Leise Ausschlüsse

Lange Zeit galt die Wissenschaft als neutral und objektiv. Die feministische Wissenschaftskritik hat maßgeblich dazu beigetragen, auf Grenzen, Ungleichheiten und die Bedeutung von Kontexten in der Wissensproduktion aufmerksam zu machen. Ulrike Felt, Vorständin des Instituts für Wissenschaftsforschung, unterzieht die grundlegenden Werte und Ordnungen der Wissenschaft einer kritischen Betrachtung – Geschlechterfragen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

"Über Jahrhunderte hinweg wurde überhaupt nicht daran gedacht, dass es an den Universitäten Frauen geben könnte", weist Ulrike Felt auf den Androzentrismus in der Wissenschaft hin. "Die männliche Norm ist tief in die grundlegende Ordnung des Systems eingeschrieben und produziert Ausschlüsse, die oft nicht auf den ersten Blick erkennbar sind."

Was bedeutet der Internationale Frauentag für Sie?
Ulrike Felt: Als Erinnerungstag hat der Frauentag eine wichtige symbolische Bedeutung und bringt feministische Anliegen auf die politische Agenda. Für mich persönlich spielt dieser Tag aber keine gar so große Rolle, da ich einen Raum gefunden habe, in dem ich selbst auf der untersten Ebene etwas in den Arbeitszusammenhängen ändern kann. Das Thema Frauen und Wissenschaft ist mir ein großes Anliegen – und ich glaube, da liegt noch ein großes Stück Arbeit vor uns! Darum gibt es für mich sozusagen 365 Frauentage im Jahr.


Karriereideal als "männliche Vision"


Als ein Beispiel dafür nennt die Wissenschaftsforscherin das akademische Karriereideal. So wird etwa vor allem am Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn uneingeschränkte Mobilität gefordert: "Viele Biografien bedeutender Forscher bauen unter anderem auch darauf auf, dass diese Wissenschafter Ehefrauen oder Partnerinnen haben, die mit ihnen mitziehen", hinterfragt Felt die scheinbar neutrale Anforderung. "Ich weiß nicht, wie sich dieses Ideal verwirklichen lässt, wenn beide PartnerInnen eine (akademische) Karriere verfolgen."

Gleiche Arbeit?

Mit dem Blick auf die Arbeitsverteilung wird eine weitere Ebene sichtbar, auf der Geschlechterordnungen in den Wissenschaftsbetrieb eingeschrieben sind. Im Zuge einer Untersuchung der Arbeitsbedingungen von BiologInnen erkannte die Wissenschafterin, dass auch unter gleichgestellten ForscherInnen die Aufgaben unausgeglichen verteilt waren: "So gelten bestimmte Tätigkeiten als weiblich und werden von Männern eher nicht ausgeführt – etwa Betreuungsaufgaben oder soziale Funktionen, wie 'das Labor zusammenhalten'".

Genau diese Arbeitsleistungen werden im Wertesystem, das sich in der hochgradig kompetitiven Umgebung an den Universitäten etabliert hat, nicht berücksichtigt. "Während die Anzahl der Zitationen, eingeladene Vorträge oder eingeworbenes Geld sehr hoch bewertet werden, wird 'care work', die für das Funktionieren des Systems von großer Bedeutung ist, nicht gemessen", legt Felt die Problematik dar.

Über Statistiken hinaus

Geschlechterunterschiede beobachtete die Wissenschafterin im Rahmen ihrer qualitativen Studie darüber hinaus auch bei der Selbsteinschätzung von ForscherInnen, u.a. was die Rolle der "gewissen Portion Glück" bei einer akademischen Karriere betrifft. Während die Mehrzahl der teilnehmenden Männer betonte, dass neben Glück vor allem ihre besonderen Leistungen ausschlaggebend waren, um eine bestimmte Position zu erreichen, blieben Frauen häufig bei der Erzählung vom Glück und kehrten ihre Eigenleistung wenig hervor.

"Diese Mikroerzählungen machen die Rolle struktureller Bedingungen deutlich", so Felt: "Da sitzt niemand, der einen großen Masterplan hat und bewusst Frauen diskriminieren will. Vielmehr ist das grundlegende Wertesystem auf einen männlichen, kompetitiven Idealtypus ausgerichtet." Aus diesem Grund hält sie es für unzureichend, in Gleichstellungsfragen ausschließlich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Männern und Frauen an der Universität zu berücksichtigen.

Kritischer Blick auf Wissen

Auch den StudentInnen am Institut für Wissenschaftsforschung will Felt vermitteln, bestehende Wissensordnungen kritisch zu hinterfragen. "Mir geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Wissen immer von bestimmten Menschen an bestimmten Orten in bestimmten kulturellen Kontexten erzeugt wird", formuliert die Institutsvorständin eines ihrer Lehrziele. Sie hält ihre Studierenden zu folgenden Überlegungen an: Wer kann sich an der Wissensproduktion beteiligen? Wessen Fragen spielen eine Rolle? Wer kann Antworten entwickeln?

In diesen Auseinandersetzungen spielt Geschlecht stets eine zentrale Rolle: "Genau darum biete ich nur sehr selten explizit Lehrveranstaltungen zum Thema 'Gender und ...' an, denn ich finde, dass dieser Blickwinkel bei jedem Thema Raum bekommen sollte", so Ulrike Felt abschließend. (sh)

Univ.-Prof. Dr. Ulrike Felt ist Vorständin des Instituts für Wissenschaftsforschung.

Literaturtipp:
Felt, Ulrike: Knowing and Living in Academic Research. Convergence and Heterogeneity in Research Cultures in the European Context. Prag, Academy of Sciences of the Czech Repbulic 2009.