Kastalia: Gleichstellungsprogramme zeigen Wirkung
| 16. Dezember 2020Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Universität Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin der letzten hundert Jahre so einiges zu berichten. Im Interview räumt sie mit einem Mythos auf: Gleichstellung tritt nicht schlagartig ein, aber Gleichstellungsprogramme zeigen nachhaltig Wirkung.
Wir haben jetzt schon viel darüber gehört, dass im Bereich Gleichstellung noch nicht alles erreicht wurde. Wie kann das sein, wo doch so viele Gleichstellungsprogramme existieren?
Kastalia: Gleichstellung lässt sich nicht von heute auf morgen erledigen. Dazu wirkt sie auf zu vielen Ebenen, die alle miteinander verschränkt und verwoben sind. Leider hat bisher noch niemand den Gleichstellungsknopf gefunden, der sich drücken lässt und alles ist gut.
Die Nymphe Kastalia ist auf der Flucht vor der sexuellen Belästigung des Gottes Apollo in eine Quelle gestürzt, die danach sprichwörtlich zur Inspirationsquelle für hauptsächlich männliche Dichter wurde. Seit hundert Jahren ist sie als Statue im Arkadenhof der Universität Wien zur Ruhe gekommen. 2009 hat sie sich angesichts der fehlenden Repräsentation von Wissenschafterinnen im Arkadenhof das letzte Mal zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass es ihr reicht. Nun ist es dem Team der Gleichstellung und Diversität gelungen, sie für eine Interviewreihe zum Thema Mythen der Gleichstellung zu gewinnen.
Wirken Gleichstellungsprogramme überhaupt?
Kastalia: Nachweislich. Im Groben können wir zwei Arten von Programmen unterscheiden: Maßnahmen, die auf die Veränderung der diskriminierenden Strukturen abzielen und Maßnahmen, die einzelnen Menschen in den betroffenen Gruppen auf einer individuellen Ebene helfen. Beide Arten stützen sich gegenseitig und nur zusammen können sie Gleichstellung wirklich langfristig verankern. Haben wir nur individuelle Maßnahmen, besteht das Risiko, dass die profitierenden Menschen zum Beispiel als "Quotenfrauen" oder "diversity hires" abgetan und nicht ernst genommen werden. Haben wir nur strukturelle Maßnahmen, fehlt es an den qualifizierten Personen, die diese neugestalteten Strukturen in Anspruch nehmen können.
Und lassen sich in beiden Bereichen Fortschritte erkennen?
Kastalia: Wenn wir auf die Zahlen schauen, zeigt sich sehr schnell, dass sich viel getan hat. 2003 hatten von insgesamt 302 Professuren nur 34 Frauen inne, 268 hingegen Männer. 15 Jahre später haben wir 129 Professorinnen und 312 Professoren. Der Frauenanteil an den Professuren hat sich zwischen 2008 und 2018 fast verdoppelt. Bei den Fakultäts- und Zentrumsleitungen springt der Frauenanteil überhaupt von sechs Prozent auf 42 Prozent (zu der Datenbroschüre "Gender im Fokus 6"). Da zeigt sich sehr deutlich, dass die Menschen lernen umzudenken und inzwischen mehr Frauen in ihrer Karriere weiterkommen als früher. Aber es zeigt sich auch, dass noch ein Stückchen des Weges vor uns liegt, bis wir wirklich ausgewogene Verhältnisse haben. Ein anderes Beispiel: Der Anteil der Männer, die in Elternkarenz gehen, steigt beständig. Im wissenschaftlichen Personal liegt der Anteil schon bei 40 Prozent, im allgemeinen Personal bei 25 Prozent. Da sehen wir, dass Männern ihre Vaterrolle wichtiger geworden ist und dass es nicht mehr als unüberwindbares Karrierehindernis gesehen wird, wenn man(n) in Karenz geht.
Das ist jetzt aber nur die Wirksamkeit auf der strukturellen Ebene. Wie schaut es denn mit den individuellen Förderungen aus?
Kastalia: Individuelle Förderung gibt es auf ganz unterschiedliche Arten. Wir, die Abteilung Gleichstellung und Diversität, bieten zum Beispiel seit vielen Jahren Mentoringprogramme für Wissenschafterinnen an. Die Evaluierung dieser Programme zeigt, dass die Teilnehmerinnen lernen, ihre Karrierechancen besser einzuschätzen und berufliche Ziele klarer zu setzen, aber auch, dass sie Selbstvertrauen gewinnen und selbstsicherer auftreten. Davon profitieren sie natürlich auch im weiteren Verlauf ihrer Karriere – ob an der Universität Wien oder anderswo .
Also, Gleichstellungsprogramme verändern etwas?
Kastalia: Ganz offensichtlich. Sie reichen nur nicht alleine aus. Es braucht einen Kulturwandel, der von der gesamten Organisation und auch der Gesellschaft mitzutragen ist. Ohne dieses Commitment, wie man inzwischen so schön sagt, bleibt Gleichstellung ohne Breitenwirkung.
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor: Datenbroschüre "Gender im Fokus".
Die Abteilung Gleichstellung und Diversität macht regelmäßig umfassende Erhebungen zu den Geschlechterverhältnissen an der Universität Wien. Die Reihe Gender im Fokus bereitet die Frauen- und Männeranteile in unterschiedlichen Bereichen der Universität Wien auf und bettet sie in wissenschaftliche Kontexte ein.