Die Mobilisierung der Mitmach-Gesellschaft
| 11. November 2016Druckfrisch: Die neue Ausgabe des Alumni-Magazins "univie" ist da und dreht sich um Crowdsourcing und Citizen Science. Als Vorgeschmack bringt uni:view einen Gastbeitrag der Chefredakteurin Siegrun Herzog, der die BürgerInnenbeteiligung in der Wissenschaft beleuchtet.
In Zeiten von Smartphones und sozialen Medien ist Partizipation, so scheint es, einfach wie nie. Ob in Wissenschaft oder Politik, BürgerInnenbeteiligung ist ausdrücklich erwünscht. Doch allein, dass es einfacher geworden ist mitzumachen, heißt noch lange nicht, dass alle es auch tun können oder wollen. Wer profitiert von dieser Beziehung und macht sie die Wissenschaft oder gar die Gesellschaft als Ganzes offener?
Sie zählen Igel, notieren, wann die ersten Blätter von den Bäumen fallen, oder fotografieren überfahrene Tiere am Straßenrand. Immer mehr BürgerInnen sind im Dienste der Wissenschaft aktiv. 33 Projekte listet die Plattform "Citizen-Science" aktuell in Österreich, der Großteil beschäftigt sich mit Natur- und Umweltthemen. Im anglo-amerikanischen Raum bereits seit Längerem gängige Praxis, ist die BürgerInnenbeteiligung in der Wissenschaft nun auch in Österreich angekommen.
Wenn SchülerInnen über Impfpolitik forschen
"In meiner Forschung geht es um die Impfpolitik rund um die HPV-Impfung in Österreich. Bisher waren ExpertInnen meine AnsprechpartnerInnen, aber ich bin damit an Grenzen gestoßen und war auch an anderen Perspektiven interessiert. Unser Projekt 'CODE IT!' ist nun der Versuch, Jugendliche in diese Forschung einzubeziehen."
Katharina T. Paul forscht als Postdoc am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. "CODE IT!" ist eines der vom FWF in der Schiene "Top Citizen Science" geförderten Projekte. (Foto: Sengmueller)
Dass Laien sich an Wissenschaft beteiligen, war noch nie so einfach wie heute. Oftmals genügt ein Smartphone als Tool, um Beobachtungen aufzuzeichnen und an die WissenschafterInnen zu übermitteln. "Die personalisierte Digitalisierung, also das Phänomen, dass wir fast alle nahezu ständig digitale Geräte bei uns tragen, hat die Verbreitung von Citizen Science massiv beschleunigt", ist Barbara Prainsack überzeugt. Die Alumna der Politikwissenschaft beschäftigt sich am King's College in London mit partizipativen Formen in der medizinischen Forschung, wo man in Großbritannien schon gute Erfahrungen mit Beteiligungsmodellen gemacht hat.
"Durch die Einbindung von PatientInnen bereits in der Planungsphase wird die Forschung einfach besser", so Prainsack. Citizen Science kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen und reicht vom klassischen Crowdsourcing, wo BürgerInnen zum Sammeln großer Datenmengen beitragen, bis hin zum Analysieren von Daten und Mitgestalten von Forschungsfragen durch Laien.
Die Teilnahme von AmateurInnen an wissenschaftlicher Forschung ist nicht gänzlich neu. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass auch nicht speziell dafür ausgebildete Menschen Forschung betrieben. Der Naturforscher Charles Darwin wird in diesem Zusammenhang gerne als erster Promi-Citizen-Scientist genannt – er war eigentlich ausgebildeter Theologe, als er die Reise mit dem Forschungsschiff HMS Beagle antrat, wenn auch mit umfangreichem biologischen Wissen.
Win-win?
Wie in jeder Beziehung wollen auch in den Citizen Sciences beide Seiten etwas davon haben. "Die WissenschafterInnen benötigen Daten, Ideen und Brainpower, aber auch die BürgerInnen wollen profitieren", bringt es der Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes auf den Punkt. In den seltensten Fällen sei dies im Übrigen das Anliegen, der Wissenschaft zu dienen, wesentlich attraktiver sei es da schon, an der Lösung eines Problems mitzuhelfen, etwa der Umweltverschmutzung.
Und dann ist da noch der persönliche Nutzen. Den bemerkt Barbara Prainsack auch in der medizinischen Forschung, wo sich PatientInnen nicht nur aus Solidarität mit anderen LeidensgenossInnen oder künftigen Generationen beteiligen, sondern weil sie sich selbst bessere medizinische Versorgung erhoffen. Vor allem aber gilt: "It shouldn't suck, es sollte nicht langweilig sein", sagt Prainsack und verweist auf das US-amerikanische Forschungsprojekt "Old Weather", das Gamifizierung geschickt nutzt, um alte Schiffs-Logbücher der East India Company von Laien transkribieren zu lassen und so Informationen über die Wetterverhältnisse in der Arktis aus dem 19. Jahrhundert zu gewinnen.
PhenoWatch.
Der 62-jährige Oberösterreicher Franz B. ist seit 20 Jahren als Citizen Scientist aktiv und sorgt im Projekt PhenoWatch dafür, dass Informationen wie etwa über den ersten Reinigungsflug der Bienen nach der Winterruhe, den Laubfall verschiedener Baumarten oder die Fruchtreife der Zwetschken aus dem Innviertel zur Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) nach Wien gelangen. "Wir brauchen diese Daten, um Klimamodelle berechnen zu können, wo lange Beobachtungszeiträume für gleichbleibende Standorte wichtig sind", erklärt Elisabeth Koch, Alumna der Meteorologie und Leiterin der Fachabteilung Klimatologie an der ZAMG.
Aus diesen Daten kann man etwa ablesen, dass der Frühling heutzutage früher beginnt und der Herbst länger dauert als im langjährigen Mittel. Stoßen die KlimaforscherInnen auf Ungereimtheiten in den Daten, wird bei den Citizens nachgefragt, das sei aber eher die Ausnahme, so Koch, zumeist seien die Daten plausibel.
Seit 1851 stützt sich der Wetterdienst der Nation auf die Beteiligung der Bevölkerung, wenn es um die Beobachtung und Aufzeichnung phänologischer Daten – die Entwicklung von Pflanzen und das Verhalten von Tieren in Abhängigkeit der jahreszeitlichen Witterung – geht. Personen zu finden, die diese Beobachtungen ehrenamtlich und zuverlässig durchführen, wird für die ZAMG allerdings immer schwieriger. Nun hat man eine App entwickelt, um die Teilnahme noch einfacher zu gestalten. "Wir hoffen sehr, dass es uns dadurch gelingt, mehr Menschen zum Mitmachen zu bewegen", sagt Koch.
"Im Projekt 'Deutsch in Österreich' interessieren uns die unterschiedlichen Varietäten und Sprachkompetenzen von ÖsterreicherInnen. Interessierte Menschen außerhalb der Wissenschaft sind die zentrale Quelle für unsere Forschung. Wir bauen gerade eine Online-Plattform auf, wo auch interessierte Freiwillige ihre Sprachproben und Texte hochladen und mit uns WissenschafterInnen teilen können. Die 'Laien' sollen auch selbst Forschende sein, indem sie Fragen produzieren, die wir mit ihnen beantworten wollen."
Alexandra N. Lenz ist Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Wien und Sprecherin des vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs "Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzeption".
Zu zeitaufwändig findet Franz B. die Aufgabe auch ohne die mobile App nicht, zwei bis drei Mal im Monat tippt er die gewünschten Daten auf der Online-Plattform ein. Was ihn motiviere, das zu tun? Der persönliche Nutzen, den er als in der Landwirtschaft Tätiger von den Auswertungen habe, sagt der Citizen Scientist. Schließlich bekomme er eine Bestätigung dessen, was er selbst bei der Arbeit draußen spüre, die Zeichen des Klimawandels.
Auch wenn der momentane Boom irgendwann wieder abflauen könnte, aufzuhalten ist die Beteiligung von BürgerInnen jedenfalls nicht mehr. Man werde aber auch erkennen müssen, dass die Methode nicht für alle Forschungsfragen gleichermaßen geeignet ist, sagt Barbara Prainsack und hofft langfristig auf den Empowerment-Effekt: "Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute bottom-up ihre eigenen Projekte starten, sei es in der medizinischen Forschung, im Umweltschutz oder zu den Themen der sozialen Bewegungen." Die sozialen Medien machen es jedenfalls einfacher, UnterstützerInnen dafür zu finden und zu vernetzen.
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Der komplette Artikel findet sich zum Nachlesen in der aktuellen Ausgabe von univie, dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien.
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