Nachbericht: Dritter Weg zwischen Aufbruch und Abgrund

Mehr als die Traditionen sind es v.a. die gemeinsamen Probleme, die Österreich, Deutschland und Russland bis heute vereinen. Mit welchen Rechts-, Staats- und Gesellschaftstheorien diese Länder den Wirren der Zwischenkriegszeit begegneten, untersuchte im Februar eine internationale Tagung.

Der Weg des liberalen parlamentarischen Modells – das in Mittel- und Westeuropa im Zuge der französischen Revolution seinen Anfang und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine Vollendung erfuhr – stellt entgegen der verbreiteten Meinung keineswegs eine stete Entwicklung dar. Die Jahre zwischen dem Beginn des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten eine wichtige Zäsur in der Demokratiegeschichte Europas.

Diese Zeit des "Zweiten Dreißigjährigen Kriegs" stellte den mit unaufhörlichen Angriffen von links und rechts konfrontierten Liberalismus und die Demokratie vor eine ungemeine Herausforderung – bis hin zur vollständigen Ablehnung und Verneinung der liberalen und demokratischen Prinzipien im Nationalsozialismus und Stalinismus.

Interdisziplinäre Tagung

Die angesichts des allgegenwärtigen Kulturpessimismus und der totalen Orientierungslosigkeit vor dem Abgrund des Chaos zur Sinnsuche erhobene Suche nach dem Dritten Weg mündete in den meisten Fällen in eine totalitäre Antwort. Im Bezug auf Russland lässt sich die Frage wohl am treffendsten, wie folgt, formulieren: Was kommt nach dem Dritten Rom? Dritte Internationale, ein eurasischer Dritter Weg zwischen Ost und West oder doch nur eine Sackgasse? Um der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit all seinen Schrecken gewachsen zu sein, muss man zuweilen, den Worten Henning Ottmanns folgend, die philosophische Vornehmheit, die in die Niederungen der Ideologien nicht blicken will, ablegen können.

Dieses Wagnis ging man im Rahmen der vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht organisierten internationalen Tagung "Dritter Weg zwischen Aufbruch und Abgrund. Rechts-, Staats- und Gesellschaftstheorien in Österreich, Deutschland und Russland in der Zwischenkriegszeit" ein. Ziel der Konferenz war es, unterschiedliche Facetten der Doktrinen, Theorien, Konzepte und Ideen dieser Zeit in Österreich, Deutschland und Russland zu untersuchen und hier Parallelen in den Fragestellungen sowie Ähnlichkeiten in den Denkmustern vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklungen zu bestimmen.

Fragen der politischen Kultur im Mittelpunkt

Insgesamt 16 Vorträge von führenden ExpertInnen aus Österreich, Deutschland und Russland haben, obschon natürlich keine Lösung, so dennoch ein umfassendes Bild der Probleme geboten. Die Begriffe und die Begriffspaare, die in den Vorträgen und Diskussionen immer wieder zur Sprache kamen, waren Demokratie und Totalitarismus, Liberalismus und Sozialismus, Rechtsstaat und Gewaltentrennung. Als Problem entpuppte sich zuweilen das unterschiedliche Vorverständnis der Begriffe. Dennoch gelang es, die – wenngleich nicht im Bereich der Institutionen, so doch in der kulturellen Dimension – vorhandenen Gemeinsamkeiten zwischen Österreich, Deutschland und Russland aufzuzeigen. Überhaupt standen die Fragen der politischen Kultur und der Rechtskultur unausgesprochen im Mittelpunkt der Tagung.

Breites, interdisziplinäres Programm

Eröffnet wurde die Konferenz durch den Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Heinz Mayer, den Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossov-Universität (MSU) Andrei Shutov sowie den Leiter der Forschungsplattform "Wiener Osteuropaforum" Oliver Jens Schmitt. Alle betonten insbesondere die anhaltende Bedeutung der Konferenzfragestellung sowie die Interdisziplinarität des Forschungsansatzes. Die Konferenzeröffnung schloss mit der Präsentation des Ende Jänner im MANZ Verlag erschienenen Bandes "Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht. Zur Geschichte der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1938 und 1945" durch einen der Bandmitherausgeber, Stefan Schima vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht.


Die Konferenzbeiträge werden im Rahmen der neuen Publikationsreihe "Vienna Studies on Constitutionalism and Legal Culture – Wiener Studien zur Verfassungsstaatlichkeit und Rechtskultur" des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- Kulturrecht und im Verlag Vienna University Press erscheinen. Nähere Informationen (PDF)



Gemeinsam Probleme erkennen


Im Rahmen der Abschlussdiskussion am Runden Tisch kam man abermals auf das trotz kultureller Gemeinsamkeiten teilweise unterschiedliche Verständnis der grundlegenden Begriffe zu sprechen. Dennoch: So unterschiedlich die einzelnen Diskussionen der Zwischenkriegszeit auch verliefen, so ähnlich waren die Probleme und Fragestellungen. Abschließend stellten die TeilnehmerInnen fest, dass es bis heute die gemeinsamen Probleme sind, die Österreich, Deutschland und Russland stärker als die gemeinsamen Traditionen vereinen. Umso wichtiger sei es, sich auf diesen Dialog einzulassen und den anderen sprechen zu lassen, um gemeinsam Probleme erkennen zu können.

Die Fortsetzung der Tagung zu Themen Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung, grundrechtliche Gewährleistungen in Rahmen der Demokratisierungsprozesse ist für September 2012 an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossov-Universität (MSU) geplant.

Mag. Alexander Dubowy ist am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht tätig und Mitorganisator der Tagung.