Ende der Geschichte? Heutige Apokalyptik aus theologischer Sicht (Teil I)

Wieder einmal naht das Ende, dieses Mal nach dem Kalender der alten Mayas. Der endet nämlich am 21. Dezember 2012. Der Regisseur Roland Emmerich hat das Publikum schon vor drei Jahren mit seinem Film 2012 auf die bevorstehende Katastrophe eingestimmt. Sage niemand, man habe uns nicht gewarnt!

Emmerichs Untergangsmythos speist sich aus der Kombination einer außerchristlichen Kultur mit biblischen und christlich-apokalyptischen Motiven. Einmal mehr erzählt der Film die Geschichte von der Sintflut. Gigantische Archen, die Raumschiffen gleichen, werden am Himalaya gebaut. Der interreligiöse Mix zeigt, dass die biblische Tradition durchaus weiter fortwirkt.

Die neue Maya-Apokalyptik ist im Grunde ein westliches, vom Christentum beeinflusstes Produkt. Auch die vielzitierte Weissagung der Hopi-Indianer: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann", ist in Wahrheit nicht indianischen Ursprungs, sondern wurde 1962 von zwei amerikanischen Geographen in Umlauf gebracht. Und auch die in der Umweltbewegung verbreitete Rede des Häuptlings Seattle, über die gern in christlichen Kirchen gepredigt wird, ist ein moderner Mythos.

Kollektive Visionen vom Untergang

In den vergangenen Jahrzehnten sind die westlichen Gesellschaften immer wieder von apokalyptische Ängsten und Phantasien geplagt worden, im öffentlichen Bewusstsein ebenso wie in der Kunst, im Film und in der Literatur. Die atomare Hochrüstung oder die fortschreitende Zerstörung der Umwelt haben kollektive Visionen des möglichen Untergangs heraufbeschworen. Neben realen Zukunftsängsten steht das Unterhaltungsbedürfnis, z.B. in der Filmindustrie. Ob "Wall-E", "The Day after Tomorrow", "Deep Impact" oder "2012": Die Ängste der krisenanfälligen Moderne paaren sich mit Lust am medial inszenierten Untergang.

Apokalyptik ist die Kehrseite der Utopie

Von Beginn an ist der Fortschrittsoptimismus der Moderne von einer Unterströmung apokalyptischen Denkens begleitet worden. Es beschränkt sich nicht auf Sekten und religiöse Sondergemeinschaften, die immer schon intensive Endzeiterwartungen hegten. Apokalyptische Ängste und die historischen Schrecken, auf die sie reagieren – man denke an die Pest und zahlreiche, durch drohende Hungersnöte und Steuerlasten ausgelöste Aufstände im Mittelalter –, "begleiten die Geburt der modernen Welt" (Jean Delumeau).


Ulrich Körtner, geb. 1957, ist Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Bethel, Münster und Göttingen war Körtner als Assistent und im Vikariat an der Kirchlichen Hochschule Bethel und in Bielefeld tätig. 1982 promovierte er, 1987 habilitierte er an der Kirchlichen Hochschule Bethel. Seit 1992 ist er Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien.



Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts schien zunächst der Geist der Utopie wie auch der Gegengeist der Apokalyptik zu erlöschen, war doch laut Francis Fukuyama im Sinne Hegels das Ende der Geschichte eingetreten, wenngleich auf eine ganz unapokalyptische Weise. Inzwischen hat Fukyama seine These freilich revidiert. Aber was folgt daraus? Heißt es, dass Menschheit und Kosmos eine unendliche Geschichte vor sich haben?

"Die unendliche Geschichte"

1979 veröffentliche Michael Ende seinen Roman "Die unendliche Geschichte", mittlerweile ein Klassiker der deutschen Kinderbuchliteratur. Aber kann es eine Geschichte ohne Ende überhaupt geben? Setzt eine erzählbare Geschichte nicht immer schon voraus, dass man ihr Ende kennt? (Nebenbei bemerkt, hatte Michael Ende zeitweilig erhebliche Mühen, seinen Roman abzuschließen, weil ihm zunächst kein überzeugendes Ende einfiel.) Vor diesem Problem steht nicht nur jeder Geschichtenerzähler und Romancier, sondern auch die wissenschaftliche Geschichtsschreibung.

Wenn man aber eigentlich schon das Ende der Geschichte kennen muss, bevor man sie erzählen kann, ist dann nicht der Gegenstand jeglicher Geschichtsschreibung die Vergangenheit? Beginnt dann nicht jede Historiographie wie jede Erzählung mit den einleitenden Worten: "Es war einmal …"?

"Entdeckung der Zukunft"

Zur Geschichte der modernen Geschichtstheorie gehört freilich auch die "Entdeckung der Zukunft" (Lucian Hölscher) als gemeinsamem gesellschaftlichem Erwartungszeitraum. Nicht nur die Geschichtswissenschaft, sondern auch die Theologie fragt nach dem Unabgegoltenen der Vergangenheit. Die eigene Gegenwart kann nicht länger als das "Ende der Geschichte" gesehen werden, auf welches die Vergangenheit hinausläuft, sondern diese hat eine eigene Zukunft, die sich mit unseren Erwartungen nicht decken muss. Folglich kann es auch keine abschließenden Urteile über die Vergangenheit geben.

Die Unendlichkeit der Zeit

So wichtig die Kategorie der Zukunft für unsere Verständnis von Geschichte und Gegenwart ist, so nachdrücklich muss doch auch die Frage gestellt werden, welche Rolle der Gedanke des Endes bzw. die Kategorie der Endlichkeit für unser Verständnis von Zukunft spielt. Ist die Zukunft prinzipiell als unendliche zu denken, oder ist die Zukunft endlich wie wir selbst? Es stellt sich mit anderen Worten die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Zeit. Die heute gängige physikalische Kosmologie nimmt an, dass der Kosmos und damit die Zeit einen Anfang hatten, der sogenannte Urknall oder Big Bang. Muss aber, was einen Anfang hat, darum auch notwendigerweise ein Ende haben? Und wäre dann Unendlichkeit mit Ewigkeit gleichzusetzen, oder unterscheiden sich beide Begriffe voneinander?

Solche Fragen führen uns in den Bereich der Theologie. Und tatsächlich lässt sich beobachten, dass auch eine vermeintlich rein profane Geschichtsschreibung nicht ohne gewisse Hintergrundannahmen auskommt, die metaphysischer oder sogar theologischer Natur sind, wobei es sich nicht unbedingt um christliche Theologie handeln muss ... weiterlesen

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