Regionen in einigen westlichen Gebiete und der rechtsradikalen und antisemitischen Partei Swoboda auf der Krim ist der einheitliche parteipolitische Schleier eingerissen. Die Nahtstellen zwischen "Ost und West" sind längst unübersehbar und werden offensichtlich immer brüchiger.
Kein Grund zur Hoffnung
Aber egal wie die erneute ukrainische Konfrontation enden wird: Das nach dem Zerfall der Sowjetunion eingeführte ukrainische politische Modell scheint seine Möglichkeiten vollends ausgeschöpft zu haben. Die Ukraine braucht endlich eine Regierung der nationalen Einheit, die eine tiefgreifende Föderalisierung unter der Losung der unbedingt aufrechtzuerhaltenden Einheit des Landes, klar ausformulierte nationale Interessen und eine nachhaltige nationale Entwicklungsstrategie erwirken kann. An all dem sind alle bisherigen ukrainischen Präsidenten seit dem 1991 gewählten Leonid Krawtschuk gescheitert. Gescheitert ist auch Janukowitsch.
Ein Grund zur Hoffnung, dass die Opposition dieser Aufgabe gewachsen ist, besteht zum heutigen Zeitpunkt aber nicht. Selbst wenn die gemäßigten Oppositionspolitiker vom radikalen Aufbäumen und der antisemitischen Rhetorik eines bestimmten, unter der Schirmherrschaft der Partei "Swoboda" stehenden Teils der Protestierenden lossagen, ist von ihnen kaum die Bereitschaft zu erwarten, die Verantwortung nicht nur für ihre Anhänger, sondern für die gesamte Ukraine zu übernehmen. Der Friedensschein in den Reihen der Oppositionsführer trügt und ist nur von kurzer Dauer. Nach dem Rücktritt Janukowitschs wird wohl ein Machtkampf um Einflusssphären entbrennen, eine wichtige Rolle in diesem Machtkampf wird mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit Julia Timoschenko spielen.
Innenpolitische Krise spitzt sich zu
Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden innenpolitischen Krise wird es immer klarer, dass eine Assoziierung oder gar mögliche EU-Beitrittsperspektiven jedenfalls auf absehbare Zeit keine Option sind. Sinnhafter erscheint dagegen ein von der EU und Russland gemeinsam getragener Vermittlungsversuch. Solcherart könnte die Ukraine eine Brückenfunktion sowie ihrerseits eine wichtige Vermittlerrolle zwischen der EU und Russland einnehmen und einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der gegenwärtigen Krise in den EU-Russland Beziehungen leisten.
Im geschichtsträchtigen Jahr 2014, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt, bietet sich vielleicht die allerletzte Chance, im gegenseitigen Einvernehmen das Denken in Nullsummenspielen und "Schubladen" aufzugeben und so das angeblich "kurze 20. Jahrhundert" auch mental endgültig zu verabschieden.
Gefahr des Bürgerkriegs
Werden aber – wie gegenwärtig zu befürchten ist – keine grundlegenden Strukturreformen auf den Weg gebracht, wird sich die – von manchen durchaus mit Freude beschworene – Parallele des ukrainischen Auflehnens gegen das Janukowitsch-Regime mit dem verwelkten arabischen Frühling tatsächlich verwirklichen. Mögen auch die Proteste abklingen, die Gefahr des Bürgerkriegs und der Aufspaltung des Landes gebannt werden sowie das ukrainische politische Leben in ein ruhigeres Fahrwasser einschwenken, wird man versucht sein, an das Gedicht Alexander Bloks (1880-1921) zu denken:
Nacht, Weg, Laterne, Apotheke,
Das Licht ist sinnlos trüb und bleich.
Geh weiter auf der Lebensstrecke.
Kein Ausweg. Alles bleibt gleich.
Denn die nächste Krise kommt bestimmt.
Zum Autor: Mag. Alexander Dubowy ist Koordinator der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. |
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