Kräuterwissen mit Weitblick

Gegen (fast) alles ist ein Kraut gewachsen – auf den Dächern des Universitätszentrums Althanstraße blühen hunderte Arzneipflanzen zu Anschauungs- und Forschungszwecken. Ein Spaziergang mit Pharmazeut Johannes Saukel gibt Einblicke in vergessenes Kräuterwissen und unterschätzte Giftpflanzen.

Das Universitätszentrum Althanstraße erstreckt sich über den Dächern des Franz-Josef-Bahnhofs und birgt einen Kräutergarten, der es in sich hat: Von Pilsenkraut über Tabak bis hin zu diversen Alpenpflanzen – auf 6000m² Fläche wachsen hier mehrere hunderte verschiedene Arzneipflanzen.


Zu Forschungszwecken …

Der Dachgarten sieht nicht nur schön aus, sondern wird auch für die Forschung genutzt: In einem aktuellen Projekt des Departments für Pharmakognosie geht es beispielsweise um den Modus der Fortpflanzung von Fingerkräutern. "In diesen Populationen gibt es Pflanzen, die trotz unterschiedlicher Chromosomenzahl nebeneinander wachsen und offensichtlich 'miteinander können'. Warum das so ist, untersuchen wir anhand von Stecklingen", erklärt Wissenschafter Johannes Saukel.


… und zu Anschauungszwecken

"Wir haben viele Studierende, die wir gut ausbilden wollen – und dafür braucht es Anschauungsbeispiele aus der Natur", so Saukel und deutet auf das gelbblühende Johanniskraut.


Das Johanniskraut ist für seine medizinische Wirkung bekannt: Es beschleunigt die Wundheilung bei Verletzungen und hilft bei Depressionen. Es werden sowohl die Blätter als Tee als auch die Triebe – mit Speiseöl angesetzt – für Behandlungen verwendet.


Der Keuschlammstrauch – auch als Mönchspfeffer bekannt – wurde ursprünglich dafür eingesetzt, den Sexualtrieb der Mönche zu dämpfen. Die Pflanze fördert außerdem die Hormonregulation bei unregelmäßigem Zyklus, weshalb sie heute primär Frauen verabreicht wird, die an Wechselbeschwerden leiden. 


"Das Kräuterwissen geht leider mehr und mehr verloren", bedauert Pflanzenexperte Saukel. Er selbst muss kaum auf Medikamente zurückgreifen, sondern verlässt sich ganz auf die heilende Wirkung der Arzneipflanzen. "Draußen gibt es eine wunderbare Natur und viele Kräuter kann man – wenn man sie erkennt – selbst ernten."   


Doch auf das Erkennen kommt es an: "Die Verwechslungsgefahr ist groß und viele Pflanzen sind für den Menschen hoch giftig", so Saukel. Der hier abgebildete Rizinus – gerne in städtischen Gartenanlagen als Zierpflanze verwendet – kann sogar tödlich wirken, "bereits ein Samen reicht aus!"


Eine andere wohlbekannte Pflanze, die allerdings hinter verschlossenen Pforten gedeiht, ist der Cannabis. "Im 19. Jh. haben die Amerikaner im großen Stil Baumwolle angepflanzt und die Vernichtung des konkurrierenden Cannabis propagiert. Dabei gibt es kaum eine Pflanze, die so umfassend verwertet werden kann: Die Stängel werden zu Fasern, die Hanfsamen zu Öl und der Rest zu einem hervorragenden Biomasseprodukt verarbeitet", erklärt Saukel.


Im sechsten Stock des Universitätsgebäudes gibt es ein Glashaus, die "Oase am Dach", wie Saukel sie nennt. Bei tropischen und subtropischen Temperaturen gedeihen hier auf 350m² Pflanzen aus aller Welt.


Und wer hat "Gartendienst"? Drei Gärtner und ein Lehrling kümmern sich um den Garten in der Althanstraße – angesichts der vielen Pflanzen ein recht knapp bemessenes Personal. Zur Gießkanne muss Pharmazeut Johannes Saukel dennoch nur selten greifen: "Wir haben ein in die Jahre gekommenes, aber noch immer funktionierendes Bewässerungssystem. Die Gartenanlage soll jedoch bald modernisiert werden, damit wir auch weiterhin mit Pflanzen forschen und lehren können", sagt Saukel. (Text: Hanna Möller; Fotos: Petra Schiefer)