Gesucht, gefunden: "Kritisch, neugierig und selbstständig sein"
| 21. Januar 2021Brian Reichholf studierte Molekulare Biologie an der Uni Wien und ist heute Digital Trainee bei der Raiffeisenlandesbank. Im Tandem-Interview erzählen er und sein Vorgesetzter Jochen Bonk, warum ein Naturwissenschafter gut ins Finanzwesen passt und wie sich die Arbeitswelt verändert hat.
uni:view: Wie sind Sie aufeinander aufmerksam geworden?
Brian Reichholf: Ich hatte schon länger Raiffeisen als potenziellen Arbeitgeber am Radar. Der Sprung von einer Naturwissenschaft in die Finanzwelt ist zwar ein wenig ungewöhnlich, aber ein gewisses Grundinteresse war bereits da – einerseits, weil mich Finanzprodukte interessieren, andererseits, weil ich vermutet habe, dass ich meine gelernten Fähigkeiten hier abstrakt anbringen kann. Im Konkreten fand das Erstgespräch dann bei einem Uniport Karriere-Event an der Universität Wien statt.
Jochen Bonk: Unsere HR hat mir Brian vorgeschlagen, nachdem ich betont hatte, dass ich niemanden mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund suche. Stattdessen hielt ich Ausschau nach technisch affinen Menschen mit einem Verständnis für Daten und Ideen und wie man diese analysieren, aufbereiten und präsentieren kann. In einem persönlichen Gespräch haben wir uns dann mit Brian unterhalten, erläutert, wie wir arbeiten, und was uns wichtig ist.
Was ist Uniport?
Uniport ist das Karriereservice der Universität Wien und setzt mit verschiedenen Beratungsangeboten und Veranstaltungen Impulse an der Schnittstelle zwischen Universität und Berufswelt. Die Events (von Webinaren bis zum E-Recruiting Day) finden derzeit aufgrund von Covid-19 online statt, die Termine findet man im Eventkalender!
uni:view: Können Sie Ihre Tätigkeit kurz beschreiben?
Jochen Bonk: Fachlich verantworte ich das Fixed Income Management der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG, sprich ich versuche gemeinsam mit anderen Kolleg*innen nachhaltige und stabile Erträge aus der Zinspositionierung zu generieren und dabei lediglich Risiken einzugehen, die auch im Krisenfall keine Bedrohung für das Unternehmen darstellen. Es ist also viel Abwägen von Chancen und Risiken notwendig. Meine Rolle hat sich aber immer stärker zu einer Leadership-Position entwickelt, in der es gilt, in unterschiedlichen Teams möglichst gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, Ideen zu entwickeln bzw. die richtigen Personen für die entsprechenden Aufgaben zu finden.
Brian Reichholf: Ich bin Digitaler Trainee im Fachbereich Treasury. Zu meinen Tätigkeiten gehört, einen neuen, frischen Blick auf interne Prozesse zu werfen, Denkanstöße zu geben, welche Tätigkeiten digitalisiert werden können und diese dann entweder federführend oder in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen zu modernisieren.
uni:view: Wie beeinflusst Ihre Arbeit das tägliche Leben? Wo sehen Sie Ihre Wirkung in die Gesellschaft?
Brian Reichholf: Da man als Einzelperson in einem großen Unternehmen doch ein kleines Zahnrad in einer großen Maschine ist, merke ich meine Wirkung im Alltag eher im persönlichen Gespräch. Dies spiegelt sich vor allem in volkswirtschaftlichen Themen wider, wie zum Beispiel, wenn man über politische oder wirtschaftliche Entwicklungen diskutiert.
Jochen Bonk: Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich im Privatleben, zum Beispiel bei schulischen Themen meines Sohnes, beginne, berufliche Methoden der Zusammenarbeit, des Projektmanagements aber auch Moderationstechniken zu verwenden. Da muss ich manchmal aufpassen. Es kann zwar oft hilfreich sein, aber Privates möchte ich schon auch mit privaten Mitteln lösen, sonst wird es zu technisch.
uni:view: Was hat Sie im Jobinterview überzeugt?
Jochen Bonk: Ich fand es wahnsinnig angenehm, dass Brian nicht den Eindruck machte, irgendwas vorbereitet zu haben. Er weiß, was er kann und was er nicht kann, und hat einfach offen mit uns losgeplaudert. Wir haben in meiner Wahrnehmung schon während des Gesprächs begonnen, gewisse konkrete Themenstellungen zu besprechen und Ideen zu entwickeln. So etwas ist besonders angenehm, wenn man sofort einen guten Draht zueinander hat. Das war aus meiner Sicht bei uns der Fall.
Brian Reichholf: Ich hatte bereits Interesse am Finanzmarkt, zusätzlich klangen die Tätigkeiten sehr interessant und boten viel Anknüpfungspotenzial für meine Liebe zur Datenanalyse. Ein großer Bonus war auch, dass ich im Interview sehr warm und freundlich empfangen wurde und der erste persönliche Eindruck auch bei mir sehr gut ankam.
uni:view: Herr Reichholf: Sie haben Molekulare Biologie studiert – welches Rüstzeug hat Ihnen die Universität Wien mit auf den Weg gegeben?
Brian Reichholf: Die wohl drei wichtigsten Punkte, die mir meine universitäre Laufbahn gelehrt habe, sind kritisch zu bleiben, trotzdem neugierig für neue Erkenntnisse zu sein, und sich selbstständig in völlig neue Themen einarbeiten zu können.
uni:view: Wann ist die Entscheidung gefallen, dass Sie Ihren aktuellen Beruf ausüben möchten?
Brian Reichholf: Ich sehe mich in meiner aktuellen Rolle als Mischung aus Daten-Analyst und werdendem Finanzmarktexperten. Für die erste Hälfte hatte ich mich schon etwa ein Jahr vor meiner Promotion entschieden, die zweite Hälfte ist eine Entscheidung, die sich im Zuge der Jobsuche als interessant herauskristallisiert hat.
uni:view: Vom Hörsaal rein in die Praxis: Was ist anders?
Brian Reichholf: Der wohl größte Unterschied zwischen dem Studium und der Praxis in einem großen Unternehmen ist, dass man bei der universitären Arbeit meist auf sich selbst angewiesen ist, während man in der Praxis oft Projekte begleitet, bei denen mehrere Parteien involviert sind. Möchte man seine Projekte erfolgreich umsetzen, ist es daher unumgänglich, effektiv und deutlich mit allen Involvierten zu kommunizieren. Aus der Wissenschaft heraus denke ich hier vielleicht öfter zu komplex und ertappe mich immer wieder dabei, kurz innezuhalten, um meine Gedanken so zu formulieren, dass ich nicht am Thema vorbeirede. Meine Kolleg*innen sind aber stets hilfsbereit und freuen sich auf ein intellektuelles Geben und Nehmen.
uni:view: An Sie als Vorgesetzter: Welche Skills machen Absolvent*innen der Universität Wien aus?
Jochen Bonk: Ich weiß natürlich nicht, welche Skills Brian schon von sich aus mitgebracht oder sich selbst erarbeitet hat. Ich habe jedoch schon den Eindruck gewonnen, dass die Uni Wien neben der fachlichen Expertise auch Wert darauf legt, zu vermitteln, dass Struktur und Klarheit ein vielversprechender Ansatz für erfolgreiches Arbeiten sein können. In meinen Augen wurde den Studierenden in den letzten Jahren auch vermittelt, dass die Präsentation und das überzeugende Vertreten eines Standpunkts wesentliche Aspekte einer erfolgreich gelösten Aufgabe darstellen.
Der größte Vorteil der neuen Teammitglieder von der Uni Wien ist aber sicherlich die sehr flexible und offene Herangehensweise an Themenstellungen. Hier merkt man, dass es zu einem Paradigmenwechsel gekommen ist und weniger in Schubladen gedacht wird. In den wenigsten Fällen gibt es heute noch klares "richtig" und "falsch", vielmehr gilt es ergebnisoffen und oftmals kollaborativ mögliche Lösungen zu erarbeiten. Und das Ganze, ohne perfekt sein zu wollen, denn das gelingt uns selten bzw. nie. Ausgezeichnet reicht vollkommen.
uni:view: Und abschließend ein Blick zurück: Was hat sich in der Berufswelt getan, seit Sie Einsteiger waren?
Jochen Bonk: Ich bin selbst noch über einige Zufälle, hohen Arbeitseinsatz und rückblickend enormen Zeitaufwand in meine Tätigkeiten hineingewachsen. Ich habe das durchaus zielstrebig verfolgt, wie sehr viele andere in meiner Generation auch. Wir haben seinerzeit berufliche Themen höher gewichtet als private, auch die finanzielle Komponente wurde wichtiger angesehen als der Wohlfühlfaktor bei der Arbeit.
Die Erwartungen der Arbeitgeber*innen an die Ausbildung erscheinen mir heute deutlich höher. Mit dem Einstieg ins Berufsleben sind die jüngeren Kolleg*innen dann aber deutlich gelassener und weniger beeinflussbar, als das in den 1990ern der Fall war. Arbeiten wird eher als ein Miteinander gesehen, wo es früher schon größeres Gegeneinander gab. Hier haben sich die Prioritäten doch deutlich verschoben – was ich als sehr angenehm empfinde.
uni:view: Vielen Dank für das Gespräch. (bw)
Steckbrief Brian Reichholf
Wesentliche Berufserfahrung
Seit August 2019: Raiffeisenlandesbank Niederösterreich/Wien, Digital Trainee im Fixed Income Management
2013 – 2019: Institut für Molekulare Biotechnologie, Wissenschaftliche Forschung
2005 – 2007: Cochlear GmbH, Klinisch Technischer Spezialist für Implantierbare Hörgeräte
Ausbildung
2013 – 2019: Universität Wien, Doktorratsstudium Lebenswissenschaften (Molekulare Biologie)
2011 – 2013: Universität Wien, Masterstudium Molekulare Biologie
2007 – 2011: Universität Wien, Bachelorstudium Biologie
Ehrenamtliche Tätigkeit
Seit 2019: Mitarbeiter bei TEDxVienna, derzeit Head of Creative, Tech & IT
Steckbrief Jochen Bonk
Aktuell: Abteilungsleiter im Treasury – Head of Fixed Income Management, Mitglied diverser Entscheidungsgremien der RLB, Verantwortlich für die Wertpapier- und Derivateportfolien der RLB
Seit 2001: unterschiedliche Positionen im Geschäftsbereich Treasury der RLB NÖ-Wien AG
1999: Asset Liability Management / SKWB Schoellerbank Wien
1996: Long Term Desk and Public Finance / Allgemeine Hypothekenbank Frankfurt
1995: Schuldschein- und Pfandbriefhandel / Baden-Württembergische Bank Stuttgart
1994: ETD & OTC Derivate Backoffice / Baden-Württembergische Bank Stuttgart
1992: Ausbildung Bankkaufmann / Baden-Württembergische Bank Karlsruhe