Nach Kim Jong Il: Reformen oder Zusammenbruch?

Rüdiger Frank, einer der weltweit führenden ExpertInnen für Nordkorea und Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, schildert in einem Kommentar drei mögliche Szenarien für Nordkorea nach dem Tod von Kim Jong Il.

Kim Jong Il, der zweite "Große Führer" Nordkoreas nach seinem Vater Kim Il Sung, ist 69-jährig verstorben. Überraschend kam die Nachricht nicht, da er schon seit 2008 sichtbar erkrankt war. Doch sorgt sie für großes internationales Echo, da Kim Jong Il zu Lebzeiten die in einer Diktatur so wichtige Nachfolgefrage nicht bzw. nur unzureichend klären konnte.

Sohn erstmals als "Nachfolger" genannt

Zwar wurde Kim Jong Ils Sohn Kim Jong Un im September 2010 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, als er erst zum General befördert und dann ins Zentralkomitee der Partei der Arbeit bestellt wurde. Er begleitete dann zunehmend sichtbar seinen Vater bei dessen Vor-Ort-Anleitungen und offiziellen Anlässen. Die Propaganda begann, eine Geschichte um Kim Jong Un aufzubauen. Im kommenden Jahr, wenn sich der Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung zum 100. Mal jährt, hatte man die offizielle Ernennung zum Nachfolger erwartet, etwa im Rahmen eines noch einzuberufenden Parteitages.

Doch erst in der offiziellen Verlautbarung über den Tod Kim Jong Ils vom 19. Dezember 2011 hat die offizielle nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA ausdrücklich den Begriff "Nachfolger" gebraucht. Unterzeichnet ist das Dokument, in dieser Reihenfolge, vom Zentralkomitee der Partei, der Militärkommission der Partei, dem Nationalen Verteidigungsrat, dem Parlament und dem Kabinett. Wird das genügen, um dem jungen und weitgehend unbekannten Mann genügend Legitimität zu verleihen? Selbst die offizielle Weihe durch seinen Vater wäre womöglich nicht hinreichend gewesen. Ohne sie wird es jedoch noch schwerer.

Militärische Provokationen…

Hier setzen Szenarien für die Zukunft an. Wenn es Kim Jong Un gelingt, die Macht tatsächlich an sich zu ziehen und zu halten, dann wird er zunächst kaum Reformen riskieren. Sollte er sich innenpolitisch bedroht sehen, wäre sogar das Ausweichen in militärische Provokationen denkbar, um auf dem Wege einer äußeren Bedrohung einen inneren Zusammenhalt des Systems fordern zu können. Jegliche Opposition gegen Kim Jong Un wäre dann Hochverrat im Angesicht des Feindes und könnte schnell und hart bestraft werden.

… oder primus inter pares?

Ferner besteht die Möglichkeit, dass Kim Jong Un zwar an der Spitze steht, aber nur als primus inter pares, als mehr oder weniger relevanter Teil eines Kollektivs. Dies ist die wahrscheinlichste und auch die erstrebenswerteste Variante. Eine kollektive Führung nach chinesischem Vorbild, getragen durch die Partei, würde den Weg zu Reformen und Öffnung nach dem Beispiel des großen Nachbarn ebnen und von diesem auch in jeder Hinsicht massiv unterstützt werden.

Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen

Es gibt auch ein drittes Szenario. Weder Kim Jong Un noch die Partei könnten es schaffen, schnell eine stabile Führung aufzubauen und die Wogen zu glätten. In dem Falle würde die Verunsicherung wachsen, Gerüchte würden per neuem Mobilfunknetz mit fast einer Million NutzerInnen und auf dem Wege von etablierten Kommunikationskanälen die Runde machen, und die Situation könnte außer Kontrolle geraten. Im Umgang damit hat Nordkorea keine Erfahrung. Üblicherweise greift in solchen Fällen das Militär ein und errichtet eine Militärdiktatur, oder es kommt zum Bürgerkrieg. Dies würde angesichts der nordkoreanischen Nuklearmacht, der Grenze zu einer der aufstrebenden Großmächte dieser Welt, China, und der unmittelbaren Nachbarschaft von US-Truppen in Südkorea und Japan eine äußerst brisante Konstellation bedeuten.

Es bleibt zu hoffen, dass Nordkorea die Chance nutzt, sich endlich politisch neu zu organisieren und die Last der Führung auf mehr als nur zwei Schultern zu verteilen. Das wird neue Probleme nach sich bringen, etwa interne Machtkämpfe, aber auch erhebliche Chancen öffnen – für das Land, seine wirtschaftliche Entwicklung, die koreanische Wiedervereinigung und die sicherheitspolitische Lage auf der Halbinsel und in der Region.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Rüdiger Frank ist Koreanist und Volkswirt. Er betreut den englischsprachigen Master-Studiengang "Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens" an der Universität Wien. Als Secretary der Association for Korean Studies in Europe (AKSE) organisiert er 2013 in Wien den alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Kongress, der mit rund 250 TeilnehmerInnen das größte und bedeutendste wissenschaftliche Ereignis dieser Academic Community ist. Im Juli 2011 erschien das von ihm herausgegebene Buch "Exploring North Korean Arts" (Verlag für moderne Kunst Nürnberg).