Männlichkeit(en) in der Literatur
| 29. März 2011Nicht Frauenforschung allein kennzeichnet das Gebiet "Gender", sondern auch ihr Äquivalent, die Männer- bzw. Männlichkeitsforschung. Damit beschäftigt sich Stefan Krammer vom Institut für Germanistik. In seiner Habilitation untersucht er Männlichkeitskonstruktionen in fiktionaler und fachdidaktischer Literatur. "uni:view" sprach mit dem Wissenschafter, der sowohl im Fachbereich Neuere Deutsche Literatur als auch in der Fachdidaktik beheimatet ist, über die so genannten Men's Studies.
uni:view: Was bedeutet Männerforschung in der Literaturwissenschaft?
Stefan Krammer: Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die gendertheoretischen Positionen der Men's Studies für die Literaturwissenschaft genutzt werden können. Dies kann auf der Ebene der AutorInnenschaft genauso wie auf der LeserInnen- und Textebene passieren. Mich interessiert insbesondere die Textebene, d.h. Figurenbeschreibungen und -konstellationen in Verbindung mit Macht- und Herrschaftsprinzipien, geschlechtsspezifisch konstruierte Vorstellungen von Raum und Zeit etc. Auch die Frage nach den klassischen männlichen Narrationen, die den Text bestimmen, spielen dabei eine Rolle.
uni:view: Wie wurde Ihr Interesse für das Gebiet geweckt?
Krammer: Am hiesigen Institut für Germanistik herrscht ein großes Bewusstsein für Genderthematiken. Aus der feministischen Tradition heraus stehen dabei allerdings eher frauenspezifische Fragestellungen im Mittelpunkt. Hier die Perspektive zu wechseln und etwa Machtkonstruktionen auch aus männlicher Sicht zu untersuchen, hat mich interessiert. Lange Zeit wurde die Analyse von Männlichkeit vernachlässigt, da man dachte, es sei ohnehin klar, was den Mann zum Mann macht.
uni:view: 2007 erschien das Buch "MannsBilder", das basierend auf einer literaturwissenschaftlichen Lehrveranstaltung Texte von Studierenden enthält. Worum geht es in dem Buch?
Krammer: Das Buch stellt einen ersten Befund von Männlichkeitsbildern in literarischen Werken dar. Herausgestellt werden die gängigen Diskurse in der Männlichkeitsforschung und ihr Nutzen für die literaturwissenschaftliche Analyse. Exemplarisch werden literarische Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert untersucht. Dabei geht es etwa um maskuline Stereotype und Vorstellungen von idealer Männlichkeit, aber auch um androgyne Figuren – Männer, die mit Geschlechtsidentitäten spielen etc.
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uni:view: In Ihrer Habilitation untersuchen Sie die "Fiktionen des Männlichen". Was kann man sich darunter vorstellen?
Krammer: Mein Ziel ist zum einen, ein literaturwissenschaftliches Analyseinstrument zur Bestimmung der gendertheoretischen Positionen in Texten zu entwickeln. Über die Beschäftigung mit fiktionaler Literatur sollen die unterschiedlichen Konstruktionen von Männlichkeit lesbar werden. Zum anderen schaue ich mir den Umgang mit Männlichkeit in didaktischen Einführungen und Zeitschriften sowie in einschlägigen Lehrbüchern aus den 1970er Jahren bis zur heutigen Zeit an.
uni:view: Welche Vorstellungen von Männlichkeit werden da transportiert?
Krammer: Es fällt auf, dass oft traditionelle Geschlechterrollen präsentiert werden. Dies führt dann zu kontraproduktiven Anleitungen. Ein Beispiel ist der Befund, dass Buben ungern lesen würden. Aus diesem Grund wird geraten, im Unterricht primär Sachbücher für sie zu nutzen – als ob Mädchen keine Sachbücher und Jungen keine fiktionale Literatur lesen würden.
uni:view: Was wünschen Sie der Männerforschung in Hinblick auf die Zukunft?
Krammer: Es ist wohl utopisch, aber ich hätte gerne, dass Gendersensibilität in ein paar Jahrzehnten selbstverständlich ist. Dieser Wunschvorstellung läuft jedoch die politische Realität zuwider. Daher ist es wichtig, den wissenschaftlichen Diskurs voranzutreiben. Entscheidend ist, dass die Lehramtsstudierenden ihr Wissen in die Klassenräume tragen, um so schon den SchülerInnen beizubringen, Geschlechterkonstrukte zu verstehen und aufzubrechen. (mw)
Mag. Dr. Stefan Krammer ist seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik und leitet das dortige Fachdidaktische Zentrum Deutsch (FDZ). Seine Forschungsschwerpunkte sind neben Gender und Literaturdidaktik auch Österreichische Literatur (insbes. nach 1945), Dramen- und Theatertheorie sowie Semiotik.