Ringen um Demokratie in Ägypten, Thailand... und Europa

Seit Februar 2011 schaut die Welt auf die arabischen Länder, wo "Weltgeschichte geschrieben" wird, und es fällt schwer, sich der Begeisterung zu entziehen. Wir werden an unseren eigenen Drang nach Freiheit, Selbstregierung und aktiver Gestaltung der Politik erinnert. Wolfram Schaffar vom Institut für Internationale Entwicklung bleibt trotz Euphorie vorsichtig: In einem Gastbeitrag für "uni:view" blickt er am Beispiel von Thailand auf die "weltweite Krise der Demokratie".

Die Umbrüche der arabischen Länder belegen, dass der Ruf nach Demokratie universell ist: Alle die sind lügengestraft, die es noch bis vor kurzem für unwahrscheinlich gehalten haben, dass sich die arabische Welt demokratisiert – wegen konfessioneller oder ethnischer Spannungen oder wegen einer autoritären politischen Kultur (was immer das sein mag). Nun sagt der Westen Hilfe zu, z.B. beim Aufbau eines funktionierenden Rechtssystems, über das politische Rechte, die der Bevölkerung lange vorenthalten wurden, eingeklagt werden können.

Bei aller Euphorie ist jedoch Vorsicht angebracht, denn bis vor kurzem sprach man in der Politikwissenschaft noch von einer weltweiten Krise der Demokratie: In vielen sogenannten Transitionsländern in Osteuropa, Zentralasien und Südostasien, deren Demokratisierung in den 1990er Jahren gefeiert und von internationalen EZA-Maßnahmen begleitet wurde, zeigten sich Probleme. In manchen Ländern war sogar eine Rückkehr autoritärer Strukturen zu beobachten.

Demokratie in der Krise

Thailand ist ein gutes Beispiel für diese Krise der Demokratie: Lange Zeit war Thailand von der Vorherrschaft des Militärs geprägt, wurde jedoch um der Stabilität in der Region Südostasien willen vom Westen gestützt. Erst 1992 konnte das Militär nach Massenprotesten in Bangkok zurückgedrängt werden. Der Demokratisierungsprozess mündete in der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die wegen der regen Beteiligung der Zivilgesellschaft am Entwurfsprozess und wegen ihres fortschrittlichen Charakters als "Verfassung des Volkes" gelobt wurde: Es wurden nicht nur zahlreiche Grundrechte in der Verfassung definiert, sondern auch ein Verfassungsgericht eingerichtet, das das Regierungshandeln und die Gesetze des Parlaments auf Verfassungsmäßigkeit überprüft.

Um das Prinzip von guter Regierungsführung (good governance) zu verankern, wurden darüber hinaus mehrere Verfassungsorgane geschaffen, die den fortschrittlichen Demokratievorstellungen der Zeit entsprachen: Nach skandinavischem Vorbild wurde ein Ombudsman berufen sowie eine Menschenrechtskommission, eine Anti-Korruptionskommission und andere sogenannte politisch neutrale Institutionen gegründet.

Defekte Demokratie


Von diesem ehrgeizigen Demokratisierungsprojekt ist heute nichts mehr übrig; die "Verfassung des Volkes" wurde 2006 von einem Militärputsch außer Kraft gesetzt. Die Gelbhemden, zu denen auch DemokratieaktivistInnen der Bewegung von 1992 gehören, begrüßten nicht nur den Putsch, sondern wenden sich in ihrem politischen Programm gegen demokratische Wahlen überhaupt. Damit wollen sie die Rückkehr von Thaksin Shinawatra verhindern, der als charismatischer Premier – eine Mischung aus Hugo Chavez und Silvio Berlusconi – alle zurückliegenden Wahlen gewonnen hatte, das Land jedoch autoritär regierte und seit dem Putsch im Exil lebt.

Unterstützt werden die Gelbhemden vom Verfassungsgericht, das die Partei Thaksins mehrmals aufgelöst und damit mehrfach die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zugunsten einer royalistisch-konservativen Regierung zurechtgerückt hat. Manche politikwissenschaftliche Theorien sprechen von illiberaler oder defekter Demokratie, wo bestimmte Elemente Funktionsstörungen aufweisen, weil z.B. alte Verhaltens- oder Machtmuster fortwirken.

Rechts- und Demokratiebewusstsein Thailands

In meinem aktuellen Projekt, das ich am Montag, 4. April 2011, im Forschungskolloquium des Instituts für Internationale Entwicklung vorstellen werde, möchte ich eine andere Herangehensweise wählen: Nicht das Fortwirken "alter undemokratischer Muster" oder "landes- oder kulturspezifische Defizite" stehen im Blickpunkt. Vielmehr versuche ich im Sinne einer kritischen Demokratietheorie, das Modell der liberalen Demokratie selbst in den Blick zu nehmen, und frage nach den AkteurInnen und Interessen, die den Entwurf der "Verfassung des Volkes" geprägt haben.

Vor allem aber interessiere ich mich für das Rechts- und Demokratiebewusstsein der ThailänderInnen selbst. Diese haben nämlich im Zuge der politischen Krise eigene Strategien entwickelt, wie sie angesichts des Scheiterns der staatlichen Institutionen eine emanzipatorische Politik verfolgen können. Nicht nur Ägypten könnte von diesen Erfahrungen profitieren – auch wir EuropäerInnen. Die Debatte um eine Europäische Verfassung hat deutlich gemacht, dass wir noch einen Demokratisierungsprozess vor uns haben.

Univ.-Prof. Dr. Wolfram Schaffar lehrt und forscht am Institut für Internationale Entwicklung.


Vortrag: Das Ringen um Demokratie in Thailand: Akteure, Agenda, Prozesse
Montag, 4. April 2011, 18 bis 20 Uhr
Institut für Internationale Entwicklung, Seminarraum 2
Sensengasse 3, Stiege 1, 1090 Wien