Der steinige Weg zur Gleichberechtigung

Politische Partizipation, Recht auf Bildung sowie Besitz – dies ist nur eine Auswahl der Grundrechte, die zumindest in westlichen Demokratien Frauen und Männern gleichermaßen zugesprochen werden. Dafür wurde hart gekämpft: Im Zuge der französischen Revolution erstmals öffentlich gefordert, ist 200 Jahre später noch immer keine völlige Gleichberechtigung gegeben. Stefanie Wöhl leitet das Büro des Referats Genderforschung gemeinsam mit der wissenschaftlichen Leiterin Sigrid Schmitz. Lesen Sie hier, wie Wöhl das Verhältnis politischer Frauenbewegungen zu feministischer Forschung bzw. Genderforschung beschreibt und was den beiden Genderforscherinnen der Frauentag bedeutet.

Am vergangenen Dienstag, 8. März 2011, jährte sich der Internationale Frauentag zum 100. Mal. Ursprünglich unter der Bezeichnung "Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden" geführt, steht der 8. März noch heute als Mahnmal geschehener und bestehender Diskriminierungen des weiblichen Geschlechts. Doch die politische Forderung nach Gleichberechtigung wurde schon früher geboren: "Olympe de Gouges verfasste bereits während der französischen Revolution die sogenannte 'Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin' und setzte so einen ersten Grundstein für folgende Frauenbewegungen", erklärt Politikwissenschafterin Stefanie Wöhl, die das Büro des Referats Genderforschung leitet und eng mit der wissenschaftlichen Leiterin des Referats, Sigrid Schmitz, zusammenarbeitet.


Was bedeutet der Frauentag für Sie?
Sigrid Schmitz:
Es ist ein wichtiger Tag, der vor dem geschichtlichen Hintergrund an aktuelle Fragestellungen der Gleichberechtigung erinnert. Er verdeutlicht, dass Diskriminierung auch in unserer Gesellschaft immer noch existent ist. Der Internationale Frauentag ist ein Tag des Bewusstseins, der in seiner Vielfalt auch die Breite der Frauenbewegung repräsentiert.


Politische Rechte als Menschenrechte

Auch wenn Olympe de Gouges damals unter der Herrschaft von Robespierre zum Tod durch die Guillotine verurteilt wurde, etablierte sich im Zuge der Aufklärung ein politisches Bewusstsein der BürgerInnen für die Gleichberechtigung der Frau. "In den Anfängen ging es primär darum, Frauen als politische Staatsbürgerinnen anzuerkennen und die gegebene Subjektkonstitution infrage zu stellen", beschreibt Wöhl. "Politische Rechte wurden als Menschenrechte eingefordert." Finnland führte 1906 als erstes europäisches Land das Frauenwahlrecht ein, Österreich und Deutschland folgten 1918 bzw. 1919."

On ne naît pas femme, on le devient"

Als die Rechte der Frau Stück für Stück formal in die Gesetzgebung westlicher Länder festgeschrieben wurden, veränderte sich der politische Fokus: Es ging nun vermehrt darum, gesellschaftsimmanente Diskriminierungsformen zu erkennen und aufzubrechen."

Da feministische Forschung aus politischen Ungerechtigkeiten hervorgegangen ist, lassen sich historisch Frauenbewegung und -forschung nicht  trennen", erklärt die Politikwissenschafterin. Zu den Begründerinnen der Frauenforschung und vor allem der sich später ausdifferenzierenden Genderforschung gehört Simone de Beauvoir. Sie prägte 1951 den berühmten Satz "On ne naît pas femme, on le devient", was so viel heißt wie "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht".


Was bedeutet der Frauentag für Sie?
Stefanie Wöhl:
Er hat für mich einen sehr starken symbolischen Wert, der genauso wie beispielsweise der "Tag der Armut" den Menschen verdeutlicht, dass soziale und politische Ungleichheit real existiert. Eine deutsche Bundeskanzlerin macht noch keine Gleichberechtigung. Gleichstellungspolitik ist für mich mehr als Chancengleichheit. Gerade im Rahmen von neoliberalen Arbeitsverhältnissen muss es nicht nur darum gehen, Ressourcen besser zu nutzen, es sollte vielmehr gefragt werden, warum Biologismen gesellschaftlich immer noch relevant sind und einer vollen Gleichberechtigung im Wege stehen.


Auch biologisches Geschlecht kulturell konstruiert


Damit war der Grundstein für konstruktivistische Genderforschung gelegt, gleichbedeutend mit der Auffassung, dass die Geschlechtsidentität (gender) sozial konstruiert ist.
"Diese Überlegungen führte beispielsweise die Philosophin Judith Butler weiter, indem sie argumentiert, dass auch das biologische Geschlecht kulturell hergestellt wird", erklärt Wöhl.

"Unterdrückungsmechanismen, die man nicht leugnen kann"


Die feministische Forschung als Geschlechterverhältnisforschung hat sich seit Ende der 1960er Jahre stark ausdifferenziert und ist zu einem interdisziplinären Forschungsfeld angewachsen. Parallel zu den sich innerhalb der eigenen Wissenschaftsdisziplin immer weiter verästelnden Bereichen der Geschlechterforschung existierten die unterschiedlichsten politischen Bewegungen. "Es gab nie eine einheitliche Frauenbewegung; lesbische Frauen fühlten sich bei den Frauenbewegungen der 1970er Jahre in Europa und den USA genauso wenig repräsentiert wie nicht-weiße Frauen", macht die Politikwissenschafterin deutlich.

Zur aktuellen Situation


"Ob die Geschlechter nun konstruiert sind oder nicht – es steht fest, dass sie in unserer Gesellschaft existieren. Mit der Kategorie Frau sind de facto kulturelle, politische und soziale Unterdrückungsmechanismen verknüpft, die man nicht leugnen kann", unterstreicht Wöhl ihren Standpunkt. "Frauen verdienen in Österreich immer noch 23 Prozent weniger als Kollegen im gleichen Beruf – solche Zahlen sprechen für sich." Das kann die Gender-Professorin Sigrid Schmitz, die zurzeit auch die Studienprogrammleitung der Gender Studies innehat, nur bestätigen: "In unserer Kultur gehören geschlechterspezifische Unterschiede in der Sozialisation leider noch immer zum Alltag. Diese führen in der Folge auch zu Ungleichheiten." (il)