Im Gespräch: Regisseur und Politikwissenschafter Walter Manoschek
| 08. November 2012Im burgenländischen Deutsch Schützen werden am 29. März 1945 knapp 60 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von drei SS-Männern erschossen. Politikwissenschafter Walter Manoschek gelang es 2008, einen der mutmaßlichen Täter, den damals 89-jährigen Adolf Storms, zu interviewen.
Der Dokumentarfilm "Dann bin ich ja ein Mörder" von Walter Manoschek vom Institut für Staatswissenschaft feierte im Rahmen der Viennale am 2. November in der Urania Weltpremiere. ORF III Kultur und Information zeigt den Film am Samstag, 10. November, um 21.05 Uhr in der Programmleiste "zeit.geschichte".
uni:view sprach mit dem Wiener Politikwissenschafter über die Entstehung und Motive des Films, für den er mit dem Anerkennungspreis des Wiener Filmpreis der Viennale ausgezeichnet wurde.
uni:view: Wie sind Sie auf Adolf Storms aufmerksam geworden?
Walter Manoschek: Das Ganze ging ursprünglich von einem Studenten von mir aus. Dieser stieß in einem Prozessakt auf den Namen und dachte sich, dass Adolf Storms noch leben könnte. Als er mich fragte, was er tun könne, habe ich vorgeschlagen, im deutschen Telefonbuch nachzusehen. Dort gab es nur einen Adolf Storms. Der Student hat ihn schließlich angerufen und gefragt, ob er früher bei der SS gewesen sei.
uni:view: Wie ging es weiter?
Manoschek: Ich bin dann im Sommer 2008 ins Flugzeug gestiegen und nach Deutschland geflogen. Ursprünglich wollte ich ein Interview für einen Zeitungsartikel machen, habe mir aber keine großen Chancen ausgemalt. Als ich vor der Haustüre stand und läutete, war ich wirklich überrascht, als Storms mich hereinbat. Ich hatte ein Tonbandgerät mit und ließ ihn seine Kriegsgeschichte erzählen. Für den nächsten Tag habe ich dann quasi über Nacht einen Kameramann aufgestellt und als Storms den Aufnahmen zustimmte, wusste ich: Es wird ein Film.
uni:view: Hat Storms die Erschießungen zugegeben?
Manoschek: Er konnte sich an den Vormittag des 29. März 1945 nicht erinnern. An die Zeit davor und danach schon. Daher stammt auch das als Titel benutzte Zitat. Denn er sagte zu mir: "Wenn das stimmt, dann bin ich ja ein Mörder."
uni:view: Wie oft waren Sie bei ihm?
Manoschek: Insgesamt war ich dreimal in Deutschland. Die Enkelin, die im selben Haus wohnte, hat mir, als sie auf unsere Interviews aufmerksam wurde, verboten weiterzumachen. Schlussendlich sogar mit einer einstweiligen Verfügung, die mir verbat, das Haus zu betreten.
uni:view: Welchen Vorteil sehen Sie darin, als Wissenschafter einen solchen Film zu drehen?
Manoschek: Wichtig war sicherlich, dass ich mich seit Jahrzehnten mit dem Thema NS-Zeit und Vergangenheitspolitik beschäftige. Man sollte eine gewisse Distanz haben. Ich habe nicht den Massenmörder vor mir gesehen, dem ich moralisierend gegenübersaß.
uni:view: Sondern wen?
Manoschek: Ich habe ihn als eine Person gesehen, von der ich bis heute nicht weiß, ob sie gelogen oder verdrängt hat. Ich bekam das Gefühl, die Interviews hatten fast eine Art therapeutischen Charakter. Storms war zu dem Zeitpunkt 89 Jahre alt. Ich habe vor jedem Interview ein Zimmer im Krankenhaus reservieren lassen. Ich wusste während der Gespräche nicht, was als nächstes passieren wird. Bricht er das Interview ab, weil ich einen falschen Satz gesagt habe o.ä. Ich war noch nie so konzentriert.
uni:view: Sie haben noch weitere ZeitzeugInnen für den Film interviewt?
Manoschek: Ich traf zwei ehemalige HJ-Führer, die damals als 16- bis 17-Jährige die Juden zu den Erschießungsstätten geführt haben. Es ist spannend, wie unterschiedlich die einzelnen Täter mit ihren Taten umgehen. Während Storms verdrängt oder lügt, hat sich einer der beiden intensiv damit auseinandergesetzt, während der dritte eher selbstmitleidig wirkt. Außerdem interviewte ich noch Überlebende des Massakers.
uni:view: Eignet sich das Medium Film besonders zur Vermittlung von Wissenschaft?
Manoschek: Jedes Medium hat seine eigenen Wirkungen und Möglichkeiten. Ich finde es befremdlich, dass in der Wissenschaft im deutschsprachigen Raum eine Art "Scheuklappen-Mentalität" herrscht. Wissenschaft sollte verständlich vermittelt werden. Jeder, der an einem Thema Interesse hat, muss die Möglichkeit haben, einen Text bzw. einen Film zu verstehen. Ich möchte mit dem Film nicht nur das Thema für die Nachwelt sichern, sondern es auch möglichst vielen Menschen zugänglich machen. (mw)
Film "Dann bin ich ja ein Mörder" von Walter Manoschek
Samstag, 10. November 2012
ORF III, 21.05 Uhr
Trailer
Buchtipp:
Walter Manoschek: "Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945."
Wien: Braumüller, 2009.