Die Erosion der globalen Biodiversität und ihre Folgen
| 20. Mai 2019Der Welt-Biodiversitätsrat hat Anfang Mai 2019 eine alarmierende Bilanz der weltweiten Biodiversität vorgelegt. Die Ökologen Franz Essl und Stefan Dullinger beleuchten in ihrem Gastbeitrag die Folgen des vom Menschen verursachten Artensterbens und die Notwendigkeit eines umfassenden Gegensteuerns.
Die Erde befindet sich im Anthropozän. Dieser Begriff wurde im Jahr 2000 durch den Nobelpreisträger Paul Crutzen vorgeschlagen, um die planetare Dominanz des Menschen zu charakterisieren. Technologischer Fortschritt und starkes Bevölkerungswachstum haben besonders seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu rasantem Wachstum des menschlichen Fußabdrucks geführt. Landwirtschaftliche Nutzung und Siedlungsgebiete haben sich auf Kosten unberührter oder naturnaher Lebensräume ausgedehnt, Düngemittel und Biozide werden in vormals unbekannten Ausmaß eingesetzt, der Fischfang hat sich vervielfacht und Giftstoffe aller Art erreichen nun auch die entferntesten Winkel der Erde. Was sind die Konsequenzen dieser umfassenden Transformation des Ökosystems Erde?
Fridays for Future: Aufruf zum Klimastreik am 24. Mai 2019
Zahlreiche Studierende, Lehrende und MitarbeiterInnen der Uni Wien unterstützen die Fridays for Future Bewegung Austria sowie die Initiative Scientists for Future. Am Freitag, 24. Mai 2019, wird zum weltweiten Klimastreik aufgerufen.
Silent Earth: Das große Artensterben
Im Mai 2019 wurde vom internationalen Biodiversitätsrat IPBES unter Mitwirkung von nahezu 500 führenden WissenschafterInnen und auf Basis einer umfassenden Synthese der wissenschaftlichen Literatur ein Bericht zum Zustand der biologischen Vielfalt vorgelegt. Die Bilanz ist höchst alarmierend: Intakte natürliche Lebensräume schrumpfen rasant, die Populationen von Säugetieren sind im Vergleich zum Naturzustand um 82 Prozent zurückgegangen und etwa jede vierte Tier- und Pflanzenart ist vom Aussterben bedroht.
Ohne umfassendes Gegensteuern ist für die kommenden Jahrzehnte mit einer weiteren Verstärkung und Beschleunigung dieser Trends zu rechnen. Mit anderen Worten: Wir sind dabei, das Netz des Lebens zu zerreißen, das sich über Jahrmillionen entwickelt hat. Es scheint, als würde Rachel Carsons Dystopie eines "Silent Spring" in enorm vergrößerter Dimension Realität.
Die wichtigsten Punkte aus der "IPBES Global Assessment Summary for Policymakers" finden Sie hier in deutscher Sprache zusammengefasst
Geht es der Artenvielfalt schlecht, geht es den Menschen schlecht
Intakte Lebensgemeinschaften sind die Grundlage für menschliches Wohlergehen. Die Produktion von Nahrungsmittel, der Schutz vor Naturgefahren wie Überschwemmungen, die Pufferung klimatischer Extreme, die als Folge des Klimawandels häufiger werden, und vieles mehr hängt entscheidend von stabilen, artenreichen Lebensgemeinschaften ab. Der Verlust einiger weniger Arten mag kaum Konsequenzen für die Resilienz, also die Stabilität von Ökosystemen, haben. Die weiterhin rasant voranschreitende Vernichtung naturnaher Lebensräume und der Rückgang vieler Arten machen das Überschreiten von Systemgrenzen und von Kipppunkten jedoch zunehmend wahrscheinlich. Dies birgt enorme Risiken.
Was getan werden muss
Was also tun? Hier sind die Schlussfolgerungen des IPBES-Berichts eindeutig: Nötig ist eine globale Transformation menschlichen Handels in Richtung Nachhaltigkeit. Dies ist eine große und komplexe Aufgabe, aber sie ist lösbar – und konkrete, politisch von der Staatengemeinschaft akkordierte Ziele dafür liegen mit den von den Mitgliedsstaaten der UNO im Jahr 2015 beschlossenen Sustainable Development Goals (SDGs) auch vor.
Welche Maßnahmen nötig sind, ist wissenschaftlich gut untersucht: Nachhaltige Landnutzung, eine Verbesserung des globalen Schutzgebietsnetzwerks, ein Umbau zu einem CO2-neutralen Wirtschaftssystem sind dabei die großen Leitlinien. Diese Maßnahmen eines "Grünen Marschallplans" werden beachtliche Kosten verursachen. Aber dieses Geld ist gut investiert, weil damit langfristig viel höhere gesellschaftliche Kosten vermieden werden.
Veranstaltungstipp: Woche der Artenvielfalt
Noch bis 26. Mai 2019 findet in ganz Österreich die "Woche der Artenvielfalt" mit vielfältigen Veranstaltungen statt. Im Fokus stehen heuer die Insekten. Hier geht's zum Veranstaltungskalender des Naturschutzbunds Österreich (© naturschutzbund/Wolfgang Schruf)
Die aktuell größte Herausforderung liegt auf der politischen Ebene. Komplexe, langfristig und global zu lösende Probleme benötigen ein politisches Bewusstsein, das diesen Anforderungen entspricht. Dass dies bei solchen Problemlagen schwierig ist, zeigt die unzureichende internationale Klimaschutzpolitik. Umso wichtiger ist zivilgesellschaftlicher Druck wie etwa das Volksbegehehren Artenvielfalt in Bayern, welches im Februar 2019 zum erfolgreichsten Volksbegehren überhaupt avancierte!
Dies zeigt, dass große Teile der Bevölkerung die Dringlichkeit von Klima- und Biodiversitätsschutz – die als Symptome überbordender Naturnutzung zu verstehen sind – und die dadurch verursachten existenziellen Risiken dieser Systemkrisen verstanden haben.
Und Österreich?
Der Biodiversitätsverlust hält auch in Österreich ungebrochen an. Etwa ein Drittel aller beurteilten Arten steht auf den Roten Listen, etwa 80 Prozent der Arten und Lebensräume der FFH-Richtlinie sind in einem schlechten Erhaltungszustand, und die Bestände von Brutvögeln in der Agrarlandschaft sind in nur 20 Jahren um 42 Prozent zurückgegangen. Die bisherigen nationalen Naturschutzbemühungen sind daher offensichtlich unzureichend.
Die notwendige Intensivierung des nationalen Biodiversitätsschutzes könnte in Form eines "Masterplan Natur 2030" erfolgen, der den Schutz und die Wiederherstellung einer intakten Natur in Österreich als essenziellen Bestandteil eines lebenswerten Landes versteht. Diese Vorgabe sollte als Leitlinie auch in andere Politikfelder wie Landnutzung, Energiewirtschaft und Flächenwidmung integriert werden. Die dafür benötigten Mittel sind ausreichend vorhanden, alleine der Abbau biodiversitätsschädigender Förderungen und Anreize würde dafür ausreichen.
Franz Essl und Stefan Dullinger forschen und lehren am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.