Österreich hat gewählt
| 30. September 2019ÖVP und Grüne gehen als Sieger der Nationalratswahl 2019 hervor, SPÖ und FPÖ verzeichnen hohe Verluste. Markus Wagner, Professor am Institut für Staatswissenschaft, erklärt im Interview mit uni:view, wie das Wahlergebnis zu interpretieren ist und welche Koalitionen möglich sind.
uni:view: Herr Professor Wagner, die ÖsterreicherInnen haben gewählt. Wie ist das Ergebnis der Nationalratswahl 2019 zu interpretieren?
Markus Wagner: Das Ergebnis ist vor allem eine klare Bestätigung für Sebastian Kurz und seine ÖVP. Sein Wahlsieg ist auch größer ausgefallen als erwartet, trotz eines nicht immer leichten Wahlkampfs. Überraschend war dann auch das besonders schlechte Abschneiden der FPÖ.
Die zweiten Gewinner sind die Grünen. Vor zwei Jahren, nach der letzten Nationalratswahl, hätten nur wenige so eine fulminante Rückkehr ins Parlament vorhergesehen. Der Erfolg der Grünen liegt an der Schwäche der SPÖ, der gelungenen personellen Umstellung an der Spitze der Grünen sowie an der günstigen Themenlage, besonders Klimawandel und Korruption.
uni:view: Haben die Prognosen den Ausgang der Wahl beeinflusst?
Wagner: In diesem Fall eher weniger. Eine wichtige Wahlprognose war, dass die ÖVP und Sebastian Kurz sicher die Wahl gewinnen werden. Solche Prognosen können oftmals dazu führen, dass Wählerinnen und Wähler eher zu möglichen Koalitionspartnern tendieren, um diese zu stärken. Das scheint diesmal nicht passiert zu sein. Es kann aber gut sein, dass kleinere Parteien wie die Liste Jetzt durch schlechte Wahlprognosen noch weniger Stimmen bekommen haben. Ob das stimmt, werden die Analysen der Daten der Österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES) zeigen.
Die "Austrian National Election Study AUTNES" befasst sich mit der umfassenden sozialwissenschaftlichen Analyse der österreichischen Nationalratswahlen. AUTNES ist im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien angesiedelt.
uni:view: Welche Koalitionen halten Sie für möglich?
Wagner: An Sebastian Kurz und der ÖVP führt kein Weg vorbei. Drei Koalitionen sind besonders wahrscheinlich: mit der SPÖ, mit der FPÖ und mit den Grünen. Es ist derzeit noch nicht abzusehen, welche Koalition bessere Chancen hat. Für die FPÖ als Koalitionspartner spricht, dass die inhaltliche Übereinstimmung mit der ÖVP relativ groß ist. In der letzten Regierungsperiode waren die Konflikte auch selten substanzieller Natur. Außerdem hätte die ÖVP mit der derzeit geschwächten FPÖ einen Partner, der nicht zu viele Forderungen stellen kann. Gegen die FPÖ sprechen die andauernden Probleme mit dem rechten Rand sowie die fortwährende Spesenaffäre, die bisher auch eine Belastung für die Zusammenarbeit waren.
Für die SPÖ spricht, dass auch sie im Vergleich zur ÖVP schwächer ist, die ÖVP also klar der Seniorpartner sein würde. Andererseits sind inhaltliche Konflikte mit der SPÖ nicht vermeidbar, und auch die Wähler und Wählerinnen wären von einer Neuauflage dieser ungeliebten Koalition unbeeindruckt: Nur wenige sehnen sich nach der großen Koalition.
Gegen die dritte Alternative, ÖVP-Grün, sprechen die inhaltlichen Unterschiede. Auszuschließen ist diese Variante jedoch nicht, schließlich arbeiten ÖVP und Grüne auf Länderebene oft gut zusammen. Außerdem wäre diese Koalition für Kurz in zweierlei Hinsicht attraktiv: Erstens würde er damit auf europäischer Ebene wieder in die Mitte rücken, zweitens wäre es eine neue, innovative Koalition. Für Kurz' Image als politischer Außenseiter, der das System umkrempelt, wäre das dienlich.
uni:view: Wie kann man sich die Einbußen der SPÖ erklären?
Wagner: Die SPÖ hat 2017 noch viele Grün-Anhänger und -Anhängerinnen anziehen können, die diesmal zurück zu den Grünen gewandert sind. Die Zuspitzung auf den Zweikampf Kern-Kurz hat damals funktioniert, und Kern als Person war bei vielen urbanen Wählerinnen und Wählern attraktiver als Pamela Rendi-Wagner. Allein die Rückkehr zu den Grünen kann schon den Großteil der Einbußen erklären.
Darüber hinaus hat es die SPÖ nicht geschafft, andere Wählerschichten anzusprechen. In der gesellschaftlichen Mitte war die Unzufriedenheit mit Kurz nicht groß genug, dass sie Wechselwähler ansprechen konnte.
uni:view: Die FPÖ musste mit 10 Prozent weniger Stimmen im Vergleich zu 2017 unerwartet hohe Verluste einstecken …
Wagner: Die FPÖ hatte bei der Wahl mit den Affären rund um Heinz-Christian Strache sicher keine leichte Aufgabe. Wählerstromanalysen zeigen, dass viele FPÖ-Wähler und -Wählerinnen zu Hause geblieben sind. Der Wahlkampf der FPÖ konnte offensichtlich nicht mobilisieren. Das liegt möglicherweise auch an der Spesenaffäre in den letzten Wochen.
Dass die Verluste der FPÖ nicht noch größer ausgefallen sind, liegt wohl an drei Gründen. Erstens ist die FPÖ mittlerweile eine etablierte Partei mit Stammwählern und -wählerinnen. Diese verlassen die Partei nicht einfach nach einem Skandal, sondern bleiben der Partei treu. Zweitens glauben FPÖ-Unterstützerinnen und Unterstützer generell nicht, dass die Politik sauber ist. Stattdessen sehen sie politische Eliten sehr negativ. Es gibt also keine offensichtliche Alternative für enttäuschte FPÖ-Wählerinnen und -Wähler. Drittens ist die FPÖ immer noch die einzige Partei, die sich so klar gegen Zuwanderung und europäische Integration positioniert. Für Wählerinnen und Wähler mit ähnlichen Einstellungen bleibt sie also auch in dieser Hinsicht alternativlos.
uni:view: Wie bewerten Sie das Abschneiden der kleineren Parteien?
Wagner: Die Neos haben auch eher gut abgeschnitten, wobei es sicher noch Luft nach oben gibt. Sie profitieren von einem generell positiven Image und einer talentierten Führung. Mittlerweile haben sie einen festen Platz in der Parteienlandschaft mit einem geschärften Profil, das sie klar von Mitstreitern unterscheidet.
Es ist wenig überraschend, dass andere kleine Parteien schlecht abgeschnitten haben. In den Wahlprognosen wurden sie sehr schwach eingeschätzt – solche Vorhersagen schrecken auch mögliche Wählerinnen und Wähler ab. Weiters waren die Grünen diesmal so attraktiv, dass Parteien links von ihnen nicht viel Anziehungskraft hatten.
uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (br)
Markus Wagner ist Professor am Institut für Staatswissenschaft der Fakultät für Sozialwissenschaften. Er forscht u.a. zu Parteienwettbewerb, Wahlentscheidungen und den Erwartungen, die WählerInnen an ihre Abgeordneten haben.