Spaziergang durch den Campus der Universität Wien

Seidenraupen-Plantage, Armenhaus, Militärkrankenhaus, Gebäranstalt – die Geschichte des heutigen Campus-Areals der Universität Wien ist gleichermaßen spannend wie vielfältig. Ab sofort bietet die Universität Wien geführte Spaziergänge durch die Höfe an. BesucherInnen erhalten dabei Einblicke in die wechselvolle Geschichte der Gebäude. "uni:view" war mit der Historikerin Barbara Sauer unterwegs und dokumentierte den geschichtsträchtigen "Frühlingsausflug".



1988 "schenkt" die Stadt Wien das Areal des ehemaligen Allgemeinen Krankenhauses der Universität Wien. Zehn Jahre später, 1998, wird das neue Wissenschaftszentrum für Forschung und Lehre offiziell eröffnet. Der Campus beherbergt seitdem über 15 Fachbereiche der Historisch-Kulturwissenschaftlichen und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Neben modernen Hörsälen und Fachbereichsbibliotheken lockt der Campus mit seinen Geschäften, Lokalen und Gastgärten nicht nur Studierende, sondern wird von vielen WienerInnen als Naherholungsort genutzt.



Im Hof 1, wo heute StudentInnen im Frühling ihre Mittagspause genießen, haben vor rund 300 Jahren Tausende von Raupen Seide gesponnen. Die Maulbeerbaum-Plantage – der Maulbeerbaum ist eine Futterpflanze für Seidenraupen – wurde dabei von den BewohnerInnen des Armenhauses "betreut", im Gegenzug erhielten die ArbeiterInnen Kost und Logis.

Ursprünglich wurden die Gebäude des heutigen Campus 1686 als Soldatenspital errichtet, kurz darauf, ab 1693 werden hier auch Arme untergebracht. Mitte des 18. Jahrhunderts "wohnten" am Areal des heutigen Campus im Armen- und späteren Invalidenhaus rund 6.000 Menschen. Die Bedingungen, unter denen die Menschen hier hausen mussten, waren teilweise unzumutbar. Kaiser Josef II. war für damalige Verhältnisse durchaus sozial eingestellt. So veranlasste er, die medizinische Versorgung der Bevölkerung durch ein Großkrankenhaus nach französischem Vorbild zu sichern. 1784 wird das Wiener Allgemeine Krankenhaus durch den Kaiser offiziell eröffnet. Nun beherbergt das Areal ein Krankenhaus, ein Militärhospital sowie mit dem Narrenturm eine "Irrenanstalt".

 


Die jahrhundertelange medizinische Nutzung des Areals hat bis heute ihre Spuren hinterlassen, meist in Form von Denkmälern und Gedenktafeln. Hier im Bild der Chirurg Theodor Billroth, der als erster Mediziner eine Magenresektion, die Teilentfernung einer Speiseröhre sowie eine Kehlkopfentfernung vornahm. Diese Operationen waren nur möglich, weil kurz zuvor der Arzt Franz Schuh – auch für diesen Wiener Arzt findet sich ein Denkmal in Hof 1 – die Methode der Äthernarkose in Österreich eingeführt hatte.



Neu am Campus ist das "Studier-Platzl" im Hof 1. Hier können Studierende ihre Vorlesungspausen gemütlich nutzen.


 
Die Historikerin und Campus-Expertin Barbara Sauer weiß neben historischen Fakten auch viele spannende Anekdoten über das Campus-Areal zu erzählen. So gibt es für die Benennung des Gebietes als "Siechenals" unterschiedliche Erklärungen: Der Name deutet entweder auf die langsame Fließgeschwindigkeit des Alsbachs oder auf die Siechenhäuser hin, die es schon vor der Errichtung des Militärhospitals in dieser Gegend gab.
 


Die Kapelle des ehemaligen Allgemeinen Krankenhauses dient der Universität Wien heute für eine Vielzahl an Veranstaltungen. Die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gemälde verschwinden bei solchen Anlässen zumeist hinter Vorhängen. Vor 200 Jahren, als dies noch längst nicht üblich war, stand die Kapelle Gläubigen verschiedener christlicher Konfessionen offen.
 


Der Altar der ehemaligen Krankenhauskapelle wurde originalgetreu belassen. Vom Fenster dahinter haben BesucherInnen einen wunderschönen Blicke auf Hof 2, in dem sich das Hörsaalzentrum befindet sowie …
 


… eine Statue des Gründers des Allgemeinen Krankenhauses, Kaiser Josef II. Das Standbild zeigt ihn in bürgerlicher Kleidung und verweist damit auf seine Nähe zum Volk. Unter Josefs Regentschaft wurden übrigens auch die Toleranzpatente erlassen, die jüdischen und protestantischen Gläubigen mehr Rechte einräumten; auch den Wiener Prater öffnete Josef II. seinen Untertanen – davor war dieser nur Adeligen vorbehalten.



Der "Seigaiha Teien" (Garten der blauen Meereswellen) im Hof 2 neben dem Hörsaalzentrum ist ein japanischer Steingarten im sogenannten karesansui-Stil. Er wurde im Mai 1999 anlässlich des 60-Jahr-Jubiläums des Fachs Japanologie an der Universität Wien von Eishin Harada, Tokyo, gestiftet und von Hiraaki Kishimoto, Osaka, errichtet.



Der Narrenturm, der sich hinter Hof 3 befindet, wurde als erstes psychiatrisches Krankenhaus unter Kaiser Joseph II. errichtet. Nach nur 17 Monaten Bauzeit wurde der zylindrische Narrenturm mit Innenhof im Jahr 1784 als Wohnstätte für "geistig Kranke" aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland in Betrieb genommen. Im Volksmund wurde das fünfstöckige runde Gebäude auch "Kaisers Josefs Guglhupf" genannt. Nach Einstellung des Krankenhausbetriebs 1866 wurde der Rundbau als Schwesternwohnheim, für Ärztedienstwohnungen, als Depot von Universitätskliniken und Werkstätten genutzt. Seit 1971 ist das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum im Narrenturm untergebracht, und seit 1993 wird das gesamte Gebäude als Museum genutzt. Der Narrenturm ist denkmalgeschützt und heute im Besitz der Universität Wien.



Mit der Übergabe des Krankenhaus-Areals der Stadt Wien an die Universität Wien 1996 ging auch das ehemalige jüdische Bethaus in den Besitz der Universität Wien über. Der Betpavillon war 1903 nach Plänen des Architekten Max Fleischer errichtet worden.  Im Novemberpogrom 1938 geschändet, überlebte das Gebäude wie durch ein Wunder die Nazizeit, wurde aber in den 1950er Jahren zu einem Trafohäuschen für das Krankenhaus umfunktioniert. Der Universität Wien war es ein großes Anliegen, diese "Missnutzung" richtig zu stellen: Durch künstlerische Umsetzung ist das begehbare Kunstobjekt DENK-MAL Marpe Lanefesch entstanden. "Marpe Lanefesch" ist Hebräisch und bedeutet "Heilung für die Seele". Das ehemalige jüdische Bethaus wurde im Oktober 2005 als begehbares Denkmal und als "Stätte des Gedenkens und Bedenkens" eröffnet.



Zum Abschluss der Tour durch den Campus führt uns Barbara Sauer noch zum "Tor der heimlich Schwangeren", das sich recht unscheinbar in Hof 7 befindet. Schon im 19. Jahrhundert war es hier ungewollt schwangeren Frauen möglich, anonym zu gebären. Auch Frauen, die sich die Geburt nicht leisten konnten, wurde hier geholfen, dafür mussten sie sich  für die Ärzteausbildung zur Verfügung stellen.

Vieles gibt es noch im Campus der Universität Wien zu entdecken und erfahren, doch hier soll nicht alles verraten werden. Im Zuge der neuen Führungen durch das Areal wird das Vermittlungsteam bei BesucherInnen noch für so manches Aha-Erlebnis sorgen. (Text: Theresa Dirtl, Fotos: Daniela Hermetinger)


Führungen durch den Campus der Universität Wien
Ein geführter Spaziergang durch die Höfe gibt Einblick in die vielfältige Geschichte der Gebäude, von der Nutzung als Armenhaus, Militärkrankenhaus, Gebäranstalt über die Universitätskliniken bis zur heutigen als modernes Wissenschaftszentrum für Forschung und Lehre.

Termine: nach Vereinbarung
Ansprechpartnerin: Kerstin Lackner
Tel.: 01/4277 17525 oder E-Mail: kerstin.lackner@univie.ac.at
Treffpunkt: Karlik-Tor
(Ecke Alserstraße/Otto-Wagner-Platz/Ostarrichi-Park)
Dauer: ca. 90 Minuten
Kosten: 60 Euro pro Gruppenführung

Da die Führung vorwiegend im Freien stattfindet, ist unbedingt adäquate Kleidung erforderlich.