Stalking und Gender
| 04. März 2011"Braucht es das überhaupt?" war eine viel gehörte Frage vor Inkrafttreten der "Anti-Stalking-Regelung" im Juli 2006. Diese Frage wurde durchaus auch von StaatsanwältInnen und RichterInnen gestellt, wie die Rechtswissenschafterin Katharina Beclin zu berichten weiß. Im Auftrag des Justizministeriums hat sie das Stalking-Gesetz evaluiert und, besonders hinsichtlich der Strafverfolgung, noch Verbesserungsbedarf festgestellt. Ein Resümee anlässlich 100 Jahre Internationaler Frauentag.
Im ersten vollständigen Jahr der Anti-Stalking-Regelung, von Jänner bis Dezember 2007, gingen 2.338 Anzeigen bei der Polizei ein. "Diese Zahl, die seitdem jährlich relativ konstant bleibt, zeigt, dass der Bedarf nach einem Stalking-Gesetz offensichtlich groß war", erklärt Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie: "Im Vergleich dazu kam es jedoch nur zu wenigen Verurteilungen, 2007 österreichweit nur 156 Mal. In den von uns untersuchten Stichproben in den Städten Wien, St. Pölten und Linz wurden 70 bis 80 Prozent der Verfahren eingestellt."
Fehlendes Bewusstsein
Den Grund sieht Strafrechtlerin Katharina Beclin u.a. in einem nach wie vor fehlenden Bewusstsein, sowohl auf Seiten der Richterschaft als auch bei der Staatsanwaltschaft. "Bei manchen RichterInnen und StaatsanwältInnen herrscht die Meinung: 'Das kann ja nicht so schlimm sein.' Dass Menschen an unzumutbaren Belästigungen schon fast zugrunde gegangen sind, ist vielen nicht bewusst. Erst langsam wird erkannt, dass Körperverletzungen schneller heilen als psychische Verletzungen." Die Polizei sei grundsätzlich gut geschult, doch sei es immer wieder vorgekommen, dass Anzeigen zu früh weitergeleitet wurden und die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels ausreichender Anzahl von dokumentierten Überfällen einstellte, ohne sich durch weitere Ermittlungen Kenntnis zu verschaffen, ob die Belästigungen weiter angedauert hatten.
Großer Handlungsbedarf besteht laut Katharina Beclin in der Aus- und Weiterbildung von RichterInnen. Im Gegensatz zur Polizei wehre sich die Richterschaft gegen verpflichtende Fortbildungen, da sie darin ihre Unabhängigkeit gefährdet sehe. "Zum Glück sind einschlägige Schulungen nun fixer Teil der Ausbildung von angehenden RichterInnen, im Amt befindliche RichterInnen werden mit Fortbildungen jedoch nur teilweise erreicht", so Beclin.
Neue gesetzliche Möglichkeiten
Österreich lag mit der Einführung des Anti-Stalking-Gesetzes durchaus noch bei den europäischen "VorreiterInnen". Die weltweit erste einschlägige Regelung führte Kalifornien zu Beginn der 1990er Jahre ein. Auch wenn das Wort Stalking im Zusammenhang mit Psychoterror und Belästigung erst relativ jung ist – ursprünglich kommt der Begriff aus der Jagdsprache und bedeutet "sich heranpirschen" –, ist das Phänomen mit Sicherheit schon älter. Relativ neu daran ist ein wachsendes Problembewusstsein und die damit einhergehende gesetzliche Thematisierung.
(Foto: Wilke) | Finden Sie den Frauentag wichtig? |
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Vor Juli 2006 waren PolizistInnen sprichwörtlich die Hände gebunden, auch wenn ein Opfer eine permanente Belästigung meldete. Stand zum Beispiel ein Täter "nur" vor der Türe des Opfers, konnte die Polizei ihn zwar höflich auffordern, zu gehen, aber handeln durfte sie erst, wenn es beispielsweise zu einer Gewaltandrohung oder zu tatsächlicher Gewaltausübung kam. Bei unzumutbaren Belästigungen – wie etwa wiederholten nächtlichen Anrufen oder, wie in einem Fall in Simmering, wo ein Stalker seinem Opfer u.a. einen Begräbniskranz an die Tür hängte – hatte die Polizei vor der Stalking-Regelung keine gesetzliche Handhabe. "Nun kann sie aufgrund des Sicherheitspolizeigesetzes, das an die Verhinderung gerichtlich strafbarer Handlungen anknüpft, einschreiten und die Opfer können wahlweise Strafanzeige erstatten und/oder beim Zivilgericht eine einstweilige Verfügung beantragen", so Beclin.
Täter und Opfer
Es ist nicht verwunderlich, dass sich viele Frauenorganisationen für die Verabschiedung des Stalking-Gesetzes eingesetzt haben, da im Großteil der Fälle Männer die Täter sind und Frauen die Opfer. "In unserer Evaluierung waren von allen TäterInnen in Wien 83 Prozent Männer, in St. Pölten 76 Prozent und in Linz 80 Prozent", so Beclin: "Wobei ich betonen möchte, dass Männer allgemein entsprechend öfter straffällig werden als Frauen. Auffällig ist aber, dass bei den Opfern das Geschlechterverhältnis genau umgekehrt ist: Bei der bedeutendsten Fallkonstellation, nämlich Anzeigen wegen Stalkings unter ExpartnerInnen, sind sogar 90 Prozent der Opfer Frauen. Stalking ist also ein typisches Genderthema."
"Männer haben offenbar mehr Probleme damit, den Verlust der Partnerin zu verarbeiten", so Beclin: "Deshalb wäre es wichtig, mehr in Männerberatungsstellen zu investieren und dort auch verstärkt Anti-Aggressionstrainings anzubieten. Doch leider ist es immer noch so, dass Frauen viel eher dazu bereit sind, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen." (td)
Ass.-Prof. Mag. Dr. Katharina Beclin ist am Institut für Strafrecht und Kriminologie tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Rechtstatsachenforschung, Jugendkriminalität, Gender in Strafrecht und Kriminologie, insbesondere Sexualkriminalität und Gewalt im sozialen Nahraum.