Des Widerstands Kern

Zwei junge Menschen stehen vor einer Hauswand, eine malt einen Stern mit Kreide auf die Hauswand.

Es wird Zeit für einen "Partisanenfilmoverkill": Miranda Jakiša von der Uni Wien bringt gemeinsam mit dem Österreichischen Filmmuseum und der Viennale ausgewählte Partisanenfilme auf die Leinwand. Warum die Auseinandersetzung mit Widerstandskino wieder wichtig wird, erzählt sie im Interview.

uni:view: Frau Jakiša, Sie untersuchen am Institut für Slawistik den europäischen Partisanenfilm. Was verbirgt sich dahinter?
Miranda Jakisa:
Der europäische Partisanenfilm ist kein eigenes "Genre". Wenn man aber einen gemeinsamen Nenner finden möchte, dann ist es wohl der Widerstand. Doch so unterschiedlich die Widerstandsbewegungen während des Zweiten Weltkriegs ausfielen, so unterschiedlich präsentieren sich auch die Partisanenfilme.

Die gemeinsame Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums und der Viennale widmet sich vom 25. Oktober bis 4. Dezember dem Europäischen Partisanenfilm. In Kooperation mit dem Institut für Slawistik der Universität Wien werden insgesamt 48 Filme (zum Teil erstmals) in Wien gezeigt. Begleitend dazu startet am 23. Oktober die Vortragsreihe "Osteuropäischer Partisanenfilm – Widerstand im Rückblick" mit internationalen ExpertInnen zum Thema Partisanenkino. Mehr Infos

Das ehemalige Jugoslawien führt die Liste der Produktionen an. Ein Grund dafür ist der nationale "Gründungsmythos"; demnach ist der Staat Jugoslawien aus dem nationalen Widerstand gegen den Faschismus hervorgegangen. Diese identitätsstiftende Selbstbeschreibung findet sich auch im Filmschaffen wieder: Von 1947 bis in die 1980er Jahre wurden im ehemaligen Jugoslawien über 200 Partisanenfilme produziert. Oftmals wurde die eigene Involviertheit in den Krieg verzerrt, um die nationale Geschichte weiß zu waschen. Hier lassen sich interessante Parallellen zum amerikanischen Western finden: Die "Cowboys" mussten sich gegen die "wilden Indianer" wehren, so wurde die Ausrottung der indigenen Bevölkerung in ein Narrativ verpackt. Im osteuropäischen Partisanenfilm wurden analog dazu die eigenen Faschismen meistens komplett ausgespart. Das ist spannend!

uni:view: Im Rahmen Ihrer Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum und der Viennale wird ein Spezialprogramm zum Partisanenfilm gezeigt. Was erwartet die KinobesucherInnen?
Jakiša:
Neben vielen tollen jugoslawischen Filmen werden französische und sowjetische Filme gezeigt, darunter das bekannte Meisterwerk "Geh und sieh!", mit dabei sind neorealistische Klassiker der Filmgeschichte aus Italien wie "Roma città aperta", polnische Filme, Produktionen aus der ehemaligen Tschechoslowakei sowie jeweils ein deutscher, dänischer, norwegischer und albanischer Film. Es geht bei der Retrospektive darum, den Partisanenfilm in voller Breite zu präsentieren. Ich habe mir gerade nochmal alle Filme an einem Stück angesehen und in der Zusammenschau wird die "Essenz" von Widerstand deutlich. Unabhängig vom nationalen Kontext gibt es etwas, das Menschen antreibt, sich für andere einzusetzen, ein Selbstverständnis, nach dem nicht nur das eigene Überleben zählt, sondern auch das Leben der anderen. Das ist etwas, das uns gegenwärtig in Europa angesichts von Kriegsflüchtlingen und rechts orientierten Politiken wieder etwas zu sagen hat.

uni:view: Was können wir heute vom Partisanenfilm "lernen"?
Jakiša:
Im Nachkriegskino findet man – egal ob in Filmen aus Frankreich, Italien oder Jugoslawien – ein selbstverständliches Auflehnen gegen den Faschismus. Die Filme zeugen von einer Zeit, in der die europäische Idee geboren wurde und man sich gegenseitig versicherte, dass man geeint sein und keine Kriege untereinander mehr führen wolle. Aktuell haben wir jedoch rechte PolitikerInnen, die Mauern um ihre Länder ziehen und faschistisches Gedankengut verbreiten. Wir müssen uns gemeinsam an unsere Geschichte erinnern und Werte verteidigen, die teilweise in Vergessenheit geraten sind. Dem Österreichischen Filmmuseum und mir als einer der vielen BeraterInnen der Retrospektive ist es wichtig, mit den Filmen auch gesellschaftliche Gegenwartsfragen ins Gedächtnis zu rufen und Stellung zu beziehen. Wenn das geeinte Europa in Gefahr gerät, sind wir auch an den Universitäten in der Pflicht und dürfen uns nicht auf die gemütlichen Bürostühle zurückziehen.

uni:view:  Viele der Filme feiern ihre österreichische Erstaufführung …
Jakiša:
Viele der Filme lagen vergraben in den Archiven unter einer dicken Staubschicht und führten über Jahrzehnte, zu Unrecht, ein Schattendasein. Das Österreichische Filmmuseum hat Großartiges geleistet und auf Hochtouren gearbeitet, um diese Filme erstmals zugänglich zu machen. Ein weiterer Meilenstein ist die englische Untertitelung der Filme, zugleich eine Grundlage für weitere wissenschaftliche Auseinandersetzungen. Die Retrospektive wandert nach Wien international weiter und wird so dem Publikum und der Forschung zugänglich gemacht. Ich war bei der Auswahl der Filme beratend beteiligt und habe vor allem die begleitende wissenschaftliche Vortragsreihe konzipiert – um der Zusammenschau auch ein akademisches Forum zu geben, in dem die Diskussion über den europäischen Partisanenfilm fortgesetzt werden kann.

Lesetipp: In Miranda Jakišas Buch "Partisans in Yugoslavia" wird Widerstand in Literatur, Film und Visual Culture in der Tiefe behandelt. Das "Selbstporträt" auf dem Buchcover hat Natasia Louveau angefertigt, die Miranda Jakišas Seminar zum Partisanenkino mit Begeisterung besucht hat.

uni:view: Bei der diesjährigen Viennale wird eine Auswahl an Partisanenfilmen gezeigt und wissenschaftlich begleitet. Warum ist der Transfer in eine breite Öffentlichkeit von Bedeutung?
Jakiša:
Die Öffentlichkeit finanziert unsere Forschung. Wir müssen mit ihr in Kontakt bleiben und zeigen, warum unsere Arbeit relevant ist. Partisanenfilme eignen sich gut dafür – es wird hier anschaulich die europäische Nachkriegsgeschichte erzählt, anhand derer lebendige Diskussionen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Europas geführt werden können. Die Viennale dient uns als wunderbares "Einfallstor", um mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. 

uni:view: Auch in Ihre Lehre hält der Film Einzug – wie sieht das begleitende Seminar zur Retrospektive aus?
Jakiša:
An der Formsprache des Films lässt sich das kritische Denken auf unterhaltsame Weise schulen. In meinem Seminar werden Kompetenzen von Studierenden mit verschiedenen Hintergründen gebündelt. StudentInnen der Slawistik und Osteuropäischen Geschichte analysieren gemeinsam mit werdenden Theater-, Film- und MedienwissenschafterInnen Filmwerke – teilweise nehmen sie damit Erstsichtungen vor, zu vielen Filmen gibt es noch keine Sekundärquellen, auf die sie sich stützen könnten. Ihre Thesen können sie dann mit ExpertInnen, die ins Seminar kommen, diskutieren. Natürlich werden wir auch gemeinsam Vorträge und Filmvorführungen besuchen – auf einer Leinwand wirken die Filme ja viel besser. Das Österreichische Filmmuseum gewährt unseren Studierenden einen Sondertarif. Solche Praxiskooperationen möchte mein Lehrstuhl weiterführen: Für das nächste Semester ist schon eine Lehrveranstaltung mit dem Metro Kino zum südslawischen Spielfilm der Gegenwart geplant.

Viennale '19-Gewinnspiel!

uni:view verlost gemeinsam mit der VIENNALE 5x2 Viennale-Tickets sowie jeweils ein Festivalpackage, bestehend aus dem Viennale Rucksack, einem Festival- und Retrospektiven-Katalog. (© Viennale)

MITSPIELEN!

uni:view: Wenn LeserInnen nun neugierig geworden sind und den Partisanenfilm (wieder-) entdecken möchte – wie lautet Ihre persönliche Filmempfehlung?
Jakiša:
Mein Highlight ist der albanische Film "Die Braut und die Ausgangssperre" von 1978 – es war für mich eine kleine Sensation, dass wir diesen raren Film bekommen haben, und ich durfte ihn im Zuge der Vorbereitung selbst zum ersten Mal sehen. Wer einen Film von dem Partisanenfilmregisseur schlechthin, Veljko Bulajić, sehen möchte, empfehle ich den Film "Bitka na Neretvi" mit Yul Brunner und Orson Welles aus den späten 60er Jahren - der strotzt so von Ideologie, dass er schon wieder Freude bereitet. Mein Lieblingsfilm ist aber "Kozara". Das ist nicht unbedingt filmisch-ästhetisch begründet, sondern liegt an der Ernsthaftigkeit, mit der hier Kriegsverarbeitung geleistet wird. Die Traumatisierung, das Auf-den-Kopf-stellen der Welt im Krieg und die existentielle Bedrohtheit werden den ZuseherInnen schwarz-weiß vor Augen geführt. Solche Kriegsfilme verlässt das Publikum schweigend. Aber eigentlich sind tatsächlich alle 48 Filme zu empfehlen. Der Herbst ist doch eine gute Zeit, um sich einen Partisanenfilmoverkill zu geben (lacht).

uni:view: Danke für das Gespräch!
(hm)

Miranda Jakiša ist über die Partisanenliteratur zum Film gekommen. Seit dem Sommersemester 2019 ist sie Professorin für Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Slawistik der Universität Wien und freut sich über die "tolle Infrastruktur zum Forschen", die "fantastischen Kinos in Wien" und "das große Interesse an den Südslawen, das in Wien besteht". (© Miranda Jakiša)