Schlechte Aussichten für die Biodiversität

Im neuen "WWF Living Planet Report 2020" beleuchtet Bernd Lenzner von der Uni Wien gemeinsam mit Kolleg*innen den Einfluss von invasiven Arten auf die Biodiversität. In einem Gastbeitrag erklärt er, welche Szenarien derzeit wissenschaftlich erforscht werden.

Der globale Biodiversitätsverlust ist alarmierend, derzeit gelten rund eine Millionen Arten weltweit als vom Aussterben bedroht. Die wichtigsten Gründe für den Verlust von Biodiversität sind die Veränderung bzw. der Verlust von Lebensräumen durch menschliche Aktivitäten, unser unbändiger Bedarf an Rohstoffen und Nahrungsmitteln, der zu einer Übernutzung der terrestrischen und marinen Lebensräume führt, die Einschleppung von invasiven gebietsfremden Arten in neue Weltregionen, die Verschmutzung unsere Umwelt und zu guter Letzt auch der menschengemachte Klimawandel.

Kurzum: Wir Menschen üben immer mehr Druck auf die Natur aus. All dies führt zu einem immer stärkeren Verlust von Arten und Ökosystemen weltweit. Am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien widmen wir uns unter anderem der Erforschung des Einflusses von invasiven Arten auf die Biodiversität und versuchen zu ergründen, wie sich dieser Einfluss in der Zukunft verändern wird.

Welchen Einfluss haben invasive Arten?

Unter invasiven Arten verstehen wir solche, die durch den Menschen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in Regionen der Welt gebracht werden, in denen sie natürlicherweise nicht vorkommen würden. Dort fühlen sie sich so wohl, dass sie sich stark ausbreiten und ökologische, ökonomische und gesundheitliche Schäden anrichten. Als Fraßfeinde oder Nahrungskonkurrenten können sie heimische Arten verdrängen und so direkt zu deren lokalem und globalem Aussterben beitragen.

Andere invasive Arten wiederum verändern ganze Ökosysteme, indem sie zum Beispiel die Nährstoffverfügbarkeit im Boden oder die lokale Artenzusammensetzung verändern. Alles in allem stören sie so das ökologische Gleichgewicht, was zu einem Verlust wichtiger Funktionen bis hin zum Kollabieren ganzer Ökosysteme führen kann.

Die Zukunft in verschiedenen Szenarien

Welchen Einfluss invasive Arten in der Zukunft haben werden, ist noch wenig erforscht. Um das Thema besser zu verstehen, helfen sogenannte Szenarien. In diesen wissenschafltich fundierten "Geschichten" werden mögliche Wege skizziert, wie unsere Welt in der Zukunft aussehen könnte. Man kennt diesen Ansatz aus der Klimawandelforschung, wo je nachdem, welchen Weg wir als Gesellschaft einschlagen, die globale Erwärmung bis 2100 zwischen rund 2 und 8 °C im Jahresmittel liegen wird.

Anhand solcher Szenarien können Modelle entwickelt werden, um die Verbreitung und den Einfluss invasiver Arten in der Zukunft zu beschreiben. Dies wurde beispielsweise für die Ausbreitung invasiver Arten durch die globale Schifffahrt gemacht. Kollegen um Prof. Brian Leung, welcher ebenfalls unter den Autoren des "Living Planet Reports" ist, haben die Veränderung des globalen Schiffsnetzwerkes modelliert und konnten so zeigen, dass es – je nach Szenario – im 21. Jahrhundert zu einem weltweiten Anstieg von 200 bis 1.200 % der invasiven Artenzahlen im Meer kommen wird.

Solche Vorhersagen sind alarmierend – schließlich konnten wir kürzlich anhand einer Expert*innenbefragung zeigen, dass bereits ein Anstieg von 20 bis 30 % an invasiven Arten in der Zukunft sehr wahrscheinlich zu einem dramatischen Biodiversitätsverlust führen wird. Besonders wichtige Triebkräfte für einen solchen Anstieg sind der globale Warentransport, der Klimawandel und das Wirtschaftswachstum mit seinen Folgeescheinungen.

Gravierende Verschlechterung zu erwarten

Die zwei genannten Studien belegen beispielhaft, welch gravierenden Einfluss Veränderungen in unserer globalisierten Welt auf die Ausbreitung und den Einfluss von invasiven Arten in der Zukunft haben können. In allen Fällen gehen wir leider von einer Verschlechterung der Situation im Vergleich zu heute aus. Je mehr Informationen wir jedoch zur Verbreitung und dem Einfluss von invasiven Arten sammeln, desto bessere Modelle können wir entwickeln, um Vorhersagen für die Zukunft treffen. Dies ist auch das Ziel unseres internationalen Projekts AlienScenarios.

Generell lässt sich feststellen, dass biologische Invasionen ein wichtiges, aber leider noch zu wenig verstandenes Puzzleteil im Gesamtbild des globalen Wandels und den damit verbundenen zukünftigen Biodiversitätsveränderungen sind. Umso wichtiger sind Initiativen wie der "Living Planet Report", um Aufmerksamkeit für den Facettenreichtum dieses globalen Problems bei Entscheidungsträgern und in der Zivilgesellschaft zu schaffen.

Die deutsche Kurzfassung des Living Planet Report 2020 finden sie hier.

Bernd Lenzner hat an der Universität Wien promoviert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung. Seine Forschungsschwerpunkt sind biologische Invasionen und deren räumliche und zeitliche Dynamik. Zusätzlich ist Bernd Lenzner Teil des Expertenteams für das "Invasive Alien Species Assessment" des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). ( © Sophie Falschebner)