Der Frauentag als öffentlicher Gedächtnisort

Die Historikerin Maria Mesner vom Institut für Zeitgeschichte wünscht sich, dass der Frauentag als emanzipativer und partizipativer Tag stärker im öffentlichen Gedächtnis verankert wird. Im Interview mit "uni:view" spricht sie darüber, was der Frauentag für sie persönlich bedeutet und warum er heute nach wie vor wichtig ist.



Was bedeutet der Frauentag für Sie?

Maria Mesner: Der Frauentag ist einer der wenigen Tage im Kalender, zu denen ich einen politischen Bezug habe. Er ist ein ritualisierter Tag, der Möglichkeiten für Überraschungen bereithält, Aufmerksamkeit bündelt, Menschen – und besonders Frauen – motiviert, in die Öffentlichkeit zu gehen und für ihre politischen Forderungen einzutreten. Es ist ein Tag, der Frauen öffentlich sichtbar macht.


uni:view: Braucht es den Frauentag noch?
Maria Mesner: Ja, denn er ist Teil einer politischen Bewegung, deren Ziel die Ermächtigung von Benachteiligten ist. Statistische Zahlen – über Gehaltsdifferenzen, wer höhere Positionen bekleidet oder die unbezahlte Arbeit leistet – sowie gesellschaftliche Phänomene zeigen, dass aufgrund der Geschlechterdifferenz ein Teil der Menschen immer noch benachteiligt ist. Der Frauentag ist als öffentlicher Gedächtnisort nach wie vor bedeutend. Da Österreich wenige Festtage hat, die emanzipatives politisches Tun thematisieren und repräsentieren, ist es wichtig, den Frauentag in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken.


uni:view: Was ist der Grund für die große Gehaltsdifferenz zwischen Frauen und Männern in Österreich?
Mesner: Es ist vor allem eine Machtfrage. Ausschlaggebend ist die Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit in einer Gesellschaft. Daneben gibt es weiche Faktoren, wie die Bereitschaft von ArbeitgeberInnen, jemandem mehr zu bezahlen, sowie die Unterschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit von Frauen: Sie fordern oftmals nicht das ein, was ihnen zusteht.

uni:view: Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Reproduktionsgeschichte. Können Frauen in Österreich heute wirklich selbst über ihren Körper bestimmen?
Mesner: Es ist heute nicht mehr eine Frage von Abtreibungsrechten, sondern vielmehr die Frage: Was passiert danach? Hier haben Frauen – oder Menschen, die bereit sind, sich um ein Kind zu kümmern – wenig Handlungsspielraum. Es gibt zu wenig Kindergartenplätze und zu wenig Flexibilität in der Kinderbetreuung. Diese kommt den Erfordernissen derer, die noch andere Schwerpunkte im Leben haben, nicht entgegen. Deshalb ist das Selbstentscheidungsrecht meist äußerst bedingt.

uni:view: Was sind die größten Errungenschaften der letzten 100 Jahre in Sachen Frauenrechte?
Mesner: Das politische Partizipationsrecht. Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen ist heute selbstverständlich geworden, doch MigrantInnen sind von diesem zentralen politischen Teilhaberecht noch immer ausgeschlossen. In Sachen Selbstbestimmung ist die Fristenlösung ein zentraler Punkt. Doch es reicht nicht, Abtreibung zu erlauben und sich dann nicht weiter um die Frauen zu kümmern. Die Familienrechtsreform der 1970er Jahre und nachfolgende Reformen – wie z.B., dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde – ist eine wesentliche Errungenschaft. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung wären politische Maßnahmen, die dazu führen, dass unbezahlte Arbeit – Reproduktionsarbeit und Betreuungsarbeit – gleichmäßig zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wird. In Österreich gibt es außerdem immer noch kein Recht auf einen Kindergarten-bzw. Kinderbetreuungsplatz.

uni:view: Warum werden Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder in Österreich nicht gefördert?

Mesner: "Kinder werden am besten von ihrer Mutter betreut": In Österreich ist die Zustimmungsrate zu dieser Aussage im gesamteuropäischen Vergleich am zweithöchsten. Das hängt mit dem langen Einfluss der katholischen Kirche in Österreich und mit den verinnerlichten Mutterbildern zusammen. Es hat weniger mit Religion oder Religionsausübung zu tun als vielmehr mit grundsätzlichen Wertehaltungen, die sich langfristig in die Mentalitäten einschreiben und auf das individuelle Verhalten wirken. Die hohe Priorität von Kleinkinderbetreuung durch die Mütter ist etwas spezifisch Österreichisches und findet sich sowohl in der Politik als auch in den strukturellen Rahmenbedingungen wieder.

uni:view: Ist für junge Frauen das Thema Gleichberechtigung heute noch relevant?
Mesner: Die Frage ist immer, wann Personen Diskriminierung erfahren und einen gewissen Blick für Benachteiligungen entwickeln. Für viele junge Frauen sind Gleichberechtigungsfragen auf den ersten Blick nicht wichtig. Das hängt damit zusammen, dass für die heutige Generation von jungen Frauen vieles selbstverständlich ist – auch die Nutzung von Handlungsspielräumen. Heute sind die Ansprüche der jungen Frauen wesentlich höher, sie sind oft selbstbewusster als Generationen zuvor, auch wenn sie diese nicht mehr für sich als Frauen, sondern für sich als Personen definieren.

uni:view: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mesner: Auf der abstrakten Ebene wünsche ich mir, dass das Geschlecht eines Menschen sowie seine oder ihre sexuelle Orientierung oder andere Zugehörigkeiten die jeweiligen Handlungsspielräume nicht mehr beeinflussen. Die Menschen sollten ihre Möglichkeiten unabhängig von gesellschaftlichen Diskriminierungen und Benachteiligungen nutzen können. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie ihre Gestaltungsaufgaben besser wahrnimmt. Für die Frauen – vor allem für jene aus unteren sozialen Schichten und Migrantinnen – hoffe ich, dass sie das umsetzen können, was sie umsetzen wollen.

uni:view: Als wissenschaftliche Leiterin des Kreisky Archivs organisieren sie das Ausstellungs- und Publikationsprojekt "Frauentag! Erfindung und Karriere einer Tradition". Was ist das Ziel der Ausstellung?

Mesner: Die Ausstellung orientiert sich einerseits an der Chronologie – was hat sich in den letzten 100 Jahren getan – und andererseits an inhaltlichen Schwerpunkten, die mit dem Frauentag verbunden sind wie Frieden, Gleichheit und Körper. Es wird die Vielgestaltigkeit dieser Begriffe gezeigt und wie sie sich in diesen 100 Jahren verändert haben. Die Ausstellung soll helfen, den Frauentag als öffentlichen Gedächtnisort zu unterstützen und die Themen des Frauentags zu aktualisieren. (ps)

Doz. Mag. Dr. Maria Mesner lehrt am Institut für Zeitgeschichte sowie am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und forscht unter anderem zu den Schwerpunkten Reproduktionsgeschichte, Geschichte der politischen Kultur, Geschlechtergeschichte, Körpergeschichte.


Veranstaltungstipp:

Ausstellung "Feste.Kämpfe. 100 Jahre Frauentag"
Freitag, 4. März bis Donnerstag, 30. Juni 2011
Österreichisches Museum für Volkskunde
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
Weitere Informationen

Das Buch zur Ausstellung erscheint Anfang März 2011 unter dem Titel "Frauentag! Erfindung und Karriere einer Tradition" im Löcker Verlag.