Kooperation, Konkurrenz, Konflikt & Kompromiss
| 18. April 2018"Wie geht zusammen?" Darüber diskutieren Sportexpertin Maria Dinold, Jurist Helmut Ofner und Politologe Ulrich Brand am runden Tisch. Der Beitrag erschien in der dritten Ausgabe von COMPETENCE, dem Magazin des Postgraduate Center der Universität Wien.
COMPETENCE: Wir reden über ein Thema, das stark von der eigenen fachlichen Perspektive beeinflusst wird. Ich komme aus der Betriebswirtschaft und schreibe über Management und Karriere in Konzernen. Was ist Ihr erster Gedanke, wenn ich frage: Wie geht zusammen?
Ulrich Brand: Ich frage mich als Sozialwissenschafter: Wie entsteht zielgerichtet Kooperation? Nicht als Gegenbegriff zur Konkurrenz, sondern durch gemeinsam beschlossene Regeln am Beispiel großer internationaler Organisationen. Beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO) wird Konkurrenz ein Rahmen gegeben. Auch Konflikt ist für mich per se nicht schlecht – es ist die Frage, wie er ausgetragen wird. Oft bedarf es des Konflikts, damit etwas zusammengeht.
Maria Dinold: Ich komme vom Tanz und mein Schwerpunkt ist Bewegung und Sport von Menschen mit und ohne Behinderung. Mitten im Leistungsdenken der Gesellschaft beschäftige ich mich mit Menschen, die nicht so viel leisten können. Und wie sie einbezogen werden können. Es braucht innovative Wege, um das zusammenzubringen.
Helmut Ofner: Als Jurist, der viel im Immobilien- und Medizinrecht arbeitet, sehe ich viel Potenzial in projektgebundener, interdisziplinärer Forschung.
"Die Pädagogik kennt den Unterschied zwischen 'helfen' und 'unterstützen'. 'Hilf mir, es selbst zu tun', funktioniert als Prinzip von ganz klein bis ganz groß", so Maria Dinold, Expertin für Sport und Inklusion, Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien und Leiterin des Zertifikatskurses "Konduktive Förderung". (© Universität Wien/Barbara Mair)
COMPETENCE: Es gibt WissenschafterInnen, die behaupten, dass die Zeit der Konkurrenz und des Egoismus zu Ende geht. Kooperation und geteiltes Wissen werden wichtiger. Teilen soll das neue Besitzen sein. Ist das Wunschdenken?
Maria Dinold: Teilen wollen ist auch eine Bewusstseinsfrage. Wer gewohnt ist, seinen Weg zu gehen, eigene Ziele zu erreichen, tut sich vielleicht schwer, zu sagen: Da ist noch jemand, der auch etwas will und braucht. Durch das Teilen würde man stärker werden können. Ich bin skeptisch, ob diese Entwicklung stattfindet.
Helmut Ofner: Die Entwicklung geht in beide Richtungen. Je größer Projekte oder Organisationen sind, desto mehr Disziplinen und Gruppen arbeiten zusammen. Aber wenn es um wirtschaftliche Verwertbarkeit – etwa in einem Patent – geht, sind wir meilenweit vom Teilen entfernt.
Ulrich Brand: Im politisch vorangetriebenen Globalisierungsprozess in der WTO machen Regierungen, Verbände und Unternehmen gemeinsam Regeln. Ein Freihandelsabkommen verschärft aber die Konkurrenz. Der Prozess der Regelsetzung ist sehr machtvoll. Oft bestimmen und gewinnen große Akteure. Kleine, lokale Akteure kommen unter Druck. Mich interessiert: Wann sind schwächere Akteure in der Lage, verfestigte Verhältnisse zu verändern?
Helmut Ofner: Dieser Prozess ist meines Erachtens nicht vergleichbar mit interdisziplinärer Forschung. Die WTO vergleiche ich im Hinblick auf die Parteien eher mit einem Kaufvertrag: Der Verkäufer will einen hohen Kaufpreis bekommen, der Käufer einen geringen Preis zahlen. Sie einigen sich, stimmen in der Zielsetzung jedoch nicht überein.
Ulrich Brand: In einer von Machtverhältnissen durchzogenen Welt braucht es Regeln zugunsten der Schwächeren – etwa für Sozialstandards und Arbeitsrecht. Den systematischen Konflikt, ob Arbeitsstandards eingehalten werden, müssen dann nicht einzelne ArbeiterInnen ausfechten.
Maria Dinold: Zusammenkommen ist nicht zuletzt eine Frage der Zugänglichkeit: Hat jemand das Recht, an etwas heranzukommen, etwas tun zu dürfen? Es gelten in jedem Staat Regeln, wie etwa die Straßenverkehrsordnung. Wir könnten z. B. auch sagen: Es gibt keine Stufen in einem Land, das ist die Regel. Das bedeutet gleichzeitig, dass Menschen begünstigt oder behindert werden, je nachdem, ob die Regel durchgesetzt wird oder nicht. In der Schule sollen alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden, damit eine wirklich diverse Gesellschaft entsteht.
Hier kommt es auch auf gute Regeln an. Das Gesetz kann festlegen, dass es nicht mehr als vier Kinder mit speziellen Bedürfnissen in einer Klasse gibt. Momentan ist nur die Höchstzahl von SchülerInnen festgelegt und die LehrerInnen müssen sich durchraufen. Sinnvoll ist ein Vorgehen im Kontext: Soziale Gemeinsamkeit ist wichtig, um einander kennenzulernen. Aber es braucht innere Differenzierung. Jedes Kind braucht individuelle Förderung abhängig davon, wo es steht und wohin es kommen soll.
"Zum Glück wächst gerade eine weltoffene Generation heran", so Helmut Ofner, Jurist mit Fachgebiet Immobilien- und Medizinrecht, Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien und Leiter des Masterprogramms "Wohn- und Immobilienrecht". (© Universität Wien/Barbara Mair)
COMPETENCE: In der Schule dominiert heute Teamarbeit. An der Universität ist Kooperation gut, aber Konkurrenz ist auch da. Wie sehen Sie das?
Ulrich Brand: Wir haben in der Politikwissenschaft ja viele Studierende und mein Anliegen ist es, Lernprozesse zu initiieren. Das passiert oft in Gruppen. Am Ende vom Studium haben hoffentlich möglichst viele sich gemeinsam angestrengt. Es gibt weiterhin geniale Einzelgänger, aber auch kooperative (selbst)organisierte Lernprozesse bringen im anonymen Umfeld der Universität Erfolg.
Helmut Ofner: Zugangstests für Studien sind gleich am Anfang gelebte Konkurrenz. Da wird eine vernünftige Basis aus der Schule zerstört. Jeder sollte die Chance haben, ein Studium zu beginnen.
Ulrich Brand: Wir haben in den Sozialwissenschaften die Studieneingangs- und Orientierungsphase STEOP. Wir prüfen Studierende nicht raus, sondern bereiten sie auf eine informierte Entscheidung vor: abbrechen oder weitermachen. Das ist nicht die brutale Konkurrenz von Zugangstests.
Maria Dinold: Im Sport braucht es die körperliche Eignung. Im Leistungssport ist die Konkurrenz extrem. Für Studierende des Lehramts für Bewegung und Sport ist aber folgender Entwicklungsprozess notwendig: vom Zeigen der eigenen Leistung zum Ziel, anderen etwas beizubringen.
COMPETENCE: Der Historiker Yuval Noah Harari legt in seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" dar, dass seit Millionen von Jahren der Entschlossenere oder der physisch Stärkere gewinnt. Was wird sich am Ende durchsetzen?
Ulrich Brand: So spannend diese Perspektive ist, ich würde einwenden: Unsere Gesellschaft hat die Aufklärung durchlaufen, in der nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die möglichst vernünftige Einrichtung der Gesellschaft. In Österreich gibt es ein etabliertes System von Regeln, das die Stärke des Einzelnen an das Gemeinwesen bindet, und Akzeptanz für Regeln, die eingreifen. Mächtige Akteure können hier nicht alles bekommen. Heute brauchen wir eine Aufklärung 2.0 im Sinne von Nachhaltigkeit und der Anerkennung der ökologischen Grenzen des Planeten.
Helmut Ofner: Zum Glück wächst gerade eine weltoffene Generation heran.
Maria Dinold: Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines geteilten Status, um vorwärtszukommen, wurde auf dem Papier von vielen Staaten unterzeichnet. Es mangelt aber am Umsetzen und Umdenken. Man trennt sich schwer von Traditionen. Diversität ist eine Strömung, die Entwicklungschancen durch Vielfalt sieht. Was können wir tun, damit es besser wird?
Helmut Ofner: Es geht letztlich immer um das eigene Interesse, die eigene Perspektive. Wollen wir als Eltern die perfekte schulische Bildung oder unsere Kinder in eine inhomogene Gruppe integrieren, damit sie den Umgang mit anderen lernen? Das eine schließt das andere freilich nicht aus.
Maria Dinold: In der Pädagogik muss man den Unterschied erkennen zwischen "helfen" und "unterstützen". "Hilf mir, es selbst zu tun" (Anm.: Maria Montessori) gilt auch global. Soll man Flüchtlingswellen abfangen oder Herkunftsstaaten fördern? Das Prinzip funktioniert von ganz klein bis ganz groß.
Ulrich Brand: Wir haben viele Zielkonflikte: etwa die Orientierung am Wirtschaftswachstum versus notwendigen Umweltschutz. Das muss immer wieder neu ausgetragen werden. Im Konflikt um Zwentendorf ging es damals um mehr als ein Atomkraftwerk. Es ging um eine bessere Zukunft. Aktuell gibt es einen Konflikt zwischen Zukunftsfähigkeit und dem Ausbau des Wiener Flughafens.
"Unsere Gesellschaft hat die Aufklärung durchlaufen. Heute brauchen wir eine Aufklärung 2.0. Im Sinne der Anerkennung der ökologischen Grenzen des Planeten", so Ulrich Brand, Politikwissenschafter mit Schwerpunkt Internationale Politik, Globalisierung und Nachhaltigkeit, Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. (© Universität Wien/Barbara Mair)
COMPETENCE: Kann es sein, dass globale Themen so groß geworden sind, dass sie keiner mehr überblicken kann?
Ulrich Brand: Als das Telefon oder die Eisenbahn eingeführt wurden, gab es auch für viele das Gefühl der Überforderung. Wir können die Gesellschaft nicht überblicken, deshalb sollten wir nach dem Vorsichtsprinzip handeln, nicht alles Machbare machen, weil damit oft zerstörerische Effekte einhergehen.
Maria Dinold: Ich würde mir wünschen, dass individuelle Bedürfnisse gesehen werden und entsprechend den Voraussetzungen auch gehandelt wird, eine/r braucht mehr Unterstützung als die/der andere. Alle sollten lernen zu teilen.
Helmut Ofner: Dies gilt auch auf anderer Ebene: Das gemeinschaftliche Prinzip aufrechterhalten, als Staatengemeinschaft einig vorgehen, aber nicht zerstören, was in der Vielfalt einzelner Staaten entstanden ist.
Die dritte Ausgabe von COMPETENCE steht ganz unter dem Metathema "Wie entsteht Neues?". Das Magazin richtet sich an alle, die sich für Weiterbildung interessieren und sich über Trends im Bereich Postgraduate Studies und Lifelong Learning informieren möchten. Zum Magazin COMPETENCE