Frauen in der Wissenschaft – ein Situationsbericht

Frauen haben es in der Wissenschaft nicht leicht: Obwohl die Universitäten zahlreiche Maßnahmen setzen, um für ausgeglichene Geschlechterverhältnisse zu sorgen, sind Wissenschafterinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen deutlich unterrepräsentiert. Anlässlich des 100. Internationalen Frauentags am 8. März suchte "uni:view" gemeinsam mit Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung, und Richard Gamauf, Vorsitzender des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen, nach Ursachen und Lösungsansätzen für die fehlende Gender-Balance.

Redaktion: Die Tradition des Internationalen Frauentags geht vor allem auf die Arbeiterinnenbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Was bedeutet dieser Tag für Sie? Sind vonseiten der Frauenförderung spezielle Aktionen zum 100-jährigen Jubiläum geplant?
Sylwia Bukowska: Es ist zwar einerseits schön, dieses Jubiläum und die geschichtlichen Erfolge der Frauenbewegung feiern zu können – aus diesem Anlass werden wir am 7. März 2011 eine Veranstaltung mit dem Titel "Entwicklung – Veränderung – Performance" durchführen, die sich mit dem Thema der Karriereverläufe auseinandersetzt und dabei u. a. auch aufzeigt, was die Universität Wien im Bereich der Frauenförderung bereits erreicht hat bzw. wo weitere Anstrengungen unternommen werden. Andererseits finde ich es bitter, dass dieses Thema heute immer noch genauso aktuell ist wie vor 100 Jahren, wenn auch mit anderen Schwerpunkten. Es ist schon unglaublich, dass es am Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt einen derartigen Tag geben muss, um die in vielen Bereichen nach wie vor herrschende Schieflage bei Gleichstellungsfragen aufzuzeigen und zu thematisieren.

Redaktion:
Wie stellt sich diese Schieflage im universitären Umfeld dar?
Richard Gamauf: Was die Situation der Frau betrifft, zeigt sich an den österreichischen Volluniversitäten ein einheitliches Bild: Obwohl die Mehrheit der Studienplätze von weiblichen Studierenden belegt wird und mehr Frauen als Männer ihr Studium erfolgreich absolvieren, schaffen es nur sehr wenige bis an die Spitze der wissenschaftlichen Karriereleiter. Je weiter sie diese nach oben klettern, umso geringer wird der Frauenanteil.
Bukowska: Im Laufe einer wissenschaftlichen Karriere dreht sich das Geschlechterverhältnis um: Während Frauen zu Beginn des Studiums noch mit zwei Drittel die klare Mehrheit stellen, sind es bei den Professuren nur mehr knapp 20 Prozent. Die einzelnen Werte variieren zwar stark von Fakultät zu Fakultät, insgesamt spiegelt diese Darstellung – die auch als "Scherenphänomen" bezeichnet wird – jedoch das gesamtuniversitäre Verhältnis sehr gut wider.

Redaktion: Worin liegen die Ursachen für das ungleiche Geschlechterverhältnis?
Gamauf: Ausschlaggebend hierfür sind sicher nicht mangelnde politische Vorgaben seitens der Universitätsleitung. Dort wird Frauenförderung und Gleichstellungspolitik sehr ernst genommen. Das Problem liegt eher in der Umsetzung nach unten: Politische Vorgaben verpuffen in dem Moment der realen Entscheidungssituation. Bestes Beispiel hierfür sind die Berufungskommissionen. Hier werden gelegentlich personelle Entscheidungen getroffen, die aus Sicht der Kommissionsmitglieder zwar sachlich begründet sein mögen, aber nicht dem Ausschreibungstext oder der Gutachtenlage entsprechen und dann zu Ungunsten von Frauen ausfallen.
Bukowska:
Eine der Grundschwierigkeiten in diesem Zusammenhang liegt u. a. darin, dass jede handelnde Person an den Universitäten – wie jeder andere Mensch auch – die eigene gesellschaftliche Sozialisation mitbringt. Die Kommissionsmitglieder gehen mit einem bestimmten Blick an die Dinge heran, der nur allzu oft eine genderkritische Betrachtung der Verhältnisse vermissen lässt.
Gamauf: Natürlich spielt hier auch das gesellschaftlich tradierte Bild des "Wissenschafters" eine gewichtige Rolle: Die traditionelle Vorstellung eines viel beschäftigten Mannes, der neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit keinerlei Zeit für Privatleben und Familie hat. Die Vereinbarkeit von Karriere- und Familienplanung wird bei dieser Sichtweise nicht einmal zum Thema .

Redaktion: Welche Lösungsansätze gibt es, um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken?
Bukowska: Wenn wir wirklich etwas bewegen wollen, brauchen wir eine ganzheitliche Kulturveränderung, die an verschiedenen Fronten gegen den einseitigen "Gender-Blick" vorgeht und von allen Beteiligten mitgetragen und gelebt wird. Wie das am besten umgesetzt werden kann, lässt sich nicht leicht in all der Kürze sagen, auch wenn die Sehnsucht nach einer möglichst einfachen und sofort umsetzbaren Lösung aller Probleme verständlich ist. Fest steht aber, dass die bloße Erhöhung der Frauenanteile als Zielvorgabe zu kurz greift. Das ist und bleibt ein wichtiges Ziel, darüber hinaus geht es jedoch darum, die gesellschaftliche Realität an den Universitäten zu verändern.
Gamauf: Meiner Meinung nach müssen die Kommissionen viel stärker an die Hand genommen werden, damit die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Um einseitige Verfahren zu verhindern, sollten zudem neutrale BeobachterInnen von außen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden.

Redaktion:
Wie entwickelt sich die Situation an der Universität Wien? Welche frauenfördernden Maßnahmen wurden bzw. werden ergriffen?
Bukowska: Ich habe die Abteilung Frauenförderung von Anfang an – seit der Gründung dieser Servicestelle im Herbst 2000 – bei ihrer Entwicklung gemeinsam mit meiner ehemaligen Kollegin, Evi Genetti, begleitet. Seitdem ist eine ganze Reihe von Maßnahmen gesetzt worden. So wurden u. a. spezielle Programme ins Leben gerufen, die Wissenschafterinnen den Zugang zu Netzwerken erleichtern – wie das Mentoringprogramm "muv" – oder für Berufungsverfahren vorbereiten. Auch die erfolgreiche Etablierung eines Curriculums zur Karriereplanung für Dissertantinnen und Post-Docs, das im Februar 2011 zum zehnten Mal startete, und die erstmals ausgeschriebenen Berta-Karlik-Professuren sind als Zeichen für eine positive Veränderung zu werten. Der größte Erfolg, der an der Universität Wien in diesem Bereich zu erwähnen ist, ist die Verdoppelung des Frauenanteils bei den Professuren innerhalb der letzten zehn Jahre.
Gamauf: Während Fragen zu Frauenförderung und Gleichstellung noch vor einigen Jahren lediglich ein Nischenthema waren, werden sie heute als universitätspolitische Notwendigkeit anerkannt. Aufgrund dieser positiven Sensibilisierung hat sich die Situation bei den Berufungsverfahren massiv verbessert: Heute sind an die 95 Prozent der dort getroffenen Entscheidungen aus unserer Sicht völlig problemlos. (ms)

Die Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung unter der Leitung von Mag. Sylwia Bukowska wurde im Herbst 2000 auf Initiative der damaligen Vizerektorin für Personalangelegenheiten und Frauenförderung, Gabriele Moser, gegründet. Der Schwerpunkt der Abteilung, die Teil der Dienstleistungseinrichtung Personalwesen und Frauenförderung der Universität Wien ist, liegt in der Entwicklung und Durchführung von Programmen zur Unterstützung wissenschaftlicher Karrieren von Frauen an der Universität Wien.

Der seit 1991 an der Universität Wien bestehende Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen unter dem Vorsitz von Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Richard Gamauf, Professor am Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, ist ein vom Senat eingesetztes Kollegialorgan. Ihm gehören 21 Mitglieder sowie 42 Ersatzmitglieder aus allen im Senat vertretenen Gruppen von Universitätsangehörigen an. Die Mitglieder des Arbeitskreises wirken bei Personalangelegenheiten mit. VertreterInnen des Arbeitskreises nehmen an allen Sitzungen von Berufungskommissionen kontrollierend teil.


Entwicklung – Veränderung – Performance: Festveranstaltung der Universität Wien zum 100. Internationalen Frauentag
Montag, 7. März 2011, ab 16 Uhr
"albert's cafe.lounge" im Albert Schweitzer Haus
Garnisongasse 14-16, 1090 Wien
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